„Severance“ – Arbeiten in der Hölle
Eine bemerkenswert zeitgeistige Serie von Dan Erickson und Ben Stiller
Perfektes Timing muss man der Apple TV+ Serie „Severance“ zugestehen, die von Dan Erickson erdacht und geschrieben und größtenteils von Ben Stiller inszeniert wurde. Während Corona wurde gedreht und möglicherweise haben die deshalb notwendigen Einschränkungen das Gefühl der Isolation noch verschärft, das praktisch jedes Bild der Serie durchzieht.
In einer gegenwärtig anmutenden Welt spielt „Severance“, in der Computer benutzt werden, die aus den Anfängen des PC-Zeitalters zu stammen scheinen, andererseits ist eine operative Methode möglich, die futuristisch anmutet, um nicht zu sagen dystopisch: Ein Implantat im Gehirn ermöglicht es, den Menschen in zwei Teile zu trennen oder, genauer gesagt, das Erinnerungsvermögen. Ein Teil erinnert sich an das, was während der Arbeit passiert, der Andere, was außerhalb des Büros geschieht. Eine optimale Work-Life-Balance sollte man meinen, doch – natürlich – weit gefehlt.
In kargen Büroräumen arbeiten die Angestellten von Lumon, einem mysteriösen Unternehmen, das irgendetwas mit Daten und Zahlen macht, was genau ist auch den Angestellten nicht recht klar. Im Bereich „Macrodata Refinement“ arbeiten sie, in riesigen, leeren Räumen, verbunden durch endlos lange Gänge, die verzweigt sind wie ein Labyrinth und die Menschen wie Mäuse in einem Experiment wirken lassen.
Hauptfigur der Serie ist Mark S. (Adam Scott), seine Kollegen sind Dylan G. (Zach Cherry) und Irving B. (John Turturro). Bis vor kurzem wurde das Quartett durch Petey vervollständigt, doch diesem ist das scheinbar unmögliche gelungen: Die Firma zu verlassen. An seine Stelle tritt nun Helly B. (Britt Lower), die auch dramaturgisches Mittel ist, dem Zuschauer die Besonderheiten der Firma zu erklären.
Die infantilen Bonussysteme etwa oder die seltsamen Aufgaben, die daraus bestehen auf grünlich leuchtende Bildschirme zu starren, wo Zahlenreihen dahin rauschen und bestimmte Zahlen zu isolieren. Dass das ein wenig nach den Monitoren erinnert, auf denen von Außen die „Matrix“ zu sehen ist, mag kein Zufall sein. Denn „Severance“ ist zwar eine neunteilige Serie, ist jedoch aufgebaut wie ein sehr langer Film und beginnt dementsprechend langsam und mysteriös und wirft zahlreiche Verweise und Bezüge in den Raum, der vom Zuschauer gefüllt werden kann.
Dass die Trennung von Arbeits- und Freizeit-Gedächtnis nicht ganz so perfekt funktioniert wie vom Erfinder geplant wird schnell deutlich. Der Versuch einen möglichst effizienten Angestellten zu schaffen, der sich während seiner Arbeitszeit durch nichts ablenken lässt mag ein Traum vieler Arbeitgeber sein, aber welche Folgen hätte das für die Arbeitnehmer? Und überhaupt: Wer ist der Erfinder, der sich das ausgedacht hat, wer ist der Chef von Lumos, über den nur geraunt und in ehrfurchtsvollen Tönen gesprochen wird? Ein Steinrelief mit dem Antlitz des Gründers erinnert vage an das berühmte Relief von Karl Marx in Chemnitz und auch das dürfte kein Zufall sein.
Auf clevere Weise spielen Dan Erickson und Ben Stiller mit Verweisen, haben ein hervorragendes Darstellerensemble zur Hand und treffen mit ihrem Thema den Nerv der Zeit: Corona hat für viele Menschen, die in Büros gearbeitet haben, die Trennung von Arbeit und Freizeit vorübergehend aufgehoben, mit positiven aber auch negativen Folgen. Ein zurück zum davor wird es kaum geben können, doch wie genau eine neue Arbeitswelt aussehen könnte ist völlig offen.
Und auch ein anderes, sehr zeitgeistiges Thema prägt „Severance“: Die zunehmende Kritik an den megalomanischen Tech-Giganten des Silicon Valleys, die Mark Zuckerbergs, Elon Musks oder Tim Cooks, die unsere Welt auf eine Weise prägen, die ganz gewiss nicht jedem gefällt. Das gerade Apple oft wie eine Sekte wirkt, das Steve Jobs sich selbst zum Guru stilisierte und viele Jünger hatte, die an seinen Lippen klebten, macht es nur noch passender – und ironischer – das „Severance“ nun ausgerechnet bei Apple TV+ läuft. Was letztendlich dann allerdings auch wieder beweist, wie sehr für diese Mega-Unternehmen ein gewisses Zulassen von – gern ironischer, überzeichneter – Kritik an den eigenen Methoden, auch schon wieder Teil des Geschäftsplans geworden ist. Getreu dem Motto: „Schaut, wir nehmen uns selbst nicht so ernst, daher können wir doch nicht wirklich schlimm sein, oder?“ Oder?
Severance • USA 2021 • Creator: Dan Erickson • Darsteller: Adam Scott, Patricia Arquette, Britt Lower, John Turturro, Christopher Walken • neun Folgen, jede Woche neu bei Apple TV+
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