26. September 2021 2 Likes

„Squid Game“ – Kapitalismuskritik auf Teletubbies-Niveau

Bunt, blutig, banal

Lesezeit: 4 min.

456 Leute mit finanziellen Problemen werden eingeladen an einem mysteriösen Wettbewerb auf einer einsamen Insel teilzunehmen. Kinderspiele wie „Rotes Licht, grünes Licht“ (hierzulande unter anderem als „Donner, Wetter, Blitz“ bekannt) oder Tauziehen stehen auf dem Programm, den Verlierern winkt allerdings keine Schmähung auf dem Pausenhof, sondern der Tod. Mit jedem Dahingeschiedenen wächst der Gewinn, wenn die Mehrheit entscheidet, abzubrechen, werden die Spiele gestoppt. Das passiert sogar einmal, aber schlussendlich landen die meisten doch wieder in der von maskierten Gestalten betriebenen Hölle von einem Spielplatz, denn das Bankkonto ist einfach zu leer und der Geldtopf zu groß – mittendrin: Seong Gi-hin, hochverschuldeter, geschiedener, Spielsüchtiger mit einem Herz aus Gold …

Filme, in denen Menschen im Zuge von Spielen oder groß angelegten Sozialexperimenten um ihr Leben kämpfen müssen, haben seit einigen Jahren wieder Hochkonjunktur. Von „Tribute von Panem“ (2012 - 2015) über unbekanntere Vertreter wie „Die Todeskandidaten“ (2007) oder „The Belko Experiment“ (2016) bis hin zum wohl langlebigsten Beispiel, dem „Saw“-Franchise (2004 - 2021): Es gibt Dutzende von Filmen, in denen gegeneinander angetreten und einsam gestorben wird und das ist in einem voll und ganz auf Wettbewerb ausgerichteten Turbokapitalismus-Zeitalter natürlich auch kein Wunder. Was die meisten dieser Filme allerdings eint, ist der Umstand, dass das einzig Faszinierende tatsächlich der im besten Fall möglichst kreativ inszenierte Kampf ums Überleben ist, also die Action, das Blut, das Drama, die Tränen. Da kommt, wenn man mal ehrlich ist, die voyeuristisch bis sadistische Sau im Zuschauer raus. Das Drumherum ist dagegen meist weniger prickelnd, gerne sind der oder die „da oben“ dafür verantwortlich, dass die unten ums Überleben zappeln – natürlich in einer von Konzernen dominierten Zeit kein Wunder, aber halt auch nicht unbedingt das originellste Strickmuster, man kennt’s mittlerweile aus zig Produktionen und natürlich nur allzu gut aus der grauen Alltagsrealität.

Mit der koreanischen Netflix-Serie „Squid Game“ liegt ein Stoff dieser Bauart erstmals im Serienformat vor und die Frage, die sich da einem gleich am Anfang stellt ist natürlich, ob das, was in Spielfilmlänge mehr als oft nur so halb überzeugend daherkommt, auf neun Folgen gestreckt, nicht völlig für den Kompost ist?

Njein. Was man „Squid Games“ einfach anrechnen muss: Das Ganze sieht absolut fantastisch aus, Regisseur und Drehbuchautor Hwang Dong-hyuk („The Fortress“, 2017) fährt in exzellent ausgeleuchteten Bildern toll designete Schurkenkostüme und eine ganze Reihe an prächtigen, fantasievollen, stellenweise an die Bilder von M.C. Escher erinnernden, Sets auf – man kann sich kaum satt sehen! Und ja, auch hier kommt die voyeuristische bis sadistische Sau aus dem Stall und das mit ungebremster Wucht, selbst Zuschauer mit einem Herzen voller Menschenliebe werden sich der morbiden Faszination kaum entziehen können, wenn Erwachsene im halbkitschigen Dorf-Ambiente schwitzend Murmeln spielen, beobachtet von einer Wache, die drauf wartet dem Verlierer in den Kopf schießen zu dürfen. Zumal das Tempo angenehm straff ist, die Serie verzichtet auf Zeitschinder-Marotten wie Flashbacks in die Vergangenheit oder ähnlichen Plunder mit dem hilflose Seriendrehbuchautoren sonst so versuchen irgendwie über die Runden zu kommen.

Woran hakt’s also? Das eindimensionale Figurenpersonal (der Antiheld mit dem Herz aus Gold, der Streber, der fiese Schläger, die Bitch, die Geheimnisvolle … etc.) lässt sich dank einer hervorragenden Besetzung (der von der deutschen Synchro teilweise ganz schön Unrecht getan wird) noch verkraften, aber ab Folge sieben bewahrheitet sich dann leider das Gefühl, das mit zunehmender Laufzeit langsam hochsteigt: Man möchte eigentlich gar nicht wissen, was hinter alle dem Budenzauber steckt und man möchte schon gar nicht wissen, wer der eiskalte Anführer mit der Dr. Doom-Gedächtnismaske ist. Die Auflösung kann einfach nur eine kalte Dusche sein. Lieber noch etwas mehr von diesem abgefahrenen, blutigen Quatsch, dann Abspann und gut ist. Doch leider fährt „Squid Games“ ab Folge sieben eine Reihe totaler Plattheiten auf: Die Metzelgames werden natürlich zum Amusement von Geldsäcken aus dem Ausland veranstaltet, die allesamt wirken wie aus den „Hostel“-Filmen (2005 - 2011) importiert und auch genauso schlecht gespielt werden. Der schwarz gekleidete Mann hinter der Maske ist natürlich der Bruder eines Cops, der über die Insel schleicht und seinen Bruder sucht, der aber nun auf der dunklen Seite der Macht steht. Zum Schluss wird dann noch in einem „Twist“ der Erfinder der Spiele enthüllt, einer der Mitspieler, der zwar unendlich reich ist, aber dank der vielen Kohle die Freude am Leben verloren hatte und auf diese Weise endlich wieder etwas Spaß haben wollte. Kapitalismuskritik auf Teletubbies-Niveau.

Season 2 wird kommen, aber bevor ich das guck, versuch ich lieber noch mal meine vielen Murmeln endlich zurückzuerobern.

Squid Game (Südkorea 2021) • Regie: Hwang Dong-hyuk • Darsteller: Lee Jung-jae, Park Hae-soo, Wi Ha-joon, Oh Young-soo, JungHo-yeon, KimJoo-ryung • „Squid Game” ist seit 17.09.2021 auf Netflix abrufbar

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