Die traumhafte Welt des Chris

Das in fünf Episoden unterteilte Teenie-Drama mit dem Zeitreiseknopf „Life Is Strange“ entwickelte sich seinerzeit zum Start 2015 schnell vom Geheimtipp zum Kulthit und gewann über 75 „Game of the Year“-Awards. Der Mashup aus „Twin Peaks“, „Zurück in die Zukunft“ und „Gossip Girl“ bot neben großer Entscheidungsfreiheit und variierendem Gameplay, das sich an den Storyentscheidungen orientierte, enorm viel Atmosphäre und eine ganze Menge Herz. Letztes Jahr folgte dann das dreiteilige Prequel „Before the Storm“, das uns erneut die Stadt von Arcadia Bay und die Geschehnisse, die zu „Life Is Strange“ führten, näher brachte. Im Feuer der Schmiede Dontnod Entertainments („Vampyr“) siedet auch schon „Life Is Strange 2“ vor sich hin, das mit der ersten Episode diesen September den Einstand feiern soll. Zur Überbrückung wurde jedoch ein schönes Kleinod namens „Die fantastischen Abenteuer des Captain Spirit“ auf der Spielemesse E3 angekündigt, das in der „LIS“-Welt spielt und Hinweise zum kommenden Zweitling bereithält. Dabei ist das Spiel auf allen Plattformen komplett gratis erhältlich.

In „Captain Spirit“ schlüpft der Spieler in die Rolle des jungen Chris, der bei seinem Vater wohnt und versucht, den Tod seiner Mutter zu überwinden. Während sich Chris’ Vater zwar liebevoll um seinen Sohn bemüht, verfällt er immer wieder dem Alkohol. So bleibt Chris häufig nichts anderes übrig als in seinem spielerischen Superhelden-Alterego „Captain Spirit“ aufzugehen und sich den täglichen häuslichen Schwierigkeiten zu stellen. So wird häufig auf humoristische und fantasievolle Art aus einem Wasserboiler ein gespenstisches Ungetüm oder ein stillstehendes Auto zu einer Rakete, die auf einen anderen Planeten führt. Genau diese Eskapaden sind es, die „Captain Spirit“ seinen Charme verleihen. Dabei muss man diese erst einmal ausfindig machen und per „Poweraction“ aktivieren. Aber dazu gleich mehr.

„Die fantastischen Abenteuer von Captain Spirit“ bietet wie „Life Is Strange“ Dialogbäume, die in Gesprächen zu unterschiedlichen Reaktionen und Ergebnissen führen. Ebenso gilt es in der Welt mit etlichen Dingen zu interagieren, von Chris’ Comicheften und Zeichnungen bis zu zahllosen Spielzeugen, Briefen und Dokumenten. Letztere beinhalten übrigens häufig Hinweise auf „Life Is Strange“, die gerade für Fans interessant sein könnten. Die Story ist in 30-60 Minuten relativ schnell hinter sich gebracht, womit aber eine Menge Reiz verloren ginge. Denn das Spiel bietet in Form einer von Chris gezeichneten Karte eine Fülle an zu erledigenden „Tätigkeiten“, sprich Sidequests, die das Ganze auf gute zwei Stunden ausweitet. In diesen Sidequests kommt es häufig zu den äußerst lohnenswerten, traumartigen Sequenzen, bei denen man manchmal nicht weiß, ob bloß Chris’ Vorstellungskraft ausufert oder ob der Junge tatsächlich über Superkräfte verfügt. Eine Frage, die eindeutig im nahenden „Life Is Strange 2“ (beantwortet werden wird. Wie auch schon in „Life Is Strange“ werden die ruhigen Momente oft atmosphärisch und cineastisch von Indiepop-Klängen untermalt, hier im Fall von Sufjan Stevens’ „Death with Dignity“, der bereits für einige ambiente-stiftenden Stücke im oscar-prämierten „Call Me By Your Name“ zuständig war.

Spielerisch bietet „Die fantastischen Abenteuer von Captain Spirit“ zwar nicht viel, nimmt einen aber auf eine äußerst herzliche, kleine und intime Reise in das Herz eines fantasiebegabten Jungen mit – und das ganze ohne einen Cent ausgeben zu müssen. Selbst für Neulinge von „Life Is Strange“ bietet das Spiel eine völlig losgelöste Erfahrung, die es Wert ist. Und Fans von „LIS“ kommen eh nicht drum herum „Captain Spirit“ zu spielen. Sei es auch nur um die Zeit bis zum September zu überbrücken. Für einen Abend fern von „Fortnite“, „God of War“ oder „Call of Duty“ reicht es allemal aus.

„Die fantastischen Abenteuer von Captain Spirit“ ist seit dem 26. Juni 2018 für PC, XBox One und PS4 gratis erhältlich.

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