20. August 2019 2 Likes

Nazi-Trash im Schwestern-Koop

„Wolfenstein: Youngblood“ beschreitet neue Wege, bleibt aber hinter den Erwartungen zurück

Lesezeit: 5 min.

Nach den furios modernisierten Reboots der Wolfenstein-Reihe der letzten Jahre war es keine Überraschung, dass auch der jüngste Ableger namens Youngblood (seit Ende Juli für PS4, Xbox One, PC und Switch erhältlich) schon im Vorfeld für Aufsehen sorgte. Schließlich durfte Publisher Bethesda verkünden, endlich auch in Deutschland die international übliche, also ungeschnittene Fassung anbieten zu können, in der statt leicht verfremdender Bezeichnungen wie das Regime und abgewandelten Symbolen tatsächlich u.a. authentische Hakenkreuze zu sehen sind. Dieses lange vermisste Zugeständnis an Spiele durch die entsprechenden Bundesprüfstellen, genauso wie Filme oder Theater einen potenziell kritischen Umgang mit verfassungsfeindlichen Symbolen an den Tag legen zu können, ist aber nicht die einzige Neuerung.

Erstmals übernehmen wir nämlich nicht die Urgewalt von Dauerprotagonist B.J. Blazkowicz, sondern schlüpfen wahlweise in die Rolle seiner Zwillingstöchter Jess und Soph. Das hat aber nicht nur kosmetische Gründe, denn wer will, kann das gesamte Abenteuer tatsächlich im (Online-)Koop angehen und via Buddy-Pass sogar Freunde mitspielen lassen, die Youngblood selbst gar nicht besitzen – ein wirklich gelungener Schachzug, Bethesda! Wer allerdings keine Lust auf Kooperation hat, wagt sich zusammen mit einer gar nicht mal schlecht agierenden KI in die Schlacht, die jeweils eine der Heldinnen dauerhaft übernimmt.

Ganz wie ihr Vater lassen die Beiden im Verlauf der Kampagne dank futuristischer Superanzüge und einer ordentlichen Auswahl an Waffen und Zusatzskills nichts bei der Nazi-Jagd im üblichen History-Kosmos der Reihe anbrennen und ballern sich nach einer merkwürdig kurzen Eingewöhnung in die Kunst des brutalen Tötens wie selbstverständlich durch das Blut ihrer zahlreichen Feinde. Schauplatz ist diesmal ausschließlich das Paris der 80er Jahre, in das sich die jungen Frauen begeben, um auf eigene Faust nach ihrem verschwundenen Vater zu suchen.

Der war offensichtlich einer Verschwörung innerhalb des Nazi-Kaders und einem mysteriösen Labor auf der Spur. Mithilfe des Pariser Widerstandes, werden die Schwestern in einem ziemlich cool designten Hub-Hauptquartier, das auch als Rückzugsort nach bestandenen oder abgebrochenen Missionen fungiert, mit Haupt- und Nebenmissionen versorgt, wobei sie die Bekanntschaft mit freundlichen wie zwielichtigen Gestalten machen, von denen nicht jede das ist, was sie zu sein scheint.

Viel mehr hat Youngblood leider storytechnisch nicht zu bieten. Ein arg aufgesetzter Twist dreht gegen Ende nochmal an der Dramatik und wie gewohnt kann der allerletzte Bossfight zur deftigen Geduldsprobe mutieren. Jess und Soph verfügen grundsätzlich über die gleichen Fähigkeiten, die wir mithilfe gewonnener Erfahrungspunkte und eingesammelter Geldmünzen via Skilltree (aufgeteilt in mehrere Kategorien wie Macht, Verstand und Kraft) ausbauen dürfen. Beim permanenten Aufsammeln von Panzerungsgegenständen und Munition, sollte es auch niemanden allzu verwundern, dass Youngblood wie selbstverständlich voller Absurditäten steckt. Schon die Anzahl überall herumliegender Geldmünzen, lässt Paris bzw. die Nazis als aberwitzig verschwenderisch erscheinen. Facetten wie diese, gehören eben auch seit jeher zur Wolfenstein-DNA.

Durch die eben genannten Aspekte kommt tatsächlich ein Touch von RPG in die Sache, denn wir steigen im Verlauf der Kampagne im Level auf und verbessern so unsere Durchschlagskraft oder die Energieleiste. Zwischenzeitliches Aufmotzen ist gerade zu Beginn selbst auf dem zweiten von insgesamt fünf jederzeit wählbaren Schwierigkeitsgraden nötig, da uns die Gegner von Beginn an nichts schenken. Wer also nicht auf Fähigkeiten wie Unsichtbarkeit (hilft beim Heimlich-Kill von hinten), Schild-Boost, Sofortheilung oder der Aufnahme schwerer Feindeswaffen zurückgreift, wird gegen riesige Roboterhunde, schwergepanzerte Maschinengewehr-Soldaten, Flammenwerfer, Drohnen oder riesigen Zerstörern kaum Land sehen.

Ein bisschen Frustresistenz ist also speziell zu Beginn unabdingbar. Leider können die Settings nicht ganz mit der Vielfalt der Gegner mithalten. Je nach Mission stehen uns nach dem Tutorial-Level mehrere sofort verfügbare Areale zur Verfügung, in denen wir nach Wegen zu den Haupt- und Nebenmissionen suchen müssen. Ergo beginnen wir immer wieder an den gleichen Ausgangspunkten, die über ein U-Bahn-System miteinander verknüpft sind.

Da die Gegner ebenfalls über Level-Stufen verfügen, kann es lange Zeit passieren, dass wir nach einem gesäuberten Gebiet in einen anderen Bereich abbiegen und dort, manchmal unerwarteterweise, von einer übermächtigen Gegnerhorde chancenlos über den Haufen geballert werden. Da helfen leider auch die bis zu drei gemeinsamen Leben nicht viel weiter, denn erst dann, wenn wirklich beide Schwestern tot sind und somit nicht mehr in der Lage sind, einander noch wiederbelebend zu Hilfe zu kommen, ist erstmal Schicht im Schacht.

So kann auf mittlere Sicht Langeweile aufkommen, zumal sich die Feinde schließlich in ihrem Auftreten nicht verändern und wir bei jedem Betreten eines Areals gegen die exakt gleiche Anordnung bestehen und uns deren ewig gleiche Dialoge anhören müssen. Kleinere Spontanaufträge wie die Vernichtung eines bestimmten Gegners oder die Befreiung von Geiseln, die uns bei unseren Ausflügen via Funk durchgegeben werden, wiederholen sich ebenfalls viel zu schnell und sorgen mit ihrer Willkür trotz vieler versteckter Boni bald für dezentes Gähnen. So gut gemeint der weniger geradlinige Aufbau auch gedacht war, er verfängt ebenso wie die vorhersehbare und eher lahme Story nicht zwingend und verflacht.

Sicher, Jess und Soph zeichnen sich wie alle Figuren durch eine geradezu lässige Überzeichnung aus, die für Wolfenstein seit dem Reboot stilprägend ist, und wenn man sich mit den hochgezüchteten Terror-Twins im Koop gekonnt durch die atmosphärischen Gebiete wie düstere Abwasser-Tunnel oder hochtechnisierte Forschungsanlagen ackert, kommt schmissige Genre-Unterhaltung zustande. Die Steuerung geht absolut in Ordnung und das bewusst chaotische Shooting ohne viele Deckungsmöglichkeiten pumpt in den besten Momenten richtig Adrenalin ins Zockerblut.

Doch es fehlt an wirklich erinnerungswürdigen Momenten wie beispielsweise der völlig abgedrehten Mondmission aus Wolfenstein: New Order und die Schurken haben nicht mal halb so viel Charisma wie in allen Vorgängern. Dazu kommen auf der Negativseite des Weiteren die bereits angesprochenen Probleme der offeneren, sich schnell wiederholenden Areale sowie das grundsätzliche Gefühl, es hier eben „nur“ mit einem halben Wolfenstein und nicht mit einem vollwertigen dritten Teil zu tun zu haben, auf den Fans sehnsüchtig warten.

Fairerweise muss man aber konstatieren, dass Youngblood letzteres aber gar nicht sein will und die gut 20 Stunden Spielzeit wie schon beim früheren Stand-Alone The Old Blood zum kleineren Nicht-Vollpreistitel-Budget angeboten werden. Wer sich also auf eine spaßige Neuausrichtung der Reihe einlässt, die vor allem zu zweit und ohne großen Fokus auf Story oder Originalität Laune macht, bekommt mit Youngblood definitiv sehr solide Shooter-Kost, die auch technisch mittels wuchtiger Sounds, guter Sprachausgabe, detaillierter Texturen und einigen explosiven Wow-Effekten genug zu bieten hat für einige Streifzüge durch Paris.

Fazit

Gut, aber nicht herausragend: Von dieser Blutauffrischung werden leider nur die Genre-Vampire satt, die Wert auf Koop und kürzere Sessions legen, während gerade Storyfanatiker und Fans der Vorgänger trotz gewohnter Over-the-Top-Präsentation eher in die Röhre schauen.

Wolfenstein: Youngblood • Machine Games/Arkane Studios/Bethesda • Koop-Shooter • PS4, Xbox One, PC, Switch

Abb. © Machine Games/Arkane Studios/Bethesda

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