21. Dezember 2016 1 Likes

So geht Assassine!

„Dishonored 2 – Das Vermächtnis der Maske“ ist schlicht das beste Stealth-Adventure seiner Generation

Lesezeit: 8 min.

A choice, that matters

Corvo oder Emily? Was speziell im Kontext eines Games zunächst wie eine simple Auswahl zwischen zwei austauschbaren Spielfiguren klingt, bedeutet im Fall von Dishonored 2 – Das Vermächtnis der Maske nichts weniger als eine Grundsatzentscheidung. Das erste Dishonored, das man ohne Scham als Blaupause oder Beta-Version des in nahezu allen Belangen besseren zweiten Teils betrachten kann, bot mit seinem viktorianischen Steampunk-Setting, dem Fokus auf Schleichen und seinem kreativen Gameplay-Mix aus RPG und Action-Adventure ein Setting, das selbst ganz großen Marken wie Deus Ex und natürlich dem unvermeidbaren Vergleichstitel Assassin´s Creed Paroli bot. Doch der Teufel steckte bekanntlich nicht nur beim Debüt von Assassin´s Creed im Detail, das von seiner Fortsetzung in allen Belangen übertroffen und zum fehlerhaften Starterset für richtig moderne Stealth-Action degradiert wurde. Ählich ließe sich auch über Dishonored urteilen. Dessen Start krankte, wenn auch auf hohem Niveau, an einer völlig unausgewogenen KI, zu mächtigen Spezialattacken sowie einer höchstens lauwarm erzählten Rache-Story, die zwar die einzelnen Kapitel nett verband und mit Hintergründen anreicherte, doch speziell aufgrund der lieblos dahingeschluderten Endings eher enttäuschte. So blieb Dishonored, wie so viele blaupausenhafte Erstlingswerke, mehr ein Versprechen auf bessere Fortsetzungszeiten, wenn denn die Käufer für genug Absatz sorgen. Da dies nicht nur für die Entwickler von Arkane und Publisher Bethesda glücklicherweise genau so kam, dürfen Schleich-Spezialisten nun schon seit dem 11.11. entweder auf PC, PS4 oder Xbox One nach der Eröffnungssequenz des zweiten Teils die eingangs genannte Fundamentalentscheidung treffen. 

Doch worum geht es eigentlich bei dieser Entscheidung genau? Corvo ist der bereits aus dem Vorgänger bekannte Leibwächter der Kaiserin, der nach der hinterhältigen Ermordung seiner (geliebten) Herrin als Sündenbock missbraucht wurde, um die wahren Hintermänner zu decken. Mithilfe der ihm von einem mysteriösen Wesen (dem sogenannten Outsider) verliehenen Kräfte nahm Corvo Rache an den Verschwörern und verhalf der Kaisertochter Emily, die er nach der Ermordung ihrer Mutter in bester Vatermanier beschützt hatte, auf ihren rechtmäßigen Thron. Dabei spielte Corvos Vorgehen auf seinem Racheweg eine entscheidende Rolle. Gingen wir mit ihm zu rabiat bei der Bewältigung der Missionen vor und hinterließen mehr Leichen als unbedingt nötig, erwarben wir uns einen Ruf, der im schlimmsten Fall dazu führte, dass Emily in uns einen dunklen Dämon sah und dies in einem Gemälde von uns auch zunehmend so festhielt. Im umgekehrten Fall malte sie uns als strahlend schönes Ideal, das nicht nur Dorian Gray vor Neid erblassen lassen müsste. In der Fortsetzung verhält es sich ähnlich, nur dass es diesmal einer unserer Gefährten ist, der sich je nach unseren Taten nicht nur sprichwörtlich ein Bild von uns macht. So spannt Dishonored in beiden Teilen inhaltlich höchst sinnfällig einen Bogen seines Leitmotivs der verlorenen Ehre, die auf mehrere Arten wiedergewonnen werden kann. Gut oder böse? Wir dürfen uns entscheiden und damit fällt auch ein Schlaglicht auf den Begriff der Ehre selbst, der in der Welt von Dishonored ganz offenkundig als Spielball erscheint, der ganz (un-)verschuldet mal in das eine oder in das andere Feld prallen kann.  

Auf Leben oder Tod

Gerade die Frage, ob tödlich oder nicht-tödlich wird zur entscheidenden Grenze für die Bewertung: Das Game quittiert unser Vorgehen mit leichten Abweichungen im Story-Verlauf und sogar unterschiedlichen Endsequenzen. Dabei zählen zusätzlich zum Umgang mit gewöhnlichen Gegnern vor allem die Entscheidungen an Schlüsselstellen der Kampagne, die meist mit der Beseitigung der jeweils wichtigsten Zielperson zusammenhängen. Wir haben stets die Wahl, unser Hauptziel im offenen Kampf oder mit einem gut getimten Attentat auszulöschen oder nach alternativen Wegen zu suchen, die nicht das Ableben der Person zur Folge haben, sie aber auf andere Art ausschaltet. Wie im Vorgänger ergeben sich aus dieser Grundsituation des Gameplays zwei Chaos-Stufen, die das jeweils erspielte Ending nachhaltig definieren. Ohne viel vorwegzunehmen: Die moralisch ambivalente Tiefe motivisch wegweisender Klassiker wie Der Graf von Montechristo oder Kill Bill sollte trotz des modernen Ansatzes einer emanzipierten Heldin und eines in sich gestrauchelten Vaters bei keinem Ausgang erwartet werden.

Teil 2 setzt in Kontinuität zum Vorgänger narrativ 15 Jahre später ein. Emily ist erwachsen und regiert mit Corvo, beratend an ihrer Seite, das Königreich rund um die Steampunk-Stadt Dunwall, ehe sie von einer Intrige ihres Throns quasi erneut beraubt wird. Ihre Tante Delilah, die Kenner schon aus einem DLC zum Vorgänger kennen, taucht mit ihren Hexenkräften und mit einigen Unterstützern an ihrer Seite im Palast auf und zwingt uns mit einem Staatsstreich zu besagter Entscheidung: Spielen wir mit Emily oder Corvo, bedeutet das nicht nur eine jeweils eigene Story-Entwicklung, sondern vor allem unterschiedliche Kräfte, die uns mit den beiden Figuren zur Verfügung stehen. Einen Wechsel der Charaktere gibt es dagegen selbst zwischen den Kapiteln nicht. Erst bei einem zweiten Komplettdurchgang kann dann auf den zuvor verschmähten Charakter zurückgegriffen werden. Ist diese Wahl also einmal getroffen, geht es in neun Kapiteln, die sich in mehrere Areale unterteilen, auf einen epischen Rachefeldzug, der uns neben verschiedenen Stadtteilen, einem von Hexen besetzten Anwesen oder dunklen Kanälen unter anderem (als spezielles Highlight) in ein Haus mit sich mechanisch verändernden Räumen führt. Zwischen den Missionen, deren Reihenfolge fest vorgegeben ist, können wir auf einem Basisschiff verschnaufen und mit unseren Gefährten plaudern, die allerdings nur wenig in Aktion treten und während der Missionen praktisch keine Hilfe sind.

Schatten und Licht

Technisch macht das Ganze leider erneut einen teilweise durchwachsenen Eindruck. Verschwaschene Texturen und äußerst steife Animationen sind nur die augenfälligsten Macken der Void-Engine, die es leider nicht vermag, trotz des eher detailarmen Grunddesigns der Welt für einen besseren Eindruck zu sorgen. Dennoch läuft (zumindest auf PS4) das Spiel stets flüssig und der düster viktorianische Charme der Areale und Figuren kommt selbst in kleineren Räumen aufgrund des famosen Artdesigns bestens zur Geltung. Auch die meist gute, allerdings nur selten mitreißende Vertonung der Akteure tut ihr übriges dazu, den technisch manchmal eher mediokren Eindruck zu unterstützen. Ganz klar: Dishonored 2 serviert uns einen atmosphärisch knisternden Riesenspielplatz, der nicht daran gemessen werden sollte, ob er brillante Lichteffekte wie beispielsweise ein Uncharted 4 hervorzaubert oder uns mit famosen Filmsequenzen cineastisch mitreißt, sondern sollte eher mit genrespezifisch ähnlich angelegten Titeln wie Deus Ex: Mankind Divided verglichen werden, die an der Technikfront zwar ebenfalls nicht mit absoluten Höchstleistungen bestechen, aber ihr Setting dennoch stimmungsvoll und in sich jederzeit konsistent inszenieren.

Was aber vollkommen zu begeistern weiß, ist das nur so vor Abwechslung strotzende Gameplay! In allen Kapiteln stoßen wir von vorn bis hinten auf immer neue Möglichkeiten, uns unser eigenes Abenteuer zurecht zu basteln. Ob wir nun mithilfe unserer Teleport-Skills Gegner geschickt umgehen oder sie mit einem Doppelgänger ablenken, ist genauso möglich wie die Verbindung mehrerer Gegner, die dann mit einer Aktion unsererseits alle das gleiche Schicksal erleiden. Da sich kaum alle Skills in einer Runde freischalten und zur höchsten Stufe entwickleln lassen und sich die wesentlich übernatürlichere angehauchte Emily vom in dieser Hinsicht geradezu bodenständigen Corvo und dessen Fähigkeiten wie der Verlangsamung der Zeit oder der Beschwörung von Rattenschwärmen angenehm markant unterscheidet, kann jede Situation ganz unterschiedlich angegangen werden. Die Spielwelt unterstützt dies mit vielen verstecken und alternativen Routen, die nicht zu einem Königsweg zusammenlaufen. Wir belauschen etwa Passanten, die uns von einer Wohnung berichten, über die wir ein elektrisch abgesichertes Tor umgehen können? Eine Option. Wir schleichen uns direkt an das Tor und versuchen es ungesehen zu deaktivieren. Auch eine Möglichkeit. Oder doch lieber brutal alle Gegner ausschalten? Möglich, aber nicht ratsam, da offene Gefechte gegen mehrere Gegner meist selbst mit ausreichend Heiltränken auf den höheren Schwierigkeitsgraden nicht leicht zu unseren Gunsten ausgehen. Oder gibt es vielleicht noch einen Tunnel oder eine Person, die wir bestechen können? Dass wir in manchen Unterkapiteln abseits der Storykampagne trotz nur weniger echter Nebenmissionen mehrere Stunden verbringen können, um alle Wege, versteckten Runen (zur Verbesserung unserer Fähigkeiten und Statuswerte) sowie die Schreine des mysteriösen Outsiders auszukundschaften, ist das größte Plus von Dishonored 2.

Selbst die Kämpfe, wenn man sie denn führen will oder manchmal führen muss, gehen mit etwas Übung gut von der Hand, da Blocken, Parieren und eigene Angriffe starten im Verhältnis zu den Gegnern ordentlich ausbalanciert sind und es nur bei einer deutlichen Übermacht an Gegnern aufgrund der Egoperspektive zu manchmal unübersichtlichen Gefechten und unvorhergesehenen Angriffen kommen kann. Zwar wundert man sich des Öfteren über einerseits unerwartet unachtsame Gegner, die selbst auf wenige Meter Sicht nichts zu bemerken scheinen, während andererseits vor allem die nicht-menschlichen Gegner mit allzu feinen Sensoren ausgestattet wurden. Stimmig fällt hingegen das misstrauische Vorgehen der Wachen nach einer vermeintlichen Entdeckung aus. Doch ähnlich wie bei den letztlich überschaubaren Rätseln, bei denen etwa Safe-Kombinationen mithilfe aufmerksamer Detektivarbeit entschlüsselt werden müssen, hält sich jede Komponente innerhalb des Abenteuers so in der Waage, dass kaum Frust aufkommt. Dies gilt explizit auch für die Hauptziele der Kapitel, die bei entsprechendem Vorgehen sogar zu regelrecht klassischen Endbossen mutieren und uns im Kampf dann doch einige Probleme bereiten können. Speziell das Finale bietet sehr viel erzwungenen Kampf und es passt letztlich ins Gesamtbild des Games, dass dieses Gefecht mit seiner etwas aufgesetzten Hektik nicht so recht überzeugen mag.

Die konstant fesselnde Atmosphäre gerät hingegen nie ins Wanken, denn fast jedes Areal bietet mit Briefen, Gemälden, Audioaufzeichnungen, gesprächigen Nebenfiguren oder auch einigen nur angedeuteten Abenteuern, die es vielleicht noch in DLCs zu erleben gilt, ein homogenes Gesamtgefüge, in dem man sich gerne auch mal nur herumtreibt, um ja nichts zu verpassen. Leider versäumen es die Entwickler ähnlich wie das jüngste Deus Ex, dem herausragenden Gameplay ein ebenbürtiges Storytelling an die Seite zu stellen. Bis auf Hexenkönigin Delilah bleiben alle weiteren Verschwörerfiguren eher funktionale Platzhalter ohne Persönlichkeit und die erneut unverhohlen läppisch dahingerotzten Endings erwecken fast den Eindruck, als wäre es den Machern auf die Nerven gegangen, sich überhaupt noch mit Erzählabschlüssen abmühen zu müssen. Dieses Manko erbt Teil 2 leider von seinem Vorgänger und es bleibt erneut zu wünschen, dass ein hoffentlich kommender dritter Teil endlich dieses völlig unnötige Missverhältnis zwischen nur solider Story und famosem Gameplay behebt.

Fazit

Unter dem Strich begeistert Dishonored 2 als atmosphärisch dichtes, extrem abwechslungsreiches und speziell für experimentierfreudige Taktiker unglaublich befriedigendes Action-Adventure, das seinen Vorgänger nicht nur aufgrund seiner zwei spielbaren Charaktere in den Schatten stellt. Die Spielwelt gehört mit ihrem grandiosen Leveldesign und den variablen Schauplätzen (bis auf die nicht in jeder Hinsicht perfekte technische Umsetzung) zu einem der Highlights der letzten Jahre und fesselt alle Stealth- und Steampunk-Fans mit über 20 Spielstunden pro Durchgang, wenn man seiner Entdecker- und Experimentierlust freien Lauf lässt. Nur die Story und eine manchmal nicht ganz nachvollziehbare KI trüben noch ein wenig den Gesamteindruck, doch am Ende des Tages überwiegt die Freude, eines der wenigen Blockbuster-Games der letzten Jahre gespielt zu haben, das selbst nach zweimaligem Durchlauf noch weiter motiviert und nicht mit einer überbordenden Anzahl an Cut-Scenes so manchen Spieltrieb erstickt. Emily oder Corvo? Am besten beide!

Dishonored 2: Das Vermächtnis der Maske  • Bethesda Softworks/Arkane Studios • Action-Adventure

Abb. © Bethesda Softworks/Arkane Studios

 

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