TV-Tipp: „Das Millionenspiel“
Visionäre Mediensatire in der ARD-Mediathek
Wenn man heutzutage zurückblickt auf deutsches Fernsehschaffen kommen einem speziell die 1970er-Jahre völlig irreal, wie eine ganz andere Dimension, vor – so gut gemacht, wagemutig, provokant, mitreißend, einfach nur toll war deutsches Fernsehen mal?
Natürlich wird sich aufgrund dieser Einleitung jetzt so mancher denken: „Typisches früher-war-alles-besser-Gejammer eines alten Mannes“. Der alte Mann labert aber nicht nur rum, sondern hat den ultimativen Beweis, dass zumindest deutsches Fernsehen damals tatsächlich besser war. Aktuell (und bis zum 8. Juli 2024) ist nämlich Tom Toelles grandiose Mediensatire „Das Millionenspiel“ in der ARD-Mediathek abrufbar.
Toelles erstmals am 18. Oktober 1970 ausgestrahlter Film basiert auf einer Kurzgeschichte von Robert Sheckley (im Shop) und hat die Anfang der 1980er-Jahre ausgestrahlte TV-Show „Das Millionenspiel“ des fiktiven Privatsenders TETV zum Inhalt, in der Freiwillige antreten, um sieben Tage lang von einem Killer-Trio durch die Bundesrepublik gejagt zu werden. Den Überlebenden winkt ein Preisgeld von eine Millionen deutsche Mark. Diejenigen, die nicht überleben, machen hingegen frühzeitig Bekanntschaft mit Gevatter Tod. Die Bevölkerung kann den Gejagten entweder helfen oder der Bande ausliefern. Beobachtet wird die Hetzjagd von versteckten Kameras. Bernhard Lotz aus Leverkusen ist der aktuelle Kandidat und steht kurz vor dem körperlichen Zusammenbruch – aber die Aussicht auf das Geld treibt ihn weiter …
Die Mockumentary (inkl. grelle Werbespots) nahm spätere, mit dem Start des Privatfernsehens ab 1984 eintretende Entwicklungen wie Quotenjagd und Reality-Fernsehen um Jahrzehnte vorweg und hatte zur Ausstrahlungszeit derart überzeugend gewirkt, dass es nicht nur Protest hagelte, sondern tatsächlich vereinzelt Zuschauer beim Sender anriefen, um sich als Jäger oder Gejagte zu melden.
Heutzutage hockt man vor allem mit großem Staunen davor. Obwohl der Film über 50 Jahre auf dem Buckel hat und das Zeitkolorit natürlich unübersehbar ist, wirkt „Das Millionenspiel“ unangenehm modern. Toll auch die Besetzung: Der zynische Moderator wird von Dieter Thomas Heck, einst bekannt durch eher biedere Fernsehshows wie „ZDF-Hitparade“, gespielt und den gnadenlosen Chef der Killerbande gibt doch tatsächlich der spätere Brachialkomiker Dieter Hallervorden.
Und ja, 1982 veröffentlichte Stephen King unter dem Pseudonym Richard Bachmann mit „Menschenjagd“ (im Shop) eine ähnliche Geschichte, die 1987 als „Running Man“ mit Arnold Schwarzenegger verfilmt wurde. Es ist aber sehr unwahrscheinlich, dass King von „Millionenspiel“ inspiriert wurde, zumal Toelles Film aufgrund eines Rechtsstreits nach seiner Ausstrahlung für über 30 Jahre im Giftschrank verschwand und erst 2002 wieder zu sehen war. Eher von Sheckleys Kurzgeschichte, die bereits 1958 im The Magazine of Fantasy & Science Fiction unter dem Titel „The Prize of Peril“ erschien.
Wer jedenfalls nun die ARD-Mediathek ansteuert und den Film guckt, wird unweigerlich zugeben, dass alte Männer nicht nur wehleidig sind, sondern gelegentlich tatsächlich einen Punkt haben.
Kommentare