10. April 2017

Mondkälber

Der aktuelle Wettlauf zum Erdtrabanten ist Blödsinn

Lesezeit: 4 min.

Ich bin ja immer sehr dafür, alles so einfach wie möglich zu halten. Wenn ich etwas tun muss, dann entscheide ich mich stets für die Lösung mit dem geringsten Energieaufwand. Das mag in der Theorie idealistisch klingen, in der Praxis sieht es aber folgendermaßen aus: Ich will mein Wochenende genießen, und das gelingt mir am besten, wenn ich ein paar Kapitel meines neuen Romans schreibe oder das neue Call of Duty spiele. Und wenn ich die Wahl habe, entscheide ich mich für Call of Duty. Das kostet erstens wesentlich weniger Energie, und zweitens kann ich dabei auf dem Sofa liegen und Chips futtern.

Dieses Prinzip wende ich auch auf die Erforschung des Weltraums an, und daher entfährt mir immer ein gequältes Seufzen, wenn jemand behauptet, dass die Erde im Eimer ist und wir lieber auf den Mars umziehen sollten. Wenn das Ziel die Rettung der menschlichen Spezies ist, dann kostet es viel weniger Energie, die Probleme zu Hause zu beheben als auf einen Planeten umzusiedeln, auf dessen Oberfläche wir wohl kaum länger als ein paar Monate durchhalten würden. (Beispielsweise würde es schon reichen, Präsident Trump in eine Gummizelle zu sperren, um die Lebensqualität auf der Erde um 73,8 Prozent zu erhöhen.)

Genauso verhält es sich mit diesem neuen Wettlauf zum Mond. In aller Kürze: Google hat den sogenannten Lunar XPrize ausgerufen, bei dem eine große Gewinnsumme auf dasjenige Team wartet, dem es gelingt, mit einer unbemannten Sonde auf der Mondoberfläche zu landen, mit einem Rover eine Strecke von fünfhundert Metern zurückzulegen und hochauflösende Videos davon zur Erde zu senden. Dreißig Teams nahmen an diesem Wettbewerb teil, momentan sind noch vier im Rennen, darunter auch ein indisches, von einem früheren IT-Manager geleitetes Unternehmen.

Das soll jetzt nicht despektierlich klingen. Ich habe nichts gegen Inder, IT-Manager oder die Absicht, etwas ins All zu schießen. Aber wenn man den Energieaufwand in Relation zu den zu erwartenden Ergebnissen betrachtet, stellt sich doch die Frage, ob der Lunar XPrize und andere solche Wettbewerbe nicht etwas überbewertet sind. Nein, diese Behauptung wäre unfair: Sie sind kompletter Blödsinn.

Sehen wir uns doch mal an, was dabei rauskommt. Worin liegen die Vorteile einer Rückkehr zum Mond? Neue Entdeckungen und große Fortschritte für die menschliche Spezies sind kaum zu erwarten, da wir ja bereits auf dem Mond waren. Was an und für sich ziemlich cool von uns war, nur … viel zu holen gibt es dort oben nicht. Wenn also ein Wettbewerb wie der XPrize eine Berechtigung haben soll, muss er auch handfeste Vorteile in Aussicht stellen, und die sind …

… nicht vorhanden. Meiner Meinung nach jedenfalls. Auf der XPrize-Website gibt es einen ganzen Abschnitt zum Thema „Warum der Mond?“. Ja, warum? Zum einen, weil „der Mond eine faszinierende Gelegenheit zur weiteren Erkundung des Sonnensystems darstellt, Neuerungen in Wissenschaft und Technologie in Aussicht stellt, wichtige Ressourcen und nicht zuletzt die Möglichkeit einer menschlichen Besiedlung bietet“.

Okay, aber …

„Der Mond ist eine Schatztruhe voller seltener Metalle und anderer Materialien, die hier auf der Erde dringend gebraucht werden. Das Ziel des Google Lunar XPrize ist nicht nur ein kostengünstiger und verlässlicher Zugang zum Mond, sondern auch die Entwicklung neuer Methoden der Entdeckung und Nutzung außerplanetarischer Ressourcen.“

Ja, schon klar, aber gegenwärtig benötigen wir mehr Energie, ein Raumschiff dort raufzuschicken, als wir durch diese Ressourcen wieder reinholen, deshalb …

„Ein Wort: Lavaröhren.“

(Ich schwöre, das ist kein Scherz. Das steht wirklich so auf der Website.)

Und da komme ich nicht mehr mit. In der Theorie ist der Mond selbstverständlich für die zukünftige Weltraumforschung von großer Bedeutung – aber gegenwärtig verfügen wir nicht über die nötige Technologie für diese Art der Weltraumforschung, und eine unbemannte Sonde auf der Mondoberfläche auszusetzen, bringt uns diesbezüglich auch nicht weiter. Und dass der Mond über gewaltige Reserven des Isotops Helium-3 verfügt, ist bekannt, und diese Reserven wären auch extrem nützlich – wenn wir bereits über die entsprechenden Fusionsreaktoren verfügen würden. Die Argumente für eine erneute Mondmission sind, offen gesagt, nicht nur auf der XPrize-Website bestenfalls zweifelhaft. Auch ein von der NASA publizierter Artikel schwadroniert über Mineralienabbau und die Installation von Radioteleskopen – im Prinzip ehrenwerte und aller Wahrscheinlichkeit nach sogar nutzbringende Vorhaben, aber die allerhöchste Priorität haben sie nicht gerade, oder?

Langer Rede, kurzer Sinn: Warum geben diejenigen, die den Lunar XPrize ausgeschrieben haben, nicht einfach zu, dass sie es aus demselben Grund tun, aus dem die Leute auf den Mount Everest steigen oder zum Marianengraben tauchen: Weil er da ist und weil man prima damit angeben kann. So zu tun, als würde ein weiteres Video von der Mondoberfläche die Weltraumforschung irgendwie befördern, ist nicht nur unredlich, es nervt auch. Wenn man schon etwas ins Weltall schießt, sollte man auch offen und ehrlich sagen, warum.

Rob Boffard wurde in Johannesburg geboren und pendelt als Autor und Journalist zwischen England, Kanada und Südafrika. Er schreibt unter anderem für „The Guardian“ und „Wired“. Seine Romane „Tracer“ (im Shop) und „Enforcer“ (im Shop) sind im Heyne-Verlag erschienen.

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