20. Juli 2019

Kalorienhaltiges nach dem Kollaps

Paolo Bacigalupis mehrfach preisgekrönter Roman „Biokrieg“ 

Lesezeit: 3 min.

Im Jahr 2009, so hat man in der Rückschau noch heute das Gefühl, war der Amerikaner Paolo Bacigalupi mit seinem Roman „Biokrieg“ (im Shop) praktisch alleine dafür verantwortlich, dass das Science-Fiction-Subgenre des Biopunk zum kreativen Mittelpunkt der zeitgenössischen Zukunftsliteratur im Angesicht von Klimawandel und Klimakatastrophen wurde. Zehn Jahre später liegt der mit dem Hugo Award, dem Locus Award, dem Nebula Award, dem deutschen Kurd Laßwitz Preis, dem französischen Grand Prix de l’Imaginaire, dem spanischen Premio Ignotus und dem japanischen Seiun ausgezeichnete Roman nun als Neuauflage vor, die das Buch in die traditionsreiche Meisterwerke der Science-Fiction-Reihe von Heyne erhebt. Reichen zehn Jahre, um diesen Status, diesen Ritterschlang zu rechtfertigen?

Auf jeden Fall. Bagicalupis deglobalisierte Zukunft der Genhacker und der Samendatenbanken, der Kurbelcomputer und der künstlichen Aufziehmenschen, der Spannfederfabriken und der Importverbote sowie der allgegenwärtigen Seuchengefahr, in der Kalorien und Joule die neue Währung darstellen, gehört ohne Zweifel noch immer zum Substanzvollsten und Besten, was die internationale Science-Fiction seit dem Jahrtausendwechsel hervorgebracht hat. Im stilistisch anspruchsvollen und ansprechenden Roman des 1972 geborenen Bacigalupi, der sich zuvor mit Kurzgeschichten und ganz ähnlichen postapokalyptischen Szenarien profilierte, haben Profitgier, Krieg und Klimawandel die alte Ordnung und die alten Strukturen ausgelöscht. Mächtige Deiche schützen die komplexe, korrupte thailändische Metropole Bangkok, die Bacigalupi zwischen Garküchen, Bordellen, Luftschiffen, Tempeln, Geisterkatzen, Slums und Fabriken eindrucksvoll zum Leben erweckt. Überwucherte Wolkenkratzer ragen wie mahnende ballardeske Relikte im Hintergrund auf, im Vordergrund dominieren Fahrräder, Rikschas und genveränderte Riesenelefanten das Stadtbild nach der erzwungenen Entschleunigung. Dennoch, das Leben, so sehr es sich auch verändert haben mag, nimmt ungebrochen seinen Lauf. Aber haben die Menschen etwas aus ihren Fehlern gelernt? Kein Stück. In Bacigalupis Romandebüt wird der Hunger nach Macht und Reichtum noch immer zur zerstörerischen Triebkraft – persönlich wie politisch. Deshalb erwartet man in Bangkok, dessen Samendatenbanken das Interesse des verheerten Westens geweckt haben, jeden Tag einen Putsch.

„Biokrieg“ ist nach wie vor ein großartiger und extrem gehaltvoller Zukunftsroman, der auf einem leider nur allzu plausiblen klimatischen Kataklysmus aufbaut – angesichts der prekären Lage unserer Welt und des großen Themas Klimawandel erscheint das Buch zehn Jahre später sogar aktueller und wichtiger denn je. Die Neuausgabe von „Biokrieg“, das im Original als „The Windup Girl“ herauskam, rückt jedoch nicht bloß diesen zentralen, aussagekräftigen Roman der modernen Klima-Fiktion passend zum Zeitgeist in den Fokus neuer und alter Leser. Zum ersten Mal ziert zudem das Cover des Pariser Künstlers Raphael Lacoste eine deutsche Fassung des Buches: ein besonders schönes und passendes Titelbild für Bacigalupis Prosa-Prunkstück, das einen voller Neugier in die detailreich geschilderte, reichhaltige Welt nach dem Kollaps zieht. Darüber hinaus hat Achim Buch ein ungekürztes Hörbuch (im Shop) eingelesen.

Ob Audio-Download, Taschenbuch-Neuausgabe oder E-Book: Paolo Bacigalupis „Biokrieg“ muss man mindestens einmal gelesen haben, wenn man sich auch nur im Geringsten für wichtige Science-Fiction oder für jede Art von relevanter Literatur in Anbetracht des ökologischen Dramas und der zivilisatorischen Perspektive interessiert.

 

Paolo Bacigalupi: Biokrieg (Meisterwerke der Science-Fiction) • Aus dem Englischen von Hannes Riffel & Dorothea Kallfass • Heyne, München 2019 • 608 Seiten • E-Book: 10,99 Euro (im Shop)

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