21. September 2023 1 Likes

Der König von 1983 – Die Prachtausgabe von „Friedhof der Kuscheltiere“

Stephen Kings garstigstes Buch und womöglich der meistverkaufte Horror-Roman aller Zeiten

Lesezeit: 4 min.

Vor ziemlich genau einem Jahr beging Stephen King (im Shop) seinen fünfundsiebzigsten Geburtstag (21. September). In diesem Jahr darf man weiterfeiern, denn diverse runde, nämlich vierzigste Jubiläen um Kings Schaffen herum stehen an. 1983 erschien mit Christine einer der beliebtesten Romane aus der frühen, „klassischen“ Durchbruchsphase. Im selben Jahr kam nicht nur John Carpenters erst in der späteren Folge angemessen gewürdigte Filmadaption der Geschichte um einen monströsen und mordenden Plymouth Fury, sondern auch die Verfilmung von The Dead Zone (im Shop) (Kings erster Nummer-1-Hardcover-Bestseller und der erste Hollywood-Studio-Film des Regisseurs David Cronenberg) sowie Cujo (im Shop) (Lewis Teague) in die Kinos – allesamt mindestens respektable und runde Umsetzungen der Vorlagen.


Die US-Erstausgabe

Wie Brian Keiper in einem „The King of 1983“ betitelten Essay für Bloody Disgusting ausführt, markiert dieses Jahr den Zeitpunkt, an dem es mit Kings Popularität und seiner Reputation als Säule der populären Genre-Kultur endgültig durchs Dach ging. Ab da durften seine Bücher sich daran gewöhnen, in den USA zuverlässig den ersten Platz der Bestsellerlisten einzunehmen. Und schließlich – mit Verlaub – fiel dem seit Geburt horroraffinen Verfasser dieser Zeilen vor genau vierzig Jahren im Alter von zehn eine frisch erschienene Lübbe-Anthologie namens Fantastische Literatur 84 in die Hände (herausgegeben von Michael Görden), in der sich die Erzählung „Briefe aus Jerusalem“ („Jerusalem’s Lot“) fand. Diese Hommage an H.P. Lovecraft sollte im Folgejahr der Opener der Kurzgeschichtensammlung Nachtschicht werden, dem ersten Stephen-King-Buch, das der inzwischen elfjährige Auf-der-Stelle-Aficionado kaufen sollte. Bis heute hängt er am Haken.

Der wichtigste Jubilar ist dann aber wohl doch Kings Roman Pet Sematary. Im Inneren lautet die deutsche Entsprechung der kindlichen Falschschreibung „Haustier-Fritof“, im Ganzen kursiert er nach wie vor als „Friedhof der Kuscheltiere“ (im Shop) und erschien hierzulande erstmals 1985 in Fortsetzungen (allerdings vollständig) im Magazin STERN. Mag der Kuscheltier-Friedhof auch knapp am eigentlich Gemeinten vorbeirauschen (es geht natürlich um eine von Kindern bewirtschaftete Begräbnisstätte für verstorbene tierische Begleiter): Dieser Titel hat, wie vielleicht kein anderer von King, eine Superhit-Wiedererkennungs-Qualität entwickelt und etwas Beunruhigendes eigener, aber passender Art an sich. Kuschel- bzw. Stofftiere begräbt man nämlich in der Regel nicht.


Stephen King. Foto © Shane Leonard

Wahrscheinlich handelt es sich um Stephen Kings bis heute kommerziell erfolgreichstes Buch. Das ist bemerkenswert, denn die Geschichte der von Chicago ins dichtverwaldet Ländliche – das fiktive Ludlow – ziehenden Familie Creed, deren neues Haus bedauerlicherweise nicht nur an einer besonders von Lastkraftwagen schwer befahrenen Straße, sondern auch in der Nähe eines mit allzu unheiligen Kräften wirkenden Micmac-Ureinwohnerfriedhofs hinter dem Tierfriedhof liegt (dort im „Moor der Kleinen Götter“, wo der Wendigo umgeht und die Erde hat sauer werden lassen…), ist eine der finstersten, die King sich je ausgedacht hat.

Schon die ersten molltönigen Sätze lassen ahnen, dass alles aus den Fugen geraten ist und nur noch schlimmer werden kann, bevor die wirklich schlimmen Ereignisse überhaupt ihren Lauf nehmen. Keine der Figuren kommt restlos sympathisch rüber. In den Eltern brodeln Überforderung, Aggressionen, unbewältigte Trauer und Traumata; eine Biene sticht den kleinen Sohn in den Hals; der Vater hat als frischgebackener Leiter der Universitätskrankenstation statt verstauchtem Knöchel oder Nasenbluten sofort einen drastischen Unfall samt Todesfolge auf dem Tisch; und sehr bald folgt den bösen Omen und sprichwörtlichen Leichen im Keller die erste (Tier-)Leiche auf der hassenswerten Route 15.

In Friedhof der Kuscheltiere ist der Tod das Thema, und King geht es mit einem konsequenten Ernst an, den er auch in ähnlich gestimmten späteren Werken wie der Novellensammlung Zwischen Nacht und Dunkel (2010; im Shop) oder dem Das-Jenseits-ist-die-Hölle-Roman Revival (2015; im Shop) keineswegs in dieser Erbarmungslosigkeit ausspielt. Der Autor selbst hat es wiederholt als das für ihn furchtbarste seiner Bücher bezeichnet. Ebenso ist es aus der frühen Schaffensperiode eines seiner besten und hat zwei durchaus ansehnliche Verfilmungen gezeitigt: Mary Lamberts Version von 1989 und eine Neuadaption von Kevin Kölsch und Dennis Widmyer (2019).

Kings publizistische deutsche Heimstätte, der Heyne Verlag, hat dem kanonischen Klassiker nun zum 40. Geburtstag eine limitierte Luxusausgabe (im Shop) spendiert, die nicht gerade billig ist (generell ist Büchermachen dieser Tage aus sehr handfesten Gründen teuer), aber alles zu bieten hat, was man von einem solchen Sammelobjekt erwarten darf: wertiger, fester Schutzschuber, tolles Covermotiv, Lesebändchen, Farbschnitt und Augmented-Reality-Gimmick, das es via QR-Code erlaubt, die Titelillustration zum untoten Leben zu erwecken. Hinzu kommt eine Einleitung von King sowie schließlich im Anhang ein kluges Nachwort des Literaturkritikers und King-Kenners Burkhard Müller (Stephen King. Das Wunder, das Böse und der Tod, Stuttgart 1998), welches resümiert: „Wer aber unvoreingenommen Friedhof der Kuscheltiere liest, der wird finden, dass es seinen Platz neben den großen Büchern aller Zeiten behauptet.“

Dem hat der Verfasser dieser Zeilen nichts hinzuzufügen, abgesehen davon, dass er diesen im nachdrücklichen Sinn großen, jedoch allzu unerquicklichen Roman in all den vierzig Jahren seiner King-Bewunderung kein zweites Mal aufgeschlagen hat – ganz im Gegensatz zu seinem 1983-Feel-Good-Pendant Christine. Das Mörderauto hätte auch eine Jubiläums-Prachtausgabe verdient, oder?

Stephen King: Friedhof der Kuscheltiere. Limitierte Prachtausgabe im Schmuckschuber mit Lesebändchen, illustriertem Vor- und Nachsatz sowie 3-seitigem Farbschnitt • Aus dem Amerikanischen von Christel Wiemken • Wilhelm Heyne Verlag, München 2023 • Hardcover • 544 Seiten • € 70,- • im Shop

 

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