15. Juli 2020 2 Likes

Eine Kosmologie familiärer Monster

Lovecraft im Meta-Subtext: Shaun Hamills Roman „Das Haus der finsteren Träume“

Lesezeit: 3 min.

Im Spätsommer des vergangenen Jahres legte der Amerikaner Scott Thomas mit seinem Roman „Kill Creek“ (im Shop) eine moderne, effektive Geisterhaus-Horrorgeschichte vor, die ziemlich clive-barker-mäßig daherkam – und mit ihren fiktiven Horrorautoren-Protagonisten einen netten Meta-Ansatz verfolgte, was die schaurig-schöne Abteilung der Fantastik anbelangte. Dieses Jahr ist es nun Shaun Hamills Roman „Das Haus der finsteren Träume (im Shop), der den Meta-Faktor bedient, wenngleich auf völlig andere Weise und in der Manier eines echten Genre-Juwels und Sommer-Schmökers.

In das „Das Haus der finsteren Träume“ erzählt der junge Noah Turner die Geschichte seiner Familie: Wie sich seine Eltern Margaret und Harry 1968 u. a. über H. P. Lovecrafts Werke kennen und lieben lernen. Doch früh drängen Monster, Finsternis und Wahnsinn in ihr gemeinsames Leben. Daran ändern selbst ihre beiden Töchter Sydney und Eunice nichts, und schon gar nicht das geisterbahnmäßige Spukhaus, das Harry Turner eines Herbst in seinem Garten erbaut. Als Baby Noah auf der Bildfläche erscheint, hat das Leben der Turners schon die nächste Wendung hin zum Schlechten und in die Finsternis genommen. Das Geisterhaus scheint schließlich sogar die einzige Möglichkeit, die Familie aus der finanziellen Krise zu holen. Aber auch der kleine Noah wendet sich der Dunkelheit und den Monstern darin zu: Denn eines Abends öffnet er dem pelzigen, wölfischen Ungeheuer, das mit seinen Krallen an der Scheibe kratzt, sein Fenster und lässt es in sein Leben. Ihre freundschaftliche Beziehung am Rande des Abgrunds wird jedoch nicht das, was man erwartet …


Shaun Hamill. Foto © Rebekah H. Hamill

Das gilt im Grunde für Hamills gesamten Debütroman. Wer womöglich auf einen typischen Lovecraft-Pastiche oder eine Geisterhaus-Variante hofft, wird regelrecht enttäuscht, obwohl Hamills sehr gut geschriebenes Werk so viel mehr, so viel besser ist – und obwohl Lovecrafts Schaffen in der Geschichte an vielen Stellen als Subtext oder Referenz präsent ist, ohne sich je in den Vordergrund zu spielen. Tentakel sind ebenfalls eher eine Randerscheinung und maximal ein Detail. Im Zentrum des Buches stehen viel mehr eine packende Familientragödie, eine ungewöhnliche Coming-of-Age-Geschichte, viel Mystery und wirklich außergewöhnlicher Monsterhorror. Immerhin geht es in „The Cosmology of Monsters“ – so der Originaltitel – nicht zuletzt um die innovative Entwicklung, ja, den Ursprung und die Natur von Hamills Monstern.

Die begeisterte Empfehlung von Stephen King (im Shop) hat sich Shaun Hamill, der in Texas geboren wurde und heute mit seiner Familie in Alabama lebt, redlich verdient. Kann sein, dass sein Roman in sich am Ende etwas zu meta daherkommt oder sich ein, zwei Mal wie eine Fanboy-Fantasie liest – stören tut das allerdings nie. „Das Haus der finsteren Träume“ ist trotzdem eine wunderbar sanfte und fantastische, ungewöhnliche Monster-Story, wahrscheinlich das beste und überraschendste Mystery- und Horrorwerk des Jahres und mit Sicherheit ein perfektes Sommerbuch. Umso mehr, da niemand weiß, wann wegen Corona die nächste Stranger Things-Staffel auf Netflix aufschlägt. Also, lasst das Monster rein …

Shaun Hamill: Das Haus der finstern Träume • Heyne, München 2020 • 462 Seiten • E-Book: € 11,99 (im Shop)

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