5. September 2022 1 Likes

Vielfach prämiert und doch vergessen

Zum 30. Todestag von Fritz Leiber

Lesezeit: 5 min.

Er hat Science Fiction, Horror und Fantasy geschrieben und auf allen drei Gebieten Großartiges geleistet; er war ein herausragender Stilist, umfassend gebildet und mit einem feinen Sinn für Ironie begabt – und doch ist der Name Fritz Leiber heute nur noch wenigen bekannt. Ein später Gruß an einen faszinierenden Autor, der am 5. September 1992 und damit genau vor dreißig Jahren gestorben ist.

Fritz Leiber wurde am 24. Dezember 1910 in Chicago als Kind eines Schauspielerpaars geboren, was ihn stark beeinflusst hat. Zwar studierte er Philosophie und Psychologie, folgte aber zunächst seinen Eltern in der Berufswahl nach. Parallel hierzu schrieb Leiber erste Kurzgeschichten. 1936 heiratete er Jonquil Stephens, die sich wie ihr Mann für Phantastik begeisterte und den Kontakt zu H.P. Lovecraft herstellte. Es entwickelte sich ein Briefwechsel, „dessen Bedeutung für Leibers Schaffen nicht hoch genug eingeschätzt werden kann“ (Kettlitz/Hoffmann) und der mit Lovecrafts Tod im Folgejahr endete. Leiber – der 1938 Vater wurde – verabschiedete sich von der Schauspielerei, übte verschiedene Tätigkeiten aus und verkaufte 1939 erstmals eine Kurzgeschichte an ein Profi-Magazin; hauptberuflich Schriftsteller wurde er aber erst 1956. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich bereits herausgestellt, dass sein ambitionierter Stil, seine originellen Themen und seine hintergründige Figurenzeichnung alle drei Spielarten des Phantastischen zu bereichern vermochten. Es folgten produktive Jahre, unterbrochen nur durch den Suizid seiner Frau 1969 und einer nachfolgenden Schaffenskrise, die auch mit Leibers Alkoholproblemen zu tun hatte. Nach weiteren Erfolgen beendete er seine Karriere zu Beginn der 1980er Jahre. Kurz vor seinem Tod am 5. September 1992 hat er noch seine langjährige Freundin Margo Skinner geheiratet. Sein Werk – zu dem auch Essays, Rezensionen und autobiographische Schriften gehören – wird in Deutschland seit langer Zeit kaum noch gedruckt.

Ganz vergessen war Fritz Leiber allerdings nie. Dazu hat er sich mit seinem berühmt gewordenen Zyklus um Fafhrd und den Grauen Mausling, den fragwürdigen Helden und „berühmtesten Schwertkämpfern dieses und jedes anderen Universums“, viel zu tief in die Geschichte der ambitionierten Fantasy eingegraben. Beide Figuren sind keine Adligen, sondern „Kinder der bankrotten dreißiger Jahre“, wie Leiber meinte, und weniger an Großtaten als am Überleben interessiert. Auch legte der Autor erkennbar Wert darauf, sie erheblich menschlicher zu gestalten, als dies in der damals dominierenden Fantasy-Spielart „Sword & Sorcery“ normalerweise der Fall war. Von den zahlreichen Geschichten, die seit 2009 auch hierzulande im Rahmen einer ungekürzten Gesamtausgabe vorliegen, sei Lean Times in Lankhmar (1959; dt. Schwere Zeiten in Lankhmar) erwähnt, einer „vor Ironie sprühenden, ebenso geistreichen wie boshaften Religionssatire, die ihresgleichen in der Phantastik kaum hat“ (Joachim Körber). Für Ill Met in Lankhmar (1970; dt. Schicksalhafte Begegnung in Lankhmar) hat Leiber im Folgejahr den Hugo als beste Novelle erhalten.

Diese Würdigung macht auf eine interessante Tatsache aufmerksam: Man kann sich bei Leiber sehr gut an den zahlreichen Preisen orientieren, die er erhalten hat, denn viele seiner Spitzenwerke sind ausgezeichnet worden. Dies gilt im Bereich der SF für das Hauptwerk des Autors, den Hugo-prämierten Roman The Big Time (1958; dt. Eine große Zeit). Die nur wenige Stunden währende Handlung spielt während des großen „Veränderungskriegs“ zwischen zwei unsichtbar bleibenden außerirdischen Rassen, den „Spinnen“ und den „Schlangen“. Dazu muss man wissen, dass die Kriegsparteien ausschließlich mit Söldnern arbeiten, die meist kurz vor ihrem Tod „angeheuert“ und dann quer durch alle Zeiten und Räume geschickt werden, was beträchtliche Verwirrung nach sich zieht. Schließlich gibt es keinerlei Gewissheiten mehr, wenn Vergangenheit und Zukunft zu Variablen werden, die sich jederzeit ändern können. Ort der Handlung ist eine außerhalb des Raum-Zeit-Kontinuums geparkte Station, die Vergnügungszwecken dient – bis ein neuer Trupp Soldaten mitsamt einer Atombombe für Wirbel sorgt. The Big Time nimmt eine bestimmte Sorte spielerischer SF vorweg, die sich erst zehn Jahre später entwickeln sollte (etwa die Jerry-Cornelius-Romane von Michael Moorcock oder Die Achtzig-Minuten-Stunde von Brian W. Aldiss (im Shop)) und ist – nicht zuletzt aufgrund der Theaterhaftigkeit – einer der ungewöhnlichsten Beiträge zum Thema „Zeitreise“ überhaupt. Liest man das Buch heute, amüsiert man sich zwar über die schrägen Ideen und flotten Provokationen, findet aber in der Orientierungslosigkeit der Figuren auch das Lebensgefühl unserer Epoche wieder. Ein Riesenversäumnis, dass das Buch seit 1982 nicht mehr aufgelegt wurde.

Ähnlich unkonventionell ist The Wanderer (1964; dt. Wanderer im Universum) einzuschätzen. Der Roman handelt von einem bewohnten Planeten, der ins Sonnensystem eindringt und große Katastrophen auslöst. Leiber hat die Handlung – deutlich vor John Brunner (im Shop), der mit dieser Technik berühmt geworden ist – polyperspektivisch erzählt und u.a. auch eine bittersüße Romanze zwischen einem Menschen und einer katzenhaften Außerirdischen eingebunden: Hugo 1965. Weitere wichtige SF-Romane sind The Green Millenium (1953; dt. Das grüne Millenium) sowie die beiden amüsanten Satiren The Silver Eggheads (1962; dt. Die programmierten Musen) und A Spectre is Haunting Texas (1969; dt. Ein Gespenst sucht Texas heim).

Allerdings wäre jeder Blick auf Leiber unvollständig, der nicht seine rund 200 Kurzgeschichten berücksichtigen würde. Die berühmteste ist vielleicht Catch that Zeppelin! (1975; dt. Versäum nicht den Zeppelin!) über eine Welt im Jahr 1937, in der die USA und Deutschland friedlich kooperieren. Dazu gehört, dass es dank erfolgreicher Elektrotechnik keine Verbrennungsmotoren gibt. Der Erzähler, ein anerkannter Zeppelinexperte, trifft sich mit seinem geschichtsbegeisterten Sohn, der ihm berichtet, dass es politisch auch anders hätte kommen können. Und tatsächlich wird der Erzähler kurz darauf von einem Mann angesprochen, der in ihm einen Diktator zu erkennen meint – den es in seiner Welt nicht gibt. Eine der eindrücklichsten und dichtesten Alternativweltgeschichten überhaupt: Hugo 1976. Für die finstere Holocaust-Erzählung Belsen Express (1975, dt. Expresszug nach Belsen) hat Leiber im Folgejahr den World Fantasy Award bekommen. Weitere hervorragende Erzählungen sind Coming Attraction (1950; dt. Eine neue Attraktion), A Pail of Air (1951; dt. Ein Eimer Luft), Ship of Shadows (1969; dt. Schiff der Schatten, Hugo 1970) und The Ship Sails at Midnight (1950; Das Schiff segelt um Mitternacht); letztere besticht– wie öfters bei Leiber – mit einer ungewöhnlich sensiblen Frauendarstellung.

Die Kurzgeschichte Gonna Roll The Bones hingegen 1967 in der berühmt gewordenen Anthologie Dangerous Visions von Harlan Ellison (im Shop) erschienen – hat zwar mit Nebula und Hugo zwei bedeutende SF-Preise abgeräumt, ist aber dem Horror zuzurechnen, da es um einen Mann geht, der mit dem Teufel um seine Seele spielt. Erwähnt werden sollen noch zwei rein phantastische Romane, die ebenfalls Klassiker geworden sind: Conjure Wife (1943; dt. Hexenvolk) handelt von einem Wissenschaftler, der herausfindet, dass seine Frau Magie einsetzt, um ihn zu schützen; als er ihr dieses untersagt, bekommt er die Konsequenzen zu spüren. Wichtiger aber ist Leibers großes Spätwerk Our Lady of Darkness (1977; dt. Herrin der Dunkelheit), das von einem Schriftsteller handelt, der nach einer Lebenskrise erst zwei seltsame Bücher und dann ein unheimliches Wesen entdeckt, das ihn in seinem Appartement bedroht. Halb Großstadtroman und halb Milieustudie, ist dieses Buch nichts weniger als eine gründliche Modernisierung gängiger Horrormotive und in Anlage wie Ausführung von beeindruckender Komplexität: World Fantasy Award 1978. Und wer jetzt meint, sich alle diese Bücher möglichst bald antiquarisch beschaffen zu müssen, dem kann nur beigepflichtet werden. Übrigens wird das Werk von Leiber durch die 2009 erschienene Monografie Schöpfer dunkler Lande und unrühmlicher Helden (SF Personality 18) von Hardy Kettlitz und Christian Hoffmann mustergültig erschlossen.

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