„Die Geheimnisse von Hill House“ von Elizabeth Hand
Die preisgekrönte SF- und Krimi-Autorin setzt den Spukhaus-Klassiker von Shirley Jackson in einem Roman-Sequel fort
Das Werk der US-Ausnahmeautorin Shirley Jackson (1916–1965) besteht aus einem halben Dutzend Romanen und über 120 Kurzgeschichten. Bereits 1948 erschien ihre berühmt-berüchtigte Story „Die Lotterie“ im „New Yorker“, die viele Abo-Kündigungen und wütende Briefe nach sich zog – heute gilt die fiese Erzählung als eine der bekanntesten Kurzgeschichten der amerikanischen Literatur. 1959 veröffentlichte Jackson unterdessen ihren heute sicher bekanntesten und einflussreichsten Roman, „Spuk in Hill House“.
In den Jahren 1963 und 1999 wurde der gefeierte, nicht nur von Stephen King (im Shop) gerühmte Horrorroman verfilmt, 1964 dagegen erstmals fürs Theater adaptiert. 2018 setzte Mike Flanagan das Buch als Netflix-Streaming-Serie um und landete damit einen folgenschweren Hit, der nicht zuletzt Shirley Jacksons literarischem Schaffen wieder viel Aufmerksamkeit bescherte – wenig später wurden neben ihren Kernwerken „Spuk in Hill House“ und „Wir haben schon immer im Schloss gelebt“ sowie einer düsteren Storysammlung um „Die Lotterie“ selbst ihre semiautobiografischen Shortstories mit Familienpossen, die Jackson in den 1940ern und 1950ern für US-Frauenmagazine geschrieben hat, im Band „Krawall und Kekse“ auf Deutsch veröffentlicht.
Und jetzt entstand zuletzt sogar ein von Jacksons Erben autorisiertes Roman-Sequel zu „Spuk in Hill House“, das passend zur diesjährigen Halloween-Saison als „Die Geheimnisse von Hill House“ bei Goldmann auf Deutsch erschienen ist (im Shop). Geschrieben hat es die erfahrene amerikanische Horror-, Fantasy-, Science-Fiction- und Krimi-Autorin Elizabeth Hand (im Shop), die davor bereits eine beeindruckende Karriere hingelegt hat – und dabei nicht allein mit dem James Tiptree Jr. Award, dem World Fantasy Award oder dem Nebula Award ausgezeichnet wurde, sondern 2008 eben auch mit dem Shirley Jackson Award.
1988 veröffentlichte die 1957 geborene Hand ihre erste Horror-Kurzgeschichte, 1993 half sie dabei, für DC Comics die Teenage-Superheldin Anima zu erschaffen. Außerdem verfasste sie über die Jahre hinweg allerhand Tie-In-Romane zu „Star Wars“, „Akte X“ und „12 Monkeys“, und eigene feministisch-fantastische Bücher wie „Die Mondgöttin“. Hierzulande kennt man Hand wohl am ehesten für ihre Noir-Buchserie um die abgebrannte Punk-Fotografin, Amateur-Ermittlerin und Krimi-Antiheldin Cass Neary, für deren ersten Fall „Dem Tod so nah“ (inzwischen gibt es fünf Bände) Hand damals eben besagten Shirley Jackson Award erhalten hat.
Ihre legitimierte Roman-Fortsetzung des Horror-Evergreens um das multimedial-viral gegangene Hill House ist nun echte Post-Corona-Literatur, und ferner so gesellschaftskritisch wie viele von Hands vorangegangenen Werken. Darum geht’s: Schullehrerin und Theaterautorin Holly hat ein Stipendium für ihr nächstes Drehbuch in der Tasche und stolpert im Arbeitsurlaub Upstate New York über das alte Hill House, das mitten im Wald liegt. Trotz unheimlicher Vibes erscheint Holly das alte pseudogotische Gemäuer wie der perfekte Ort, um hier weiter am Stück zu werkeln, gar eine erste Probelesung ihres Theaterstückes über eine Hexe zu machen.
Also mieten sich die von einem Geist der etwas anderen Art verfolgte Holly, ihre folksong-schreibende Partnerin Nisa, ihr Tontechniker-Freund Stevie und die bekannte, wenngleich in Ungnade gefallene Theaterdarstellerin Amanda in Hill House ein – aller offensichtlicher Abschreckungen, Gruselgeschichten, Warnungen, Absonderlichkeiten, Vorahnungen und merkwürdiger schwarzer Riesenhasen am Wegesrand zum Trotz. Sehenden Auges rennen Holly und die anderen folglich dem Wahnsinn und dem Hunger von Hill House in die Arme …
Obwohl Elizabeth Hand früh anfängt, das grandios-unheimliche Gefühl in und um Hill House zu beschreiben, konzentriert sie sich doch zunächst lange auf die Charakterisierung ihrer Figuren innerhalb dieser seltsamen Stimmung. Dass das von der Gewichtung her – je nach Erwartungshaltung der Lesenden an dieses komplett eigenständig lesbare Sequel – gut gelingt, liegt vor allem an Hands starkem Schreibstil, der „Die Geheimnisse von Hill House“ von der ersten bis zur letzten Seite auszeichnet und trägt, während es in der Fortführung des Klassikers primär um Geister, Hexen, Traumata und jede Menge Theater geht.
Dass Holly und Co. mehrfach die Gelegenheit haben, Hill House rechtzeitig zu verlassen, es aber nicht tun, bietet wiederum interessanten Interpretationsspielraum. Will Hand uns damit sagen, dass wir Menschen viel zu oft irrational und trotzig handeln, uns und andere dadurch in Gefahr bringen – womit die US-Autorin neben ihren Anspielungen auf Scooby-Doo und Shakespeare ein klischeehaftes, weit verbreitetes Horrorfilm-Element aufs Korn nehmen würde? Oder geht es um die übernatürliche Anziehungskraft von Hill House, dem Bösen allgemein, und letztlich irgendwo auch dem Horror-Genre als solchem – was man wiederum als Sinnbild für unsere Neigung betrachten könnte, uns manchmal wider besseren Wissens den Konsum gruseliger Stoffe auszusetzen, die uns hinterher heimsuchen?
Im Grunde schreibt Elizabeth Hand mit „Die Geheimnisse von Hill House“ aber ohnehin mehr atmosphärische Weird Fiction als albtraumhaften Horror – und wenn ihre Prosa, ihre Charakterisierungen und ihr Ansatz für eine zeitgenössische Geschichte über Hexen und Theaterleute an Margaret Atwood (im Shop) erinnert, dann weckt ihr langsamer, genüsslicher Spannungsaufbau Erinnerungen an H. P. Lovecraft (im Shop) oder dessen gegenwärtige Erben Thomas Ligotti und Laird Barron. Hands Figuren bleiben jedoch das Gravitationszentrum der Geschichte, die Jump-Scares und Slasher-Action völlig außen vor lässt.
Man kann bei so etwas natürlich immer bloß spekulieren und dann tollkühn eine Behauptung aufstellen … doch Shirley Jackson hätte dieser queere, feministische, stimmungsvolle, stilistisch exquisite Ausflug nach Hill House in den 2020ern vermutlich ziemlich gut gefallen, trotz oder gerade wegen der leisen Töne.
Elizabeth Hand: Die Geheimnisse von Hill House • Roman • Aus dem Amerikanischen von Tobias Schnettler • Goldmann, München 2024 • 464 Seiten • Erhältlich als Taschenbuch und eBook • Preis des Taschenbuchs: € 13,00 • im Shop
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Christian Endres berichtet seit 2014 als Teil des Teams von diezukunft.de über Science-Fiction. Er schreibt sie aber auch selbst – im Mai 2024 ist bei Heyne sein SF-Roman „Wolfszone“ erschienen.
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