24. Juli 2017 2 Likes

Bloody Appetizer

Die erste Staffel des Netflix-Originals „Castlevania“

Lesezeit: 4 min.

Nachdem bekannt wurde, dass die von Netflix geplante Castlevania-Animationsserie unter der künstlerischen Leitung von Allzweck-Waffe Warren Ellis entstand, der schon für den Horror-Shooter Dead Space im Game-Bereich als Autor brillierte, war die Vorfreude nicht nur unter Ellis-Jüngern alles andere als gering. Denn wenn es jemandem gelingen konnte, den nicht gerade einfachen Sprung dieses Klassikers ins TV-Fach zu bewältigen, dann wohl Ellis. Schon lange vor all den (pseudo-)modernen Vampir-Sagas und entsprechender Hypes im TV wie auf der Leinwand, bediente die Game-Reihe Castlevania seit den 80er Jahren blutige Gelüste und setzte sich mit extrem vielen Ablegern auf verschiedenen Konsolen ein bis heute sehr virales Denkmal.

Die sehr freie Adaption des gängigen Motivs „menschlicher Jäger bekämpft Dracula“ fand innerhalb der Reihe meist in einer düsteren Mittelalter-Version ihre Aufführung und setzte auf typische Versatzstücke wie alte Burgen, beschworene Dämonen oder eine machtbewusste Kirche, die sich gerade hinter den Kulissen der ohnehin oft reduzierten Story alles andere als christlich benahm. Action stand in den Games immer deutlich im Vordergrund und Draculas ewige Wiederauferstehung in fast jedem Titel nahm zunehmend sogar einen fast slapstickhaften Charme an, der in einigen Klassikern wie Symphony of the Night (1997) sogar mit einem Augenzwinkern kommentiert wurde. Dennoch stimmte fast immer das schaurige Grundgerüst des Horrors und so überstand das Franchise selbst den ein oder anderen Flop.

Die Serie nimmt sich auf dieser Basis die notwendige Freiheit, seinen Schwerpunkt vorwiegend narrativ zu setzen und nicht einem auf Areal-Erkundung oder Jump´n´Run-Elementen ausgerichteten Aktion-Gameplay zu folgen. Seit dem 7. Juli ist das Ergebnis der mit vier halbstündigen Episoden nicht gerade üppig ausgestatteten Staffel verfügbar. Dass die Serie bereits jetzt verlängert wurde, gilt ja gerade in Zeiten des Absetz-Booms bei Netflix schon als kleine Ehre. Der Plot der Serie orientiert sich nah am Original am Grundkonflikt zwischen Dracula und dem Familienclan der Belmonts, die über Generationen hinweg die Menschheit vor den Untoten beschützt haben, ehe sie von der Kirche exkommuniziert wurden. In dieser Gemengelage sticht speziell die im Vergleich zu den früheren Games deutlich komplexere Verflechtung zwischen gut und böse hervor, wie sie zuletzt auch in modernen Game-Ablegern wie Lords of Shadows (2010) konzeptionell verfolgt wurde.

Dracula ist in der Netflix-Serie dann auch kein stumpfer Blutsauger ohne tiefere Motivation, sondern ein von der Menschheit enttäuschter Rächer, der die sinnlose Ermordung seiner menschlichen und vor allem moralisch reinen Ehefrau durch die Kirche nicht verzeihen kann. Darin liegt eine der Stärken der Serie, die sich in ihrer Auftakt-Episode ausschließlich der Erzählung dieses Grundkonflikts widmet, ehe erst zum Schluss Familienheld Trevor Belmont ins Spiel kommt. Dessen Etablierung als Held könnte – völlig betrunken in einer Barschlägerei, bei der er auch selbst ordentlich einstecken muss -, im wahrsten Sinne kaum verlotterter ausfallen und markiert auch auf dieser Seite der Geschichte sehr eindringlich, dass es der Serie nicht um strahlende Helden ohne Abgründe geht.

Denn Trevor ist aufgrund seiner eigenen Erfahrungen mit der menschlichen Natur alles andere als ein Philanthrop und schwingt zunächst nur in höchster Not seine Peitsche für die Rettung der Schwachen. Anderen Figuren wird dabei bisher nur wenig Raum gegeben, sich außerhalb markanter Stereotype wie „machtgieriger Bischof“, grausame „Kirchenjünger“ oder „idealistische Helfer“ zu entfalten. Es bleibt also abzuwarten, ob neben Trevor und Dracula auch andere Figuren wie etwa der bei Kennern der Reihe höchst beliebte Dracula-Spross Alucard so zum Zuge kommen, dass aus ihnen abseits einer simplen dramaturgischen Funktionalität ebenfalls spannende Charaktere mit einer gewissen ambivalenten Tiefe werden können.

Letztlich ist die erste Staffel somit eher eine gut geölte Exposition, denn weder wird ein Konflikt gelöst noch sollten Fans trotz einiger schmissiger Monsterfights zu sehr darauf hoffen, nach rund 90 Minuten Gesamtdauer die sich anbahnenden Konfrontationen zwischen Trevor und Dracula zu sehen. Zwar ist jede Folge mit einer soliden Mischung aus gut choreografierter, unverhohlen expliziter Action inklusive düsteren Story-Sequenzen gut ausbalanciert, doch auch aufgrund ihrer Kürze steht eine möglichst prägnante Etablierung der Story-Welt und ihrer Akteure offenkundig an erster Stelle. Konsequenterweise endet die vierte Folge dann auch mit einem Cliffhanger, wie er für die nächste Staffel kaum teasiger hätte ausfallen können. Man stelle sich vor diesem Hintergrund mal den riesigen Ärger der Fans vor, wenn die Serie nicht bereits verlängert oder gar eigestellt worden wäre. Ellis darf also glücklicherweise noch weiterbasteln und das unbestrittene Potenzial entfalten.

Unterm Strich serviert uns Ellis mit dieser Staffel also einen gelungenen, in schickem Düsterstil inszenierten Appetizer auf weitere Folgen, die hoffentlich dann auch etwas mehr Story-Elemente durchziehen als nur weitere Figuren und das Setting aufzubauen. Da sich die Serie nicht nur mit ihrer pikanten Ästhetik und dem Umgang mit Gewalt stark von der Vorlage emanzipiert, ohne den Geist der Games zu verraten, sollten alle Fans erwachsener Comic-Action dem ohnehin kurzen Vergnügen eine Chance geben. Biss hat das Konzept auf alle Fälle. Dass Trevor im Original dazu von Hollywood-Größe Richard Armitage (The Hobbit) vertont wird und auch Stars wie James Callis (Battlestar Galactica) dabei sind, darf ruhig auch nochmal lobend erwähnt werden.

Abb. © Netflix

Kommentare

Zum Verfassen von Kommentaren bitte Anmelden oder Registrieren.
Sie benötigen einen Webbrowser mit aktiviertem JavaScript um alle Features dieser Seite nutzen zu können.