19. August 2021 2 Likes

Leseprobe: „The Watchers“ von John Marrs

Der neue Roman vom Autor des internationalen Bestsellers „The One“

Lesezeit: 7 min.

Seit ihm mit seinem Roman „The One – Finde dein perfektes Match“, der auch als Netflix-Serie adaptiert wurde, der internationale Durchbruch gelang, gilt der britische Autor John Marrs als Experte für Near-Future-Spannung. Hervorragend recherchiert, sind seine Weltenentwürfe so nahe in der Zukunft, dass das, was heute Fiktion ist, morgen schon Realität sein könnte. In seinem neuen Buch „The Watchers – Wissen kann tödlich sein“ verbindet er das Thema der Datensicherheit mit einer packenden Krimihandhandlung. Dazu kommen die psychologisch hervorragend gezeichneten Figuren, die so typisch für John Marrs sind, sodass man den Roman nicht mehr aus der Hand legen kann.

Wir freuen uns, Ihnen eine erste Leseprobe von „The Watchers“ zur Verfügung zu stellen. Der Roman ist seit dem 16.08.2021 auf Deutsch erhältlich.

 

 

**VERSCHLUSSSACHE**

TOP SECRET: NUR BRITEN ZUR KENNTNIS,

GEHEIMHALTUNGSSTUFE »A«

DIESES DOKUMENT IST EIGENTUM DER

REGIERUNG IHRER MAJESTÄT

PROTOKOLL DER ASSESSMENT-SITZUNG 11.6

DES GEMEINSAMEN KOMITEES

FÜR CYBERSPIONAGE UND GEHEIMDIENST

»EIN ALTERNATIVER ANSATZ ZUR SPEICHERUNG

VERTRAULICHER DOKUMENTE«

 

**Hinweis: Der folgende Text gibt das Protokoll der o. g. Sitzung wieder. Um Sicherheitsrisiken zu vermeiden, wurden einige Abschnitte sowie die Namen einiger Teilnehmer unkenntlich gemacht.**

ORT:

_______________, _________

 

TEILNEHMER (MITGLIEDER):

Edward Karczewski, Leiter Operative Abwicklung, _________

___________

Dr. Sadie Mann, Leiterin Psychiatrische Begutachtung

Dr. M. J. Porter, Abteilungsleiterin Neurowissenschaft

________ ________ ___________, Verteidigungsministerium

(VM); Militärisches Forschungszentrum Porton Down

___________ _________, Geheimdienst, Abt. MI5

William Harris, Minister für geheimdienstliche Angelegenheiten

 

TEILNEHMER (NICHTMITGLIEDER):

Premierministerin Diane Cline

––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––

EDWARD KARCZEWSKI: Weil die Premierministerin an unseren

bisherigen Sitzungen nicht teilgenommen hat, würde ich gerne zu Beginn kurz den aktuellen Stand der Dinge zusammenfassen.

 

PREMIERMINISTERIN: Danke, Edward, aber zuvor würde ich noch gern fürs Protokoll festhalten, dass ich ausgesprochen ungehalten darüber bin, dass ich erst vor vierundzwanzig Stunden von der Existenz dieses Programms erfahren habe. Bis dahin hat man es mir absichtlich verheimlicht. Daher werde ich eine interne Untersuchung auf den Weg bringen, die herausfinden soll, wie das möglich war.

 

EDWARD KARCZEWSKI: Dabei können Sie auf unsere volle Unterstützung zählen. Ich hoffe jedoch, dass Sie nach diesem Meeting verstehen, weshalb ein solches Programm unter Verschluss gehalten wurde. Also, um es kurz zusammenzufassen: Vor zweieinhalb Jahren hat eine cyberkriminelle Organisation, die als das Hackerkollektiv bekannt geworden ist, unser Netzwerk autonomer Fahrzeuge, das damals stark expandierte, unterwandert und Tausende Fahrzeuge umprogrammiert und dadurch massenhaft Unfälle verursacht. Dieser heimtückische terroristische Akt forderte 5120 Todesopfer und Verletzte. Seit der Corona–Pandemie 2020 hat kein Ereignis auf britischem Boden mehr Menschenleben gekostet. Das Kollektiv bezeichnete den Angriff als einen Akt von »moralischem Hacktivismus« und behauptete, es hätte die moralische Verpflichtung, die Welt darauf aufmerksam zu machen, dass die damalige Regierung auf gesetzeswidrige Weise darauf Einfluss genommen hatte, wie autonome Fahrzeuge bei Unfällen Entscheidungen über Leben und Tod treffen. Entgegen den Behauptungen der Verantwortlichen hatten diese Entscheidungen nicht zum Ziel, möglichst viele Menschenleben zu retten, vielmehr wurden sie anhand sozialer und ökonomischer Faktoren getroffen. Je höher der ermittelte Wert einer Person für unsere Gesellschaft war, desto höher waren auch ihre Überlebenschancen.

 

WILLIAM HARRIS: Ich darf bei dieser Gelegenheit klarstellen, dass die Schuld nicht bei der gesamten Regierung lag, sondern nur bei einzelnen Mitgliedern. _________ _________

_________ _________ _________ ___ wurden alle zur Rechenschaft gezogen, mit Ausnahme des verstorbenen Abgeordneten Jack Larson.

 

PREMIERMINISTERIN: Seine Ermordung durch das Hackerkollektiv mag bedauerlich gewesen sein, kam aber nicht gänzlich unerwartet, wenn man bedenkt, dass er an den Manipulationen maßgeblich beteiligt war. Doch kein Mensch hat es verdient, bei einem Attentat mit einer Autobombe hingerichtet zu werden, das weltweit live gestreamt wird.

 

EDWARD KARCZEWSKI: In der Tat. Rückblickend betrachtet, war der Angriff auf die Fahrzeuge allerdings nur die Spitze des Eisbergs. Vor Kurzem hat das Kollektiv eine neue Angriffswelle gestartet und mithilfe von Schadsoftware die IT-Systeme einzelner Staaten gehackt. Albanien und die Türkei hat es als Erste getroffen. Die Hacker sind in die 5G-Mobilfunknetze eingedrungen, haben die Hardware der Behörden funktionsunfähig gemacht und so einen allgemeinen Stillstand verursacht – bei Datenüberwachungszentren, Verkehrsampeln, Rettungsdiensten und Bezahlsystemen für Einzelhandel und Industrie. Darüber hinaus haben sie Überspannungen in den intelligenten Stromnetzen verursacht, was zu landesweiten Blackouts führte, sowie Satelliten vom Kurs abgebracht und in der Erdatmosphäre verglühen lassen. Erst nachdem die beiden Länder jeweils Dutzende Millionen Bitcoins Lösegeld gezahlt hatten, konnten sie den Betrieb wieder normalisieren und beschädigte Daten rekonstruieren. Aber das Ausmaß dieser Angriffe war geradezu lächerlich im Vergleich zu dem, was das Kollektiv mit Estland und Rumänien vorhatte. Diese beiden Länder mussten erleben, wie die Hacker vertrauliche Informationen in ihren Besitz brachten: über Verwahrungsorte von Waffen, Depots der Zentralbanken etc. Und das Kollektiv drohte damit, diese Staatsgeheimnisse preiszugeben, sollten die Länder nicht auf die Lösegeldforderungen eingehen.

 

PREMIERMINISTERIN: Wie sind sie an diese Informationen gekommen?

 

___________ _________, MI5: Die betroffenen Länder hatten ihre sensiblen Daten in Datenzentren und Bunkern gespeichert, die physisch durch strengste Sicherheitsvorkehrungen geschützt sind, so wie unsere. Diese Speicherorte sind jedoch an ihren geografischen Standort gebunden, weshalb die Angreifer sie irgendwann ausfindig machen konnten. Dem Kollektiv gelang es, die Verschlüsselungscodes zu knacken und in die biometrischen Systeme, Sperranlagen und Videoüberwachungssysteme einzudringen, und zwar jeweils durch die Online-Kühlsysteme, die weniger stark gesichert waren. Und als sie einmal drin waren, konnten sie sämtliche vertraulichen Informationen abgreifen.

 

PREMIERMINISTERIN: Wie ist derzeit die Lage in den beiden Ländern?

 

________ ________ ___________, VM: Satellitenaufnahmen von heute Morgen zeigen, dass sich der Norden Estlands schon unter russischer Kontrolle befindet, und Erkenntnisse des Geheimdienstes lassen darauf schließen, dass sich der Süden auch bald ergeben wird. Rumänien ist den Forderungen in voller Höhe nachgekommen, weil man dort ohne Codes für die Aktivierung von Waffen einer Invasion machtlos gegenübergestanden hätte. Jetzt sind Grenzschutz und Sicherheitssysteme zwar wieder intakt, aber der Staat ist bankrott. Heute Morgen wurde Saudi-Arabien angegriffen. Vermutlich wird sich das Ganze zu einer globalen Pandemie ausweiten.

 

PREMIERMINISTERIN: In welchem Ausmaß ist das Vereinigte Königreich bedroht?

 

___________ _________, MI5: Ernsthaft. Das ist eine Stufe vor Unmittelbar.

 

WILLIAM HARRIS: Wir haben Milliarden investiert, um dieses Land zu schützen, sowohl physisch als auch vor Hackerangriffen. Soll das heißen, dass das alles umsonst war?

 

___________ _________, MI5: Nein, aber das Risiko nimmt deutlich zu. Alle verfügbaren Programmierer, sowohl interne als auch externe, kämpfen mit allen Mitteln dafür, dass unsere Server uneinnehmbar bleiben. Aber wir stehen auf verlorenem Posten, Frau Premierministerin. Die Angreifer verfügen über Quantentechnologie, weshalb ihre Computer Zehntausende Millionen Mal schneller sind als die meisten von unseren. Dadurch haben sie leichtes Spiel, wenn sie unsere Verschlüsselungscodes knacken wollen. Die Technologien, mit denen wir uns schützen, entwickeln sich nicht so schnell wie diejenigen, mit denen wir angegriffen werden. Wir laufen vor einem Maschinengewehr davon, dessen Magazin unerschöpflich ist. Irgendwann erwischt es uns.

 

PREMIERMINISTERIN: Wollen Sie damit sagen, dass die anderthalb Millionen Männer und Frauen, die in zwei Weltkriegen für unsere Freiheit gekämpft und dabei ihr Leben gelassen haben, umsonst gestorben sind? Denn in meinen Ohren klingt das, als wollte uns jetzt, hundert Jahre später, ein unsichtbarer, nicht zu greifender Feind all dessen berauben, was uns groß gemacht hat.

 

EDWARD KARCZEWSKI: Das wird ihm nicht gelingen, wenn es keine Informationen gibt, die er stehlen kann.

 

PREMIERMINISTERIN: Was soll das heißen?

 

EDWARD KARCZEWSKI: Vor sechs Monaten wurde beschlossen, die Nationalarchive, sowohl das historische als auch das aktuelle, offline zu schalten.

 

PREMIERMINISTERIN: Wer hat das beschlossen?

 

EDWARD KARCZEWSKI: Diese Maßnahme gehörte zu einem Projekt, das begonnen wurde, noch bevor Sie Ihr Amt angetreten haben. Der letzte Schritt dieses Projekts bestand darin, alle sensiblen Informationen vom Netz zu nehmen und auf die Straße zu verfrachten. Sämtliche Informationen, die nicht an die Öffentlichkeit gelangen sollen, wurden ausgedruckt und in sieben Sattelschlepper, ein Flugzeug und ein Frachtschiff verladen, die ununterbrochen über unsere Straßen fahren beziehungsweise im Luftraum kreisen und im Meer kreuzen. Das ist mehrere Monate lang gut gegangen. Bis gestern, als einer der Lastwagen zu Schaden kam und wir das Programm abbrechen mussten.

 

PREMIERMINISTERIN: Welche Arten von Informationen sind da auf Reisen gewesen?

 

EDWARD KARCZEWSKI: Solche Daten, die wir nicht täglich brauchen, und solche, die unveränderlich sind. Vor der Einführung von Computern wurden sie an geheimen Orten aufbewahrt, die über ganz London verteilt waren. Dann wurden sie elektronisch in Datenzentren gespeichert, die sich überall im Land befanden und mit Festplatten und Prozessoren vollgestopft waren. Und dort befinden sie sich auch jetzt wieder, seitdem die Lastwagen von den Straßen abgezogen wurden. Diese Standorte sind zwar so gut geschützt wie Militäranlagen und nach höchsten kalifornischen Normen erdbebensicher, aber die Hacker werden trotzdem irgendwann eindringen. Und aus diesem Grund plädiere ich für einen neuen Ansatz, um unsere Daten offline zu sichern.

 

PREMIERMINISTERIN: Wieder mit Lastwagen? Ich bin wirklich fassungslos, dass ein so aberwitziges Vorhaben jemals genehmigt wurde!

 

EDWARD KARCZEWSKI: Nein, diesmal nicht mit Lastwagen. Das sollte auch nur eine vorübergehende Maßnahme sein. Sie hat uns die Zeit zur Entwicklung eines alternativen Verfahrens verschafft, das vertrauliche Informationen sicher speichert und es Außenstehenden unmöglich macht, sie aufzufinden. Dieses Verfahren möchte ich Ihnen jetzt vorstellen, und ich bitte Sie, nicht voreilig zu urteilen. Wenn Sie Ihre Aufmerksamkeit nun bitte auf den Bildschirm an der Wand lenken wollen.

 

** EDWARD KARCZEWSKI schaltet mit einer elektronischen Tastatur einen Bildschirm ein. **

 

PREMIERMINISTERIN: Was soll denn dieses Durcheinander von Figuren, Buchstaben und Zahlen, die da über den Bildschirm jagen?

 

EDWARD KARCZEWSKI: Damit finden wir die Menschen, die wir brauchen, um unser Land zu schützen.

 

John Marrs: „The Watchers – Wissen kann tödlich sein“ ∙ Roman ∙ Aus dem Englischen übersetzt von Felix Mayer ∙ Wilhelm Heyne Verlag, München 2021 ∙ 544 Seiten ∙ als Paperback und E-Book erhältlich ∙ Preis des E-Books € 12,99 (im Shop)

 

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