16. September 2022 3 Likes

„Paradox Hotel“ - Ihre Zeitreise beginnt hier!

Eine Leseprobe aus dem neuen Roman des Bestsellerautors von „Der Store“

Lesezeit: 10 min.

Im Paradox Hotel ticken die Uhren anders. Denn hier bucht man keinen Tagesausflug in die nähere Umgebung, sondern eine Flugreise in die Vergangenheit. Ein Dutzend verschiedene Epochen stehen den Gästen zur Verfügung, der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Doch dann geschieht ein Mord im Paradox Hotel, und January Cole beginnt zu ermitteln. Das ist allerdings nicht so einfach, wenn noch nicht einmal klar ist, wann der Mord überhaupt geschehen ist – in der Vergangenheit, der Gegenwart oder gar erst in der Zukunft?

„Mord im Orientexpress“ meets „Zurück in die Zukunft“ – in seinem neuen Roman Paradox Hotel“ (im Shop) erzählt der amerikanische Bestsellerautor Rob Hart (im Shop) nicht nur einen hochspannenden Krimi, er entführt den Leser auch auf eine abgefahrene Reise durch die Zeit – und das Ganze im wohl wahnsinnigsten Hotel, dass sich je ein Autor ausgedacht hat.

Seit dem 14.09.2022 ist „Paradox Hotel“ auf Deutsch erhältlich und für den ersten Eindruck stellen wir Ihnen hier die Leseprobe zur Verfügung.

 

QUANTENVERSICHERUNG

Blutstropfen fallen auf den blauen Teppich, verfärben sich von rot zu schwarz, während sie in die Fasern eindringen. Zuerst kommen sie nur langsam und werden dann zu einem Rinnsal, während meine Schädelknochen mein Gehirn zusammendrücken wie eine Faust. Mein Körper sehnt sich danach, die Spannung in meinen Schultern zu lösen, den Druck von meinen Knien zu nehmen, sich hinzulegen und einzuschlafen.

Aber es wäre kein Schlaf.

Der Tod allerdings auch nicht. Eher ein Zwischending.

Eine ewige Leere.

Dieser Moment verfolgt mich seit Jahren: das dritte Stadium, in dem sich die Stränge meiner Wahrnehmung auflösen, und ich nicht mehr in der Lage bin, das Konzept der linearen Zeit zu begreifen.

Wieder dieses klopfende Geräusch. Aber das Blut aus meiner Nase hat aufgehört zu fließen.

Schwerer, vom anderen Ende des Flurs, das Geräusch kommt näher.

Schritte.

Vielleicht kann ich es noch aufhalten. Mit ein paar Retronim. Einem Kirschlolli. Oder Schreien ? Ich öffne den Mund. Nichts kommt heraus außer Blut.

Die Schritte kommen noch näher.

Das ist der Moment, in dem mein Gehirn einen Kurzschluss erleidet. Die dritte Stufe des Losgelöstseins. Niemand weiß genau, warum es passiert. Die vorherrschende Theorie besagt, dass sich der menschliche Geist nun in einem Quantenzustand befindet und die Belastung nicht mehr erträgt. Andere glauben, dass man den Moment seines eigenen Todes erlebt. Das Warum ist mir scheißegal. Ich weiß nur, dass das Ergebnis nicht angenehm ist: Mein Blick wird leer, dann falle ich ins Koma und das so lange, wie mein Körper weiterlebt.

Der Druck steigt. Noch mehr rote Tropfen. Vielleicht verblute ich, bevor es so weit ist. Kleine Siege.

Gleich bin ich weg. Und die Realität wahrscheinlich auch. Der Zeitstrom ist gestört, und ich bin die Einzige, die ihn reparieren kann. Aber stattdessen sterbe ich hier auf dem Teppich. Sorry, Universum.

Dann drifte ich wieder, Erinnerungen scheppern in meinem Gehirn wie Steine in einer Blechdose. Ich sitze auf meinem Bett, der Geruch von Knoblauch und Chilipaste, die in der Küche brutzeln, weht die Treppe herauf. Mein Abschluss an der Akademie, ich gehe über die Bühne der Sporthalle, die neuen High Heels scheuern an meinen Fersen, während mein Blick über das Meer von Klappstühlen schweift.

Das erste Mal, als ich mich von Mena küssen ließ, wir beide allein auf der Galerie über der Lobby.

Der Geschmack von Kirschen und alles, was ich je gebraucht habe.

Die Schritte verstummen.

Ich spüre es, den Luftzug, die Schwerkraft einer anderen Person, die dasteht und zusieht, wie ich mich auf diesem bescheuerten blauen Teppich winde. Ich kann nichts mehr tun. Es ist vorbei. Aber ich weigere mich, auf den Knien zu sterben.

Mit letzter Kraft stemme ich mich hoch …

 

Klopf-klopf-klopf.

Doktor Tamworth hält seinen Stift einen Fingerbreit über die Schreibfläche seines riesigen Tisches und sieht mich an, als würde ich ihn jeden Moment beißen. Wer weiß, der Tag ist noch jung.

Es vergeht ein Moment, bis ich mich zurechtfinde. Das Licht ist so blendend weiß, dass es beinahe blau aussieht, passend zu den himmelfarbenen Wänden und den dunkelblauen Linoleumfliesen. Vieles in diesem Raum ist blau – das wirkt beruhigend, wie man mir gesagt hat. Ansonsten ist der Raum kahl bis auf ein kleines Tablet auf dem Schreibtisch, ein Diplom einer Universität in Tamworths Heimat Bangladesch und ein halb aufgegessenes Sandwich in einer Pappschachtel. Der stechende Geruch von Essig und Käse steigt mir in die Nase. Mein Magen knurrt dagegen an. Ruby schwebt an seinem üblichen Platz über meiner Schulter, um die Hälfte zu nah.

»Wo waren Sie gerade, January ?«, fragt Tamworth.

»Genau hier, Doc«, antworte ich, was nur größtenteils gelogen ist, denn der Ort, an den ich gedriftet bin, ist nicht mehr da. Irgendwas mit einem Teppich ? Ich greife danach, aber meine Finger gleiten hindurch wie durch Nebel. Wahrscheinlich ist es nicht wichtig.

»Es sah nicht so aus, als wären Sie hier gewesen«, entgegnet Tamworth. Seine Stimme hat eine luftige, nasale Tonlage, als wollte sie mit dem Knarren seines Stuhls wetteifern. »Es sah so aus, als wären Sie woanders.«

»Ihr Wort gegen meins.«

Tamworth seufzt. »Keine Verhaltensänderung. Das ist schon mal ein Anfang.«

Er erhebt sich, seine klobige Gestalt wendet sich dem Schrank zu. Das Klappern der Pillenflasche hellt meine Stimmung auf. Er stellt das orange Fläschchen Retronim auf den Schreibtisch, direkt neben das Sandwich.

»Ich erhöhe Ihre Dosis«, erklärt er. »Zehn Milligramm. Eine Tablette am Morgen, eine abends. Wenn Sie öfter driften als gewöhnlich, können Sie noch eine dritte nehmen, aber das ist die Höchstdosis innerhalb von vierundzwanzig Stunden. Bei Ihrem Gewicht.« Er hebt die Hand, spreizt die Finger und wackelt damit. »Ich vermute, wenn wir bei zwanzig Milligramm am Tag sind, könnte es ein Problem geben.«

»Was für ein Problem ?«

Tamworth lässt sich in seinen Stuhl sinken. »Aggressivität, Gereiztheit …«

»Dann nehme ich im Moment wohl eine Überdosis.«

Er runzelt die Stirn. »Herzklopfen, Verwirrung, Halluzinationen. Ganz zu schweigen davon, dass Ihre Nieren nicht allzu erfreut sein werden.«

»Verstanden«, sage ich und schnappe mir um ein Haar das Sandwich. Stattdessen nehme ich das Fläschchen und stecke es ein. »Ich nehme sie also je nach Bedarf. Wie Bonbons.«

Seine Miene verfinstert sich. »Wird Ihnen das nicht manchmal selber zu viel ?«

Ich antworte mit einem Achselzucken. »Die neuen Scans sind da. Lassen Sie mich Ihnen etwas zeigen.« Er nimmt das Tablet, klappt es auf und dreht mir das Display zu. Auf dem breiigen Oval, das darauf abgebildet ist, leuchten einzelne Bereiche in Grün-, Blau- und Rottönen. »Das ist das Gehirn einer Frau Ihres Alters, die noch nie einen Fuß in den Zeitstrom gesetzt hat.« Er wischt über den Bildschirm und zeigt mir einen weiteren Scan mit etwas weniger Farbe im Zentrum. »Das ist Ihr Gehirn. Sehen Sie den Unterschied?«

»Ich bin kein Arzt«, sage ich.

»Es gibt eine deutliche Verschlechterung im Hypothalamus. Wir wissen noch nicht genau, wie es passiert, aber wir glauben, dass das Problem mit dem Nucleus suprachiasmaticus zusammenhängt, der den zirkadianen Rhythmus des Körpers reguliert …«

Ich hebe die Hand. »Doc. Sagen Sie mir nicht, Sie wüssten nicht, was passiert, um mir dann zu erklären, was mit mir nicht stimmt. Ich habe es Ihnen bereits gesagt: Ich bin noch immer im ersten Stadium.«

Mit seinem Stift klopft er auf das Display. »Niemand mit einem derart ausgeprägten Funktionsverlust …«

»Nur, dass Sie nicht wissen, was genau passiert. Wie wollen Sie es dann beurteilen ?«

Er hält inne, gerät ins Stottern. »January, das ist nur zu Ihrem Besten.«

»Ich habe meine Pillen, Doc«, erkläre ich. »Und wenn ich das zweite Stadium erreiche, sind Sie der Erste, der es erfährt.«

Er knallt das Tablet auf den Schreibtisch. »Retronim ist kein Heilmittel. Es zögert das Unvermeidliche nur hinaus. Ich habe ernsthafte Bedenken, ob Sie überhaupt hier sein sollten. Gewiss, angeblich besteht kein Risiko, aber sehen Sie sich nur die Uhren an. Eindeutig gibt es ein Strahlungsleck. Sie wären besser weit, weit weg von hier. Warum setzen Sie sich nicht zur Ruhe? Schließlich haben Sie das Ihre getan. Suchen Sie sich eine nette Beach Community. Lesen Sie. Lernen Sie jemanden kennen.«

Ich lege meine Hände flach auf den Schreibtisch, beuge mich vor und nehme mir die Zeit, jedes einzelne Wort zu betonen: »Sagen Sie mir nicht, was ich brauche.«

»Wenn Sie im zweiten Stadium sind, wissen Sie, was das bedeutet«, entgegnet Tamworth flehend.

»Ich bin im ersten.«

»January, ich bin nicht dumm.«

»Vielleicht doch. Und mir gefällt es hier.«

»Wirklich ? Es sieht nicht so aus.« Er späht über meine Schulter. »Was hast du zu alldem zu sagen ?«

Summend kommt Ruby noch ein wenig näher. Ich überlege, ihn gegen die Wand zu klatschen. Nicht aus einem besonderen Grund, sondern weil ich das oft überlege. Er gibt einen leisen Piepton von sich und sagt mit seinem eleganten neuseeländischen Akzent: »Nichts Erwähnenswertes, Doktor Tamworth.«

Tamworth verdreht die Augen. Mir fällt keine gute Beleidigung ein, und ich will auch keine erwidern, also stehe ich auf und tätschele das Tablettenfläschchen in meiner Tasche. Es klappert optimistisch. »Danke für das Gespräch, Doc. Man sieht sich.« Ich winke der Drohne über meiner Schulter zu. »Verschwinden wir, Ruby.«

»January …«, sagt Tamworth.

»Was ?«

Er fixiert mich wieder, bereit, etwas zutiefst Fürsorgliches und Bedeutungsschweres zu sagen, nehme ich an. Er überlegt es sich anders.

Als ich gehe, wird mir klar, dass ich es besser hätte machen können.

Ich hätte das Sandwich mitnehmen können.

Eigentlich sollte ich mich schlecht fühlen, denn es ist ja nicht so, dass er im Unrecht wäre. Ich sollte nicht hier sein. Aber wie könnte ich irgendwo anders sein ?

Ich trete an das Geländer über der Hotellobby und überblicke mein Reich.

Die geschwungenen Linien und abgerundeten Ecken verleihen dem Gebäude aus der Mitte des Jahrhunderts eine Anmutung von retro und futuristisch zugleich. Die Lobby ist kreisförmig und schwindelerregend hoch. Sie beginnt dreißig Meter unter mir und reicht weitere dreißig Meter über meinen Standpunkt hinaus. Von oben führt eine an der Wand verlaufende Rampe am Restaurant und der Bar vorbei bis ganz nach unten. Ebene für Ebene voller Büros und Geschäfte, alles durch Aufzüge und die Rampe miteinander verbunden wie ein in die Höhe gebautes Einkaufszentrum. Der zentrale Blickfang aber ist die an der Decke aufgehängte Stange mit der astronomischen Uhr aus massivem Messing am unteren Ende, die nur ein paar Zentimeter über dem Boden schwebt.

Mena kommt gerade aus dem Spa auf der anderen Seite des Abgrunds, sie trägt ihre schwarz-weiße Kellnerinnen-Uniform und ein leeres Tablett. Ihr gewelltes Haar ist zu einem straffen Pferdeschwanz zurückgebunden, und ihr präziser Hüftschwung erinnert mich an die Bewegungen eines Panthers. Mein Herzschlag überbrückt den leeren Raum zwischen uns, und ich überlege, ihr etwas zuzurufen. Aber bevor ich den Mund öffnen kann, biegt sie um eine Ecke und verschwindet.

Mena.

Ich weiß, dass sie in Wirklichkeit gar nicht da ist.

Aber sie ist außerdem der Grund, warum ich hier nicht wegkann.

Denn was, wenn ich weggehe und sie nie wiedersehe ?

Wie soll ich das Tamworth erklären ? Oder irgendjemand anderem ?

Wenn ich es versuche, schicken sie mich mit Sicherheit weg.

Und für einen kurzen Moment denke ich dasselbe, was ich jedes Mal denke, wenn ich Mena sehe: eine fünfminütige Straßenbahnfahrt. Mehr bräuchte es nicht. Ich müsste nur bereit sein, die Regeln zu brechen, die einzuhalten ich geschworen habe, und dabei möglicherweise die Realität zu zerstören.

Es gibt Tage, da scheint es mir das wert.

»Ein schwerer Schneesturm ist im Anmarsch«, sagt Ruby. »Unwetterwarnung. Gefährliche Reisebedingungen.«

Die Meldung reißt mich aus meiner Benommenheit, ich atme einmal tief durch und wende mich der Drohne zu, die wie ein schwebendes Fernglas aussieht. Sie dreht sich in meine Richtung und lässt die Kulleraugen rollen, die ich ihr auf die Objektive geklebt habe.

»Immer musst du alles kaputt machen«, sage ich.

»Ich tue nur meinen Job.«

Jetzt sollte ich mich an die Arbeit machen. Die Uhr in der Lobby zeigt 9:17. Ich sehe dem Sekundenzeiger dabei zu, wie er über das Zifferblatt tickt.

9:17:24

9:17:25

9:17:26

9:17:25

9:15:26

9:15:27

9:15:28 …

Eine Bewegung in der Lobby erregt meine Aufmerksamkeit. Unzählige Leute schleppen Rollkoffer durch den Tunnel von Einstein. Die Schlangen an den drei Schaltern, die die Uhr umgeben, sind lang und werden immer noch länger. Cameo managt den Empfang, und die Check-in-Schalter sind besetzt. Trotzdem stehen alle im Stau. Ich bin nicht erfreut.

»Was hat es mit diesen Leuten auf sich, Rubes ?«

»Es scheint, als gäbe es bei Einstein Probleme, die zu ein paar Flugannullierungen geführt haben«, antwortet er. »Außerdem habe ich eine Nachricht von Reg, dass er Sie sprechen muss.«

»Warum ?«

»Mehr weiß ich nicht.«

»Habe ich dir nicht gesagt, dass du keine unvollständigen Nachrichten annehmen sollst ? Du hättest ihn anpingen und weitere Informationen erbitten sollen.«

Ruby zögert ein paar Sekunden, bevor er antwortet. »Ich hatte keine Lust dazu.«

»Danke.«

»Sie haben mich zu dem gemacht, was ich bin.«

Ich schlage nach ihm, aber er weicht aus.

»Es würde helfen, wenn Sie ein bisschen schneller wären«, kommentiert Ruby.

Wie auch immer. Ich lasse den Aufzug Aufzug sein und nehme die gewundene Rampe hinunter in die Lobby, wo meine Leinenschuhe auf dem Marmorboden quietschen. An der Wand hängt ein großer ovaler Bildschirm, auf dem die nächsten Flüge angezeigt werden.

QR3345 – Altägypten – VERSPÄTET

RZ5902 – Schlacht von Gettysburg – VERSPÄTET

ZE5522 – Trias-Zeit – VERSPÄTET

HU0193 – Renaissance – VERSPÄTET

Das kann ja heiter werden•

 

Rob Hart: Paradox Hotel  Roman • Aus dem Amerikanischen übersetzt von Michael Pfingstl • Wilhelm Heyne Verlag, München 2022 • 448 Seiten • als Paperback und E-Book erhältlich • Preis des Paperbacks € 15,00 (im Shop)

 

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