30. Januar 2016 3 Likes

Roter Mars

Kim Stanley Robinsons Meisterwerk entwirft eine atemberaubende Zukunftsvision auf zwei Planeten

Lesezeit: 5 min.

In den 1970er Jahren gelang den beiden Viking-Sonden der NASA die erste Landung auf dem Mars. Sie schickten beeindruckende Aufnahmen von der Marsoberfläche, darunter auch stereoskopische 3-D-Bilder. Kim Stanley Robinson, der gerne in der Sierra Nevada wandern geht, verspürte beim Anblick der Bilder den Wunsch, eines Tages auch auf dem Mars bergsteigen gehen zu können. Wie ihm schnell klar wurde, wäre das allerdings nur auf einem terrageformten Mars möglich – und das wiederum erschien ihm als eine hervorragende Idee für einen Roman. Nach jahrzehntelanger Recherche begann er 1989 mit dem Schreiben von Roter Mars, stellte dabei jedoch fest, dass er eine Trilogie brauchen würde, um die Geschichte über die größte Herausforderung der Menschheit zu erzählen.

2026 brechen in Roter Mars die ersten hundert Kolonisten, fünfzig Männer und fünfzig Frauen aus unterschiedlichen Ländern, zum Mars auf. Obwohl ihr Schiff, die Ares, gigantisch groß ist, ist der neunmonatige Aufenthalt in geschlossenen Räumen dennoch eine Herausforderung, von Gefahren wie Sonnenstürmen, die die Besatzung bedrohen, ganz zu schweigen. Auf dem Mars angekommen, beginnen sie mit dem Aufbau der ersten Siedlung auf dem absolut lebensfeindlichen Planeten, den sie nach und nach zu einer zweiten Erde, einem Grünen und schließlich einem Blauen Mars, machen wollen.

Bei Robinson ist die Kolonisation des Mars ein nationales Unterfangen. Obwohl die Besatzung der Ares, die als die Ersten Hundert in die Geschichte eingehen wird, international ist, stellen die Hauptkostenträger USA und Russland die größten Kontingente und verschaffen sich so mehr Einfluss. Dieser ist die ganze Trilogie hindurch zu spüren, auch wenn eigentlich die (ziemlich schwache und käufliche) UN die Aufsicht über das Kolonisierungsprojekt hat. Allerdings rechnen weder die einzelnen Staaten noch die UN-Machthaber mit den Kolonisten selbst. Denn bereits früh in Roter Mars wird deutlich, dass einige von ihnen durchaus eigene Ziele verfolgen.

Das von Beginn an alles beherrschende Thema in Robinsons Mars-Trilogie ist das Terraforming, dessen Einfluss sich nicht nur auf den rein technischen Aspekt beschränkt. Vielmehr wird in Grüner Mars und Blauer Mars deutlich, dass dieses Mammutprojekt sich auf nahezu alle Gesellschaftsbereiche ausweitet. Zur Überraschung der Öffentlichkeit auf der Erde, die alle Vorgänge und Debatten an Bord der Ares und später in der ersten Siedlung über das Fernsehen verfolgt, zeigen die Ersten Hundert keine Einigkeit in dieser Sache. Die Befürworter des Terraformings, angeführt von dem Physiker Sax Russell, fordern eine schnellstmögliche Umwandlung des Mars von einer lebensfeindlichen, kalten Wüste in einen zweiten blauen Planeten. Ihre Gegner, die sich später die „Roten“ nennen und von der Geologin Ann Clayborne angeführt werden, verlangen, dass der Mars so, wie er ist, geschützt werden muss. Im Verlauf des ersten Romans zeichnet sich ab, dass in diesem Streit der „Fortschritt“, personifiziert von Sax Russell, siegen und Clayborne verlieren wird, schon allein deswegen, weil sie weiß, dass sie bereits verloren hat:

Ich meine, ich schaue auf dieses Land, und … und ich liebe es. Ich möchte immer draußen sein und es bereisen, es studieren, darauf leben und es kennenlernen. Aber wenn ich das tue, dann verändere ich es. Ich zerstöre das, was ich liebe und darin sehe. 

Doch man sollte die Roten in der Trilogie nicht zu schnell abschreiben, denn gerade diese Liebe zum Mars hinterlässt einen bleibenden Eindruck.

Das Terraformen eines ganzen Planeten wird immer wieder mit dem Bau der Kathedralen im Mittelalter verglichen, denn diejenigen, die diesen Prozess initiieren, erleben das Resultat nicht mehr. Um Jahrzehnte abdecken zu können, greift Robinson zu einem Trick: Er lässt die Wissenschaftler der Ersten Hundert, angeführt von Vlad Taneev, Ursula Kohl und Marina Tokareva, die sogenannte „Langlebigkeitsbehandlung“ erfinden, eine Art Gentherapie gegen das Altern. Sie hat jedoch weitreichende Konsequenzen, nicht nur auf dem Mars, sondern vor allem auf der überbevölkerten Erde, auf der einzelne Nationen den Mars von Anfang an als eine Art Ventil für ihre Bevölkerungsprobleme sieht.
Neben der Aufspaltung in Terraformingbefürworter und -gegner zeichnet sich unter den Ersten Hundert noch eine Kluft ab, die nicht minder drastisch ist. Denn einige der Kolonisten, allen voran der Russe Arkady Bogdanov, wollen die Befehle ihrer Heimatländer, die sie bewusst für immer hinter sich gelassen haben, nicht länger befolgen. Sie gründen schließlich die erste Zivilisation auf dem Mars. Warum also nicht etwas gänzlich Neues, etwas Besseres, versuchen?

Wir sind von unseren Regierungen hierhergeschickt worden, und alle unsere Regierungen haben Fehler, die meisten sogar katastrophale. Darum ist die Geschichte so ein blutiger Dreck. Jetzt sind wir auf uns allein gestellt, und ich für meinen Teil habe keine Lust, alle Fehler der Erdgeschichte zu wiederholen – nur wegen konventioneller Denkweisen. Wir sind die ersten Kolonisten auf dem Mars! Wir sind Wissenschaftler! Es ist unser Beruf, neue Dinge zu entdecken und zu entwickeln.

Es erweist sich jedoch als schwierig, irdische Gewohnheiten und Denkweisen hinter sich zu lassen. Vor allem die Anführer der Mission, der Amerikaner Frank Chalmers und die Russin Maya Toitovna, wollen an den Machtstrukturen, die sie haben aufsteigen lassen, festhalten. Die Position zwischen dem Revoluzzer Arkady und dem Realpolitiker Chalmers nimmt John Boone ein, der erste Mensch auf dem Mars. Er versucht, eine genuin marsianische Denkweise zu schaffen. Seiner Meinung nach verändern nicht nur die Menschen den Mars durch Terraforming, sondern der Mars areoformt seinerseits auch seine Bewohner. Wegen dieser Einstellung und seiner allgemeinen Beliebtheit wird Boone, der wie Frank obendrein in Maya verliebt ist, seinem Freund Frank Chalmers gefährlich – mit fatalen Konsequenzen.

Doch zunächst, und darauf liegt der Fokus in Roter Mars, müssen die Kolonisten zusammenarbeiten, um zu überleben. Erst Jahre später unter dem Druck der unterschiedlichsten Ereignisse – Terraforming, Ökoterrorismus, Einwanderung, der Kontrolle durch die Erde - wird deutlich, wie hochexplosiv die politische, ökonomische und soziale Situation auf beiden Planeten wirklich ist. Und als das Pulverfass schließlich hochgeht, ist nichts mehr so, wie es einmal war …

Kim Stanley Robinson: Roter Mars • Roman • Aus dem Amerikanischen von Winfried Petry • Wilhelm Heyne Verlag, München 2015 • 816 Seiten • Paperback • € 14,99 • im Shop

Die Fortsetzungen zu Roter Mars, Grüner Mars und Blauer Mars sowie Robinsons Roman 2312, finden Sie ebenfalls in unserem Shop

Kommentare

Zum Verfassen von Kommentaren bitte Anmelden oder Registrieren.
Sie benötigen einen Webbrowser mit aktiviertem JavaScript um alle Features dieser Seite nutzen zu können.