30. September 2018

>>Wiederentdeckt: „Black Summer“ von Warren Ellis & Juan José Ryp

Oder: Die zeitlose amerikanische Super-Krise

Lesezeit: 4 min.

Manchmal gibt es Romane, Comics, Filme oder Musik, die in der Zeit ihrer Entstehung durchs Raster fallen. Die veröffentlicht werden und dann einfach – verschwinden. Verschwinden, oder unverdienterweise vergessen werden. Manchmal lohnt sich aber ein zweiter Blick.

Vor gut zehn Jahren brachte der britische Comic-Gott und Science-Fiction-Crack Warren Ellis, dem wir Meisterwerke wie „Transmetropolitan“, „Planetary“, „The Authority“, „Fell“ und „Trees“ verdanken, eine wahre Flut an neuen Panel-Werken beim US-Verlag Avatar Press heraus, der Heimat von Garth Ennis’ erbarmungslosem postapokalyptischen „Crossed“-Universum und Alan Moores anspruchsvoller Lovecraft-Huldigung „Providence“. Einer der damaligen Ellis-Titel, der die Zeit trotz seiner engen Beziehung zur amerikanischen Politik der Ära George W. Bush bemerkenswert gut überstanden hat, ist „Black Summer“. Die acht Einzelhefte, die der Spanier Juan José Ryp zeichnete, wurden im Englischen in einem dicken Sammelband zusammengetragen, den man durchaus mal wieder hervorkramen kann.

Schließlich beginnt „Black Summer“ mit John Horus, dem mächtigsten und bekanntesten amerikanischen Superhelden, der den US-Präsidenten im Oval Office umbringt, weil Horus den fragwürdigen Anführer der freien Welt für einen Kriminellen hält und faire Neuwahlen möchte, die sein Land in eine bessere, gerechtere Zukunft führen. Die Folgen des blutigen Anschlags, den Horus keineswegs als Staatsstreich sieht und der Frieden und Freiheit zurückbringen soll, sind absehbar. Das US-Militär greift Horus, aber auch seine alten Teamkameraden von den Seven Guns an, die sich ursprünglich einmal durch Hightech-Implantate in Superwesen verwandeln ließen, um gegen Korruption, Söldner und soziale Ungerechtigkeit in ihrer Heimat zu kämpfen. Das ist lange her, und nach Horus’ Aktion führt die Wiedervereinigung der übrigen Seven Guns nur dazu, dass der Konflikt zwischen den Superhelden und der Armee immer brutaler wird und immer mehr Opfer fordert …

Juan José Ryp ist genau der richtige Mann, um diesen Konflikt auf amerikanischem Boden, der Russland seine Truppen aktivieren und haufenweise US-Flüchtlinge nach Kanada strömen lässt, visuell darzustellen. Ryp ist so eine Art schmutziger Geoff „Hardboiled“ Darrow, der ebenfalls dem zeichnerischen Detailwahnsinn frönt. Auf diese Weise bebilderte Ryp für die Comic-Märkte dieser Welt u. a. Ellis’ Fantasy-Satire „Wolfskin“, Frank Millers „RoboCop“, „Rogues!“ und „Nancy in Hell“ von El Torres, Peter Milligans „Britannia“, Charlie Hustons „Wolverine“ sowie Geschichten mit Superman, Batman oder dem Punisher. Ryp besticht dabei nicht als der feinste Storyteller oder der eleganteste Zeichner aller Zeiten, aber sein Stil ist definitiv etwas Besonderes und oft genug ein Hingucker, und sei es nur in Momenten blutiger Materialschlachten. Auch muss man es dem 1971 geborenen Spanier hoch anrechnen, dass er als König des Comic-Gore nicht nur dann massig Details in seine Panels und Seiten packt, wenn Innereien, Extremitäten und anderes durch die Gegend fliegen, sondern so gut wie jede Szene beflissen detailreich gestaltet.

Warren Ellis indes bedient sich für „Black Summer“ vor allem an Details seines eigenen Schaffens für das alte WildStorm-Universum, genauer gesagt für die von ihm geprägten Serien „Stormwatch“ und „The Authority“. Diese machten den bärtigen Engländer nach seiner Zeit mit Marvels Mutanten endgültig zum Topautor, da er die US-Superhelden weiter an die raue Wirklichkeit heranführte. Zugleich setzte Ellis auf Konzepte und Figurentypen, die dem Geist der von Jim Lee und Co. dominierten Superhelden-Neunziger folgten. Auf überlebensgroße Super-Teams mit Metas, Mutanten und Aliens, die in ebenso realistischen wie düsteren Szenarien zur komplexen, schmutzigen Welt der Geheimdienste und der Geo-Politik gehören – dank Ellis sprang der Geist dieser Black-Operation-Superheroes ins neue Jahrtausend. Gut möglich und sogar sehr wahrscheinlich, dass Ellis in „Black Summer“ konkret Ideen für „The Authority“ nutzte, die ihm bei WildStorm bzw. DC kein Redakteur hätte durchgehen lassen. Am Ende stehen „The Authority“ und „Black Summer“ gar in der Tradition und dem unentrinnbaren Schatten des Übermeilensteins „Watchmen“, wobei Ellis das Genre auf wesentlich oberflächlichere, leichter verdaulichere dekonstruiert als Moore und da dann doch Welten dazwischen liegen. Die Fragen, die sie stellen, sind dennoch die gleichen: Wer bewacht die Wächter? Wie weit dürfen die Supergötter gehen? Wo verläuft für diese Mächtigen die Grenze?

Die plakative Mischung aus realistischen Gefahren und möglichst mächtigen, brutalen Superhelden mit unübersehbar menschlichen Schwächen und Dilemmas – und einem entsprechenden Hang zur Hybris – hat in den 80ern und 90er mit großem Erfolg funktioniert, zündete in der Post-9/11-Welt des Irak-Kriegs, und taugt auch heute noch. Und das ist letztlich das Erstaunliche und Erschreckende an diesem Panel-Werk mit seiner relativ simplen Geschichte einer Gruppe Superhelden, die plötzlich gegen ihr Land und seine Soldaten kämpfen müssen: Ellis hat „Black Summer“ für eine andere Zeit und für einen anderen kritisch betrachteten Präsidenten geschrieben – eigentlich unfassbar, dass sein Comic inklusive der grellen Prämisse und der Frage danach, mit welchen Übeln man andere Übel bekämpfen darf oder nicht, mehr als ein Jahrzehnt später dermaßen aktuell und wirklichkeitsnah wirkt.

Und das ist der wahre Grund, wieso „Black Summer“ noch immer aus Mr. Ellis’ Avatar-Schaffen und seiner riesigen Backlist hervorragt.

Warren Ellis & Juan Jose Ryp: Black Summer Avatar Press, Rantoul 2008 • 208 Seiten • Tradepaperback: $24,99 • Sprache: Englisch • Abb: © 2007 Avatar Press

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