14. Februar 2023

Fantasy Filmfest White Nights 2023

Koreanisches Metzelmonster, amerikanische Nazi-Schnepfen und mehr

Lesezeit: 6 min.

Zum ersten Mal seit 2020 fanden wieder die Fantasy Filmfest White Nights statt, ein kleiner, zweitägiger Winter-Ableger des regulären Filmfests, und erfreute mit einem ausgewogenen Programm, dass zwischen ultra-ultra-ultra-hart und eher zart für jeden was zu bieten hatte.

Für uns interessant:

 

1. Project Wolf Hunting (Südkorea 2022)

Worum geht’s? Das ist eigentlich egal, denn der Film reicht seinen Plot erst gegen Ende rein und der ist nicht nur aus Filmen wie „Universal Soldier“ bestens bekannt, sondern wurde hier nur ins Drehbuch reingeschrieben, um irgendeinen Grund für eine Fortsetzung zu haben. Das Geschehen davor kann man jedenfalls in einem kurzen Satz beschreiben: Polizisten und Gangster gehen in der Enge eines Frachtschiffs aufeinander los, Monster kommt dazu.

Lohnt sich? Der Saal war aber natürlich trotzdem zum Bersten voll, denn die koreanische Produktion wurde vollmundig als „härtester Film des Jahres“ beworben, und wenn eine Blutwurst an der Angel hängt, beißen natürlich alle zu. Und ja, das Versprechen wurde gehalten (wobei wir natürlich auch erst Februar haben). Unter anderem werden Ohren abgebissen, Kehlen rausgerissen, Brustkörbe zerquetscht, Schädel zertrümmert, Messer durch Hälse gerammt, zudem wird eine Leiche angepisst. Das ist dank großer Lust an heilloser Übertreibung (menschlicher Körper scheinen hier in erster Linie aus Blut zu bestehen), schlechtem Geschmack und einer Priese Humor durchaus unterhaltsam, aber natürlich alles andere als „hart“, sondern mutet eher wie ein „Itchy & Scratchy“-mäßiger Action-Cartoon an. Ähnlich aber wie neulich „Terrifier 2“ kann sich auch „Project Wolf Hunting“ nicht auf einen flotten 90-Minuten-Spaß beschränken, sondern bläst den dünnen Inhalt dank dem allgegenwärtigen Serialisierungszwang auf 120 Minuten auf, was schlichtweg die Folge hat, dass dem Ganzen mit zunehmender Laufzeit allmählich die Luft ausgeht und man beim Abspann keine große Lust auf die sich bereits in Produktion befindlichen nächsten zwei Filme (Prequel und Sequel) verspürt.

Der Metzel-Marathon wird ab dem zweiten März ungeschnitten regulär im deutschen Kino laufen.

 

2. Soft & Quiet (USA 2022)

Worum geht’s? Grundschullehrerin Emily trifft sich mit ein paar Gleichgesinnten zum Kaffeekränzchen, besprochen werden allerdings nicht der neuste Tratsch oder aktuelle Modekollektionen, sondern die Zukunft Amerikas, die ist nämlich bedroht – zumindest in den Augen der Frauen: Überall Ausländer! Was soll das bitte mit dem Feminismus? Und erst dieser Quatsch mit der Inklusion und der Diversität! So darf das nicht weitergehen! Die „Daughters for Aryan Unity“ schmieden beim Hakenkreuz-Apfelkuchen Pläne, um ihre Heimat vor der feindlichen Übernahme zu retten. Um die Zukunftsvision entsprechend zu feiern, verschlägt’s die Frauen in einen Spirituosenladen, der wenig später von zwei asiatischstämmigen Frauen betreten wird, die sich einem aggressiven Mob gegenübersehen …

Lohnt sich? Nach der „Purge“-Franchise (u.a. „The Purge: Anarchy“, „The Forever Purge“) nun also weiteres politisch aufgeladenes Genrekino von den „Blumhouse“-Studios. Während das Geschehen von „The Purge“ noch um ein paar Jahre in die Zukunft verlagert wurde, ist der Debütfilm von Beth de Araújo in der Gegenwart angesiedelt, aber dennoch spielt die Zukunft eine große Rolle, denn zappendustere, zum Teil persönlichen Enttäuschungen entwachsene, dystopische Zukunftsvisionen lassen den Blick der Protagonistinnen auf die Gegenwart zu einem Tunnel werden. Der als One-Take gedrehte und dadurch eine unheimliche Direktheit entwickelnde Film führt in der ersten Hälfte mit tollen Darstellerinnen und satirischer Galligkeit in etwa eine Horrorversion der „Desperate Housewives“ vor, um dann in der zweiten Hälfte in einen intensiven, aber dennoch recht konventionellen und gelegentlich am Rand der Glaubwürdigkeit kratzenden Home-Invasion-Thriller zu kippen, der sich dadurch abhebt, dass die Täter hier ausschließlich Frauen sind. Araújos Film ist definitiv sehenswert, muss sich aber vorwerfen lassen, deutlich mehr Interesse an Sensationalismus zu haben als sich auf seine gewichtigen Themen einzulassen, zu Erkenntnissen gelangt der Film nämlich nicht.

 

3. Nocebo (Großbritannien, Irland, Philippinen, USA 2022)

Worum geht’s? Christine stellt ihre neuste Modekollektion vor, doch als die Designerin wegen einem Anruf den Saal verlässt, wird sie von einem räudigen Hund angefallen, mit Zecken übersäht und bricht zusammen. Monate später leidet die junge Frau unter einer mysteriösen Krankheit, die sie schwächt und Gedächtnislücken auslöst. Eines Tages steht die Filipina Diana vor der Tür, behauptet, dass Christine sie als Haushaltshilfe angestellt hat und macht sich bald unverzichtbar, was vor allem daran liegt, dass Diana sich in traditioneller Heilkunst auskennt und die allerlei Pharmazeutika schluckende Christine zu neuen gesundheitlichen Höhen verhilft. Doch über der immer enger werdenden Symbiose der beiden Frauen liegt ein Schatten, denn Diana verbirgt etwas …

Lohnt sich? Die dritte Regie-Arbeit von Lorcan Finnegan, dessen nicht perfekter, aber dennoch sehenswerter „Vivarium“ 2020 gnadenlos versenkt wurde und dessen Erstling „Without Name“ von 2016 ich dieses Jahr endlich mal gucken muss, serviert hier einen schwer kategorisierbaren Film, der sich – nur um zumindest mal Eckpfeiler zu nennen – irgendwo zwischen okkultem Folk-Grusel, Satire und den Werken der Cronenbergs bewegt. Trotz einer klar sozialkritischen Seite und der wie immer wunderbaren Eva Green wird aber auch „Nocebo“ dank seiner Versponnenheit keine Chance auf eine breitflächigere Auswertung haben. Halt was für Genießer.

 

4. Limbo (Hongkong 2021)

Worum geht’s? In Hongkong geht ein Serienkiller um! In den Gassen werden immer mehr Leichen mit abtrennten Händen aufgefunden! Ein Psychopath sucht offenbar seine Opfer gezielt in den untersten Schichten der Gesellschaft. Die Cops Will und Cham werden mit der Suche beauftragt, was mit Komplikationen verbunden ist, denn die beiden könnten nicht unterschiedlicher sein: Will kommt gerade von der Polizeischule, Cham ist ein abgebrühter, alter Hase, der zudem an einem schweren Trauma leidet: Frau und Tochter wurden von der drogenabhängigen Wong To überfahren, die eines Tages wieder seinen Weg kreuzt …

Lohnt sich? An der Oberfläche ein konventioneller und recht simpler Thriller, der durch die famose Inszenierungskunst von Soi Cheang („Dog Bite Dog“, 2006) aber zu einem Erlebnis wird. Die Handlung spielt zwar in der Gegenwart, aber in einem Hongkong, das mit dem realen nur wenig zu tun hat, sondern eher das Äquivalent zur Gefängnisinsel aus John Carpenters Science-Fiction-Klassiker „Die Klapperschlange“ (1981) darstellt, in den Panorama-Aufnahmen aber ebenso an die Mega-City One aus der „Judge Dredd“-Franchise erinnert. Jedenfalls eine in atemberaubenden, gestochen scharfen Schwarz-Weiß-Bildern eingefangene Vorhölle aus wenig Licht und viel Schatten: Die düsteren, dreckigen Gassen sind übersäht mit bergeweise Müll, die Cops müssen nur so durch den Dreck waten und das bei permanentem Regen. Die dystopische Atmosphäre wird in einem ausgiebigen, aber keine Minute zu langen Finale aufs Äußerste verdichtet: Wenn die beiden Cops im unaufhörlich niederprasselnden Regen auf den schier übermächtigen Gegner treffen, geht endgültig jedes Gefühl für Zeit und Raum des Films verloren und man würde sich nicht wundern, wenn sich einer der Herren (oder alle) im nächsten Augenblick als Replikanten entpuppen und Vangelis’ Synthesizer aufheulen.

Doch ins Gedächtnis brennen wird sich der Film wegen einer Figur, die erst am Rand steht, aber immer mehr zum Herz des Geschehens wird. Nicht die psychotischen, unfähigen Cops sind die Helden: Wong To, die unfassbar viel erdulden muss, was „Limbo“ den Vorwurf der Frauenfeindlichkeit eingebracht hat, gibt der Unterschicht, den Ausgestoßenen, den von der Gesellschaft Verdrängten, Vergessenen, ein ungemein willensstarkes, kämpferisches Gesicht (und lässt nebenbei die Männer ganz schön schwach aussehen) – ein Gesicht, an das man noch lange denken wird. Capelight hat die Rechte für Deutschland, leider ist wohl keine Kino-Auswertung geplant.

Abb. ganz oben: „Project Wolf Hunting“

Kommentare

Zum Verfassen von Kommentaren bitte Anmelden oder Registrieren.
Sie benötigen einen Webbrowser mit aktiviertem JavaScript um alle Features dieser Seite nutzen zu können.