13. August 2021 1 Likes

Feature: „New Order - Die neue Weltordnung“

Pro und Contra zum Film von Michel Franco

Lesezeit: 6 min.

Klar kann man über Geschmack nicht streiten, aber es ist vielleicht doch ein Unterschied, ob es darum geht, ob „Suicide Squad“ nun besser oder schlechter ist als „The Suicide Squad“ oder so relevante Dinge im Mittelpunkt stehen, wie sie der mexikanische Filmemacher Michel Franco in seinem neuen Streifen „New Order - Die neue Weltordnung“ beschreibt. Der sorgte bereits auf diversen Filmfestivals für aufgeregte Diskussionen, und auch in unserer Redaktion herrschte Uneinigkeit, weshalb wir diesmal gerne einmal zwei Meinungen zu diesem auf jeden Fall ungewöhnlichen Film vorstellen.

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PRO: Die Welt am Abgrund - Michel Francos harsche, unbarmherzige Dystopie

Gemeinhin arbeitet das Kino mit Sympathieträgern, mit Figuren, die das Publikum einladen, sich mit ihnen zu identifizieren, mit ihnen zu fiebern, ihnen auch das ein oder andere nachzusehen, das man in der Realität nicht ohne weiteres akzeptieren würde. Selbst Antihelden sind nur in den seltensten Fällen komplett unattraktiv gezeichnet, mögen zwar auf den ersten Blick ungesetzlich oder unmoralisch agieren, doch auf den zweiten erkennt man, dass sie eigentlich hehre Absichten verfolgen.

Was macht man nun aber, wenn praktisch keine Figur eines Film zur Identifikation einlädt, wenn eine Welt gezeigt wird, die durch und durch verkommen ist? So eine abgründige Welt beschreibt der mexikanische Regisseur Michel Franco in seinem alptraumhaften Film „New Order“, der betont harmlos beginnt. Die Vorbereitungen einer Hochzeit sieht man, in einem offensichtlich sündhaftteuren Designerhaus in einem Reichenviertel von Mexico-City. Die ausschließlich weißen Gäste tragen teure Anzüge und Kleider, der Schmuck glitzert, der Champagner fließt. Die Bediensteten sind dagegen indigene Menschen, die zwar einen Job haben, aber eben doch kaum mehr als Menschen zweiter Klasse sind.

Heiraten soll Marianne (Naian González Norvind), die nervös umherstreift und die irritierenden Momente ignoriert, deren Einschläge immer dichter werden: Für einen Moment fließt grüne Flüssigkeit aus dem Wasserhahn, die Limousine eines Besuchers wurde mit grüner Farbe beschmiert, ein anderer berichtet von einem Mob in der Innenstadt. Und dann steht Rolando (Eligio Meléndez) vor der Tür, ein ehemaliger Angestellter, der um Geld für die Operation seiner Frau bittet. Ein lästiger Besuch, gerade an diesem Tag, dementsprechend wird Rolando behandelt, allein Marianne hat Sympathien, doch das wird ihr nicht helfen, denn die Revolution beginnt.

Horden von Protestlern stürmen das Haus, wollen Geld, wollen endlich das, von dem sie glauben, dass es ihnen zusteht. Und in der Stadt eskaliert die Situation, Straßen brennen, Rauchschwaden steigen auf. Auch Marianne gerät in Gefangenschaft, doch nicht etwa in die Hände der 99%.

Arm gegen Reich, Oberschicht gegen den Rest der mexikanischen Bevölkerung, so einfach läuft es hier nicht. Michel Franco hat eine düstere Vision im Auge, skizziert in groben Strichen, in einem kaum 80-minütigen Film, wie die Revolution missbraucht und pervertiert wird. Denn was wäre eine Revolution in einem lateinamerikanischen Land, wenn sich das Militär nicht einmischen würde?

Mit schonungsloser Konsequenz spielt Michel Franco durch, was passieren könnte, wenn eine der vielen Protestbewegungen, die in den letzten Jahren in immer mehr Ländern der Welt aufbranden, tatsächlich einmal versuchen würde, einen Umsturz herbeizuführen. Gerade in linken Kreisen werden Revolutionen oft verklärt, wird der Kampf gegen ein autokratisches Regime, der Sturz eines Diktators als Schlusspunkt betrachtet, der alle Probleme löst. Doch was kommt danach? Gegen etwas zu sein ist einfacher als für etwas, etwas zu zerstören einfacher als etwas aufzubauen. Dass kaum eine Revolution von unten, die ein autokratisches Regime stürzte, tatsächlich zu einer Demokratie führte, davon können die Kubaner, die Vietnamesen und zahllose afrikanische Völker berichten. Michel Franco spielt dieses Muster nun am Beispiel Mexikos durch, zeigt die im Reichtum badenden, korrupten 1% und zeigt dann, dass ihr Sturz auch keine Lösung ist. Das mag man nicht gerne sehen, dürfte der Wahrheit aber näher kommen als verklärte Revolutionsromantik. Michael Meyns

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CONTRA: Lauter die Kopfschüsse nie klingen - nichts als heiße Luft

Was ich in den letzten Jahren gelernt habe: Wenn ein Regisseur breitbeinig daherkommt und  in Interviews seinen Film als „Warnung vor der wachsende Ungleichheit in der Welt“ anpreist oder der Presse andere – natürlich immer maximal wichtige – Bedeutungsebenen in die Federn diktiert, kann man davon ausgehen, dass jede Menge heiße Luft im Spiel ist. Das war mit „Serbian Film“ (2010) so, das verhält sich mit „New Order – Die neue Weltordnung“ von Michel Franco nicht anders. Francos Film erzählt von … nein, erzählt ist hier eindeutig das falsche Wort.

In den ersten Minuten gibt es ein Setup, von dem aus die Figuren dann von Station zu Station weiter geschoben werden. Der Film beginnt jedenfalls mit einer Hochzeitsfeier der feinen Gesellschaft. Drinnen wird das gemacht, was man auf Upperclass-Hochzeitsfeiern halt offenbar für gewöhnlich so macht (tanzen, schäkern, saufen, Drogen nehmen), draußen demonstrieren die Unterprivilegierten gegen die da oben, zudem steht Rolando (Eligio Meléndez), der frühere Angestellte der Familie vor dem Eingang und bittet um Geld für die Operation seiner Frau, denn die benötigt dringend eine neue Herzklappe. Die reiche Familie ist natürlich wenig amused und rückt nur widerwillig ein paar Kröten raus. Ausnahme: Marianne (Naian González Norvind), die Tochter und Braut, ist ganz wild drauf zu helfen und verlässt zu diesem Zweck sogar ihre eigene Hochzeit, um zusammen mit Rolandos Neffe Cristian die benötigten Mittel aufzutreiben.

Diese ersten Minuten lassen Fragen aufkommen: Inwieweit ist man eigentlich überhaupt – auch als noch so reicher Bonze – verpflichtet, einem Ex-Angestellten zu helfen, der sich seit Jahre nicht mehr hat blicken lassen, urplötzlich auf eine Hochzeitsfeier platzt und einen ganzen Haufen Geld will? Warum schnappt Marianne am schönsten Tag ihres Lebens schier über, als ihr ein Ex-Angestellter, den sie seit Jahren nicht mehr gesehen hat, sein Problem schildert und hat plötzlich nichts, aber auch gar nichts mehr anderes im Kopf, als zu helfen (der einzige Charakterzug, der ihr das Drehbuch bewilligt, wodurch sie zur einzigen Figur wird, die so was wie Charakter hat)? Eine Erklärung, wie zum Beispiel, dass Roland die Familie vor vielen Jahren mal vor einer Horde Gangster gerettet hat und dabei fast draufgegangen wäre und man ihm deswegen jetzt echt helfen sollte, egal, wie viel Jahre vergangen sind, oder ähnliches, wird nicht geliefert, die Figuren stehen komplett unverbunden im Raum.

Und genauso geht es weiter: Die Party wird von einer Gruppe der Demonstranten gesprengt und die beginnt mit tatkräftiger Unterstützung der Hausangestellten zu Plündern und zu Morden. Wieso es plötzlich zur totalen Eskalation kommt? Wieso sich Hausangestellte von einem Moment auf den nächsten hämisch lächelnd die Taschen mit Wertsachen voll stopfen, während nebenan ihre Arbeitgeber ermordet werden? Franco zeigt lediglich eine gesichtslose Masse an dunkelhäutigen Wilden, die verlotterte Upperclass-Weiße ausrauben und töten. Eine durch und durch klischeetrunkene Darstellung, die ihm bereits im Heimatland völlig zu Recht viel Kritik eingebracht hat. Ähnlich die Geschehnisse um Marianne: Die landet auf ihrer Rettungsmission nämlich in einem paramilitärischen Folterlager, denn das Militär hat nach den Krawallen ein Regime errichtet. Ursprung und politische Motive? Man weiß es nicht.

Dafür rutscht der Film spätestens bei der Szene, in der die Gefangenen nackt mit dem Wasserschlauch abgespritzt werden von Michel in Richtung Jess Franco, es überrascht nicht, dass wenig später einer der Gefangenen einen elektrischen Viehtreiber in den Popo geschoben bekommt. Während der sträflich unterschätzte Spanier aus dem Stoff aber einen dieser für ihn so typischen, kunterbunt-obszönen Eigenwilligkeiten gemacht hätte, suhlt sich sein Namensvetter in reinen Nihilismus: Es wird einfach alles immer schlimmer und schlimmer und schlimmer. Zurück bleibt aber nur die Erinnerung an zahlreiche laut vertonte Kopfschüsse. Thorsten Hanisch

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New Order – Die neue Weltordnung“ (Mexiko 2020) • Regie: Michel Franco • Darsteller: Mónica del Carmen, Naián González Norvind, Diego Boneta, Fernando Cualetie, Eligio Meléndez • Kinostart: 12. August 2021

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