23. Juni 2017 2 Likes

Mystik, Free Jazz und Black Power

Sun Ras „Space is the Place“ ist auch 40 Jahre später ebenso bizarr wie relevant

Lesezeit: 3 min.

Was das Erweckungserlebnis von Herman Poole Blount bewirkte ist nicht so ganz klar, man kann aber schwer davon ausgehen, dass es mit mehr oder weniger starken Drogen zu tun hat. Die Lektüre des sogenannten „Book of Urantia“, einem 2000 Seiten Werk unbekannter Herkunft, das anstrebte Mystik, Religion und Wissenschaft zu verknüpfen, um einen neuen Blick auf die Erde und die Menschheit zu werfen, inspirierte Blount zum Namenswechsel: Sun Ra nannte sich der Musiker nun, trat mit seiner Band – vermutlich könnte man sie auch Jünger nennen – in lose an ägyptische Pharaos erinnernden Kostümen auf und spielte ausladende Free Jazz-Sessions. Zudem behauptete Sun Ra nun, bereits in den 30er Jahren von Außerirdischen zum Saturn entführt worden zu sein…

Vieles was man von und über Sun Ra lesen kann hört sich an, als wäre es unter erheblichem Einfluss an Betäubungsmitteln entstanden, einem Zustand, in dem der Geist die ihn gewöhnlich hemmenden Begrenzungen ablegt und frei von Normen und Konventionen in ungeahnte Sphären abdriftet. Vielleicht wäre es das Beste auch Sun Ras 1974 entstandenen Film „Space is the Place“ in diesem Zustand zu sehen, denn man kann nicht wirklich behaupten, dass die Mischung aus Science-Fiction, Blaxploitation, Konzertfilm und New Age-Momenten als auch nur im Ansatz klassischer Film funktioniert.

Dass der lange nur in verschrumpelten VHS-Kopien verfügbare Film nun restauriert wurde, eine kleine Kinotour durch Deutschland erlebt und schließlich auf Blu Ray erscheinen wird ist zwar keinem Jubiläum geschuldet, passt aber hervorragend in den Zeitgeist. Fraglos auch durch die achtjährige Präsidentschaft Barack Obamas wurde in Amerika so intensiv wie lange nicht über die Rolle der schwarzen Bevölkerung diskutiert, immer noch existierende Diskriminierungen angeprangert, die Bedeutung schwarzer Künstler gewürdigt. Das hat zwar auch zu so absurden Exzessen wie der Oscarsowhite-Diskussion geführt, die Paradebeispiel für übertriebene Politische Korrektheit war, aber auch zur notwendigen Thematisierung von Polizeigewalt und der oft systemischen Unterdrückung schwarzer und anderer Minderheiten.

Und genau darum geht es auch in „Space is the Place“, in dem Sun Ra persönlich als eine Art Prediger zur Erde zurückkehrt, wo zwar einige Schwarze Machtpositionen einnehmen – in bester Blaxploitation-Manier vor allem als Zuhälter oder Gangster –, damit der Sache der Brothers and Sisters aber eher schaden als nützen. Im Gegensatz zu vielen anderen Schwarzen seiner Zeit, war Sun Ra kein Freund militanter Lösungen, lehnte die Black Panther ab und propagierte eine, wenn man mag vom Geist der Hippie-Ära beflügelte, Friedensbotschaft.

Mit seinem Blick ins Universum, der Verflechtung sozialer Relevanz und Science-Fition betrieb Sun Ra Afrofuturismus noch bevor der Begriff Anfang der 90er Jahre geprägt wurde. Zunehmend bedienen sich auch zeitgenössische Künstler wie Janealle Monáe Motiven des Afrofuturismus, mit denen sie oft parallele Universen, utopische Welten beschreiben, in denen Black nicht nur beautiful ist, sondern powerful. Schon der Trailer zum im nächsten Jahr veröffentlichten „Black Panther“-Film (diesmal ist vom Comic die Rede und nicht von der Aktivistengruppe…) deutet an wie diese Entwicklung weitergehen mag, eine Entwicklung, in der „Space is the Place“ einen wichtigen Puzzlestein darstellt.

Premiere der restaurierten Fassung: 26. Juni, Berlin, Babylon Kino, ab 6. Juli auf Kinotour in Deutschland, Termine unter rapideyemovies.de. Abb. © A North American Star System Production / Rapid Eye Movies.

Space is the Place • USA 1974 • Regie: John Coney • Darsteller: Sun Ra, Joshua Smith• 85 Minuten

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