27. Januar 2020 1 Likes

Von Martial-Arts-Superhelden und Zeitreisedrogen

Science-Fiction auf den Fantasy Film Fest White Nights 2020

Lesezeit: 6 min.

Am 18. und am 19.01.2020 fanden zum fünften Mal die Fantasy Film Fest White Nights statt, ein Ableger des Fantasy Film Fests, bei dem an einem Wochenende 10 Filme gezeigt werden, um die Winterzeit etwas mit aktueller Genrekost zu versüßen. Und wie immer war die Auswahl größtenteils erwartbar und es fanden sich auch wieder Titel, bei denen man sich gefragt hatte, ob diese bewusst ausgewählt oder vom entsprechenden Verleih aufs Auge gedrückt wurden.


„Code 8“

Das trifft beispielsweise – um gleich mit dem ersten Sci-Fi-relevanten Film anzufangen – auf den kanadischen „Code 8“ zu. Das via Crowdfunding vom Kurz- zum Spielfilm ausgebaute Regiedebüt (die ursprüngliche Version kann hier begutachtet werden!) von Jeff Chan erzählt von einer Zukunft in der Menschen mit übernatürlichen Kräften nichts Ungewöhnliches sind, aber eben nicht als Helden gefeiert werden, sondern von der Bevölkerung diskriminiert am Rande der Gesellschaft in Armut leben müssen. Als Arbeitskräfte wurden sie zwar gerne genutzt, aber da nun Maschinen den Dienst verrichten, besteht kein Bedarf mehr an den außergewöhnlich Begabten. Als der junge Connor Geld für seine kranke Mama braucht, lässt er sich mit dem ebenfalls mit Superkräften ausgestatteten Gangster Marcus ein und gerät dadurch in Visier einer brutalen Spezialeinheit …

Das große Problem: Über das sichtbar niedrige Budget und die damit einhergehenden Beschränkungen (karge Locations, laue CGI-Effekte) ließe sich gut und gerne hinwegsehen, teuer bedeutet nicht automatisch gut, letztendlich ist das große Ganze der entscheidende Faktor, das Was und nicht das Wie und hier hapert’s leider gewaltig, denn der Superheldenthriller macht schnell deutlich, dass er bedauerlicherweise mit seiner eigenen Welt nicht viel anfangen kann. Die an sich nicht uninteressante Grundidee wird bereits in den ersten Minuten zu Gunsten eines völlig banalen, mäßig gespielten Gangsterkrimis abgehakt, der brav Standards abfrühstückt, aber abgesehen von vielleicht etwas mehr Digiblut-Gespritze als üblich nichts anzubieten hat, was man nicht davor schon dutzend Mal gesehen hat. „Code 8“ wäre gerne „X-Men“ in hart und dreckig, ist aber letztendlich genauso x-beliebig wie die letzten Teile der Hollywood-Kinoreihe. („Code 8“ erscheint am 30. Januar fürs Heimkino in Form von DVD, Blu-ray und VOD.)


„Gundala“

Wer schon immer Schwierigkeiten hatte Zugang zu Superhelden amerikanischer Prägung zu finden, da es sich zumindest bei den bekannteren Exemplaren meist um Vertreter der gehobeneren bis Oberschicht handelt, deren Leben durch Superkräfte lediglich noch etwas mehr super wird, sollte mal einen Blick auf den indonesischen Vertreter „Gundala“ werfen. Auch hier haben wir es mit einer klassischen Origin-Story zu tun, dessen Protagonisten allerdings kein High-Tech-Millionär, sondern nur ein kleiner Junge ist, der sich ganz allein – der Vater wurde ermordet, die Mutter hat ihn verlassen – durch die Straßen Jakartas kämpfen muss und erst langsam erkennt, was ihn ihm schlummert, was für deutlich mehr Bodenhaftung sorgt.

„Gundala“ basiert auf einen Comic, der erstmals 1969 das Licht der indonesischen Comic-Welt erblickte und seitdem fester Bestandteil der dortigen Popkultur ist. Und es ist natürlich logisch, dass die Indonesier im Zuge der nicht versiegenden Welle an Superheldenverfilmungen ihren Teil vom Kuchen ab haben wollen, folgerichtig markiert der für indonesische Verhältnisse relativ üppig budgetierte Film den Auftakt des „BumiLangit Cinematic Universe“ (BCU). Soweit, so abschreckend, allerdings waren die Asiaten schon immer bekannt dafür nicht nur einfach zu kopieren, sondern ihr eigenes Süppchen zu kochen, so auch hier: Nicht nur, dass Genicke knacken und Familien ausradiert werden, das Superheldenabenteuer spielt die meiste Zeit in engen, kargen Behausungen, auf der Straße, in finsteren Gassen und gekämpft wird in erster Linie mit Martial-Arts-Moves, die in stillgelegten Busbahnhöfen trainiert werden, zudem sind die Protagonisten arm, haben schmutzige Gesichter und tragen abgegriffen Kleidung. Letzteres wird allerdings nie genutzt, um den Zuschauern billige Tränchen abzupressen, im Gegenteil: Der Geschichte ist ein tiefes Misstrauen gegenüber der Oberschicht eingeschrieben. So verweigert sich Sancaka auf der Flucht vor einer Straßengang der Hilfe eines zufällig im dicken Auto vorbeifahrenden Upperclass-Ehepaars und auch der vernarbte Bösewicht Pengkor ist erst dank unliebsamer Erfahrungen mit Menschen aus vermeintlich besseren Schichten so böse geworden. Es sind diese Akzentverschiebungen, die, in Zusammenspiel mit ein paar Schrägheiten (so finden sich unter Pangkors Handlagern unter anderem ein hammerschwingender Steinmetz, ein Violinenspieler, der mit seinem Bogen kämpft und eine hysterische Studentin) das Ganze sehenswert machen, obwohl man sich in einer Hinsicht dann doch mit den US-Kollegen trifft: Joko Anwars Film ist viel zu lang und zu umständlich erzählt, schlanker und straffer wäre besser gewesen.


„Disappearence at Clifton Hill“

Als eines meiner persönlichen Highlights entpuppte sich der kanadische Mystery-Thriller „Disappearence at Clifton Hill“ in dem Abby (Tuppence Middleton) nach Niagara Falls, den Ort ihrer Kindheit, zurückkehrt und eine Entführung aufklären will, die sie als Mädchen zufällig beobachtet hat. Doch Abby ist eine notorische Lügnerin und niemand nimmt ihr die Geschichte ab – gab es die Entführung wirklich? Die auf angenehm ruhige und unspektakuläre Art und Weise erzählte Geschichte ist dabei nur die halbe Miete, Regisseur Albert Shin macht aus seinem mit einem famosen Jazzscore von Mitgliedern der Gruppe BadBadNotGood ummantelten Krimi viel mehr: Er fächert einen in ausgewaschenen Farben getunkten, berückend schön eingefangenen, liebevoll ausgestatteten und trotz Kleinstadt-Setting irgendwie außerweltlich wirkenden, von einem permanenten Hauch Traurigkeit umwehten, Mikrokosmos auf, in dem man sich verlieren könnte. Es sind aber nicht nur Details wie der mit allerlei UFO-Memorabilia ausstaffierte Imbiss, die für den Eindruck sorgen, dass „Disapearence at Clifton Hill“ permanent mit einem Fuß im Fantastischen steht, ohne dass sich je konkret festmachen lässt wieso, es sind ebenso die wunderbaren Charaktere, die den Film in einer eigenartigen Schwebe halten: Die herrlich abseitige Protagonistin ist eine unzuverlässige Erzählerin und spätestens wenn kein geringerer als David Cronenberg, der hier eine Nebenrolle als tauchender Borderline-Verschwörungstheoretiker spielt, von seinem mit Eierkartoons abgedichteten Homestudio neblige Podcasts durch den Äther schickt, weiß man, dass man sich zumindest in einem Alternativuniversum der ganz besonderen Art befindet. Ach ja, es ist gut möglich, dass die Handlung nicht „logisch“ ist und irgendwo war zu lesen, dass die Auflösung nicht „spektakulär“ genug sein soll. Kann ich nichts dazu sagen, dazu hatte ich viel zuviel Spaß.


„Synchronic“

Enorm viel Spaß hatte ich weiterhin bei „Synchronic“, von Justin Benson und Aaron Moorehead. Die beiden Allrounder (denen wir übrigens auch Jeremy Gardners sehenswerten neuen Film „After Midnight“ verdanken) hatte sich in den letzten Jahren zu einer zuverlässigen Hausnummer in Punkto eigenwillige Mikro-Budget-Genrefilme (zur Lobesorgie auf „The Endless“ hier lang) entwickelt und werden hier erstmalig von einem Major-Studio vertrieben, zudem gibt’s mit Jamie Dornan und Anthony Mackie zwei bekannte Namen in den Hauptrollen. Erfreulicherweise kann aber vermeldet werden, dass diese Aufstockung von Ressourcen keinerlei Auswirkungen auf den künstlerischen Output hat, die beiden bleiben sich treu, der einzige Unterschied ist, dass „Synchronic“ etwas weniger verschlungen und somit etwas zugänglicher als die Vorgänger ist.

Als Basis dient dieses Mal kein ganzer Strauß an Ideen, sondern lediglich ein Einfall; es wird eine Art Anti-„Zurück-in-die-Zukunft“ aufgefächert, das gleichzeitig ein bisschen wie ein steil gereckter Mittelfinger in Richtung der seit einiger Zeit grassierenden Retro-Welle wirkt: Die Sanitäter Dennis und Steve geraten in eine Serie grauenvoller Todesfälle und Vorkommnisse, die allesamt mit der Designerdroge „Synchronic“ in Verbindung stehen. Die Opfer sind verbrannt, von Messerstichen perforiert oder befinden sich in einer rätselhaften Trance. Als Dennis’ Tochter nach dem Konsum von „Synchronic“ spurlos verschwindet, beginnt Steve selbst mit der Droge zu experimentieren und findet heraus, dass man durch Einnahme für ein paar Minuten durch die Zeit geschleudert wird, allerdings ist die Vergangenheit hier keine Früher-war-alles-besser-Vergangenheit, sondern eine finstere, kriegerische, voller Gewalt …

Da wir auf „Synchronic“ spätestens zum Deutschlandstart (Datum bisher noch unbekannt, aber bestimmt bald) noch mal ausführlich eingehen, an dieser Stelle nur kurz und knapp: Großartig gefilmt, sehr atmosphärisches New-Orleans-Setting, tolle Hauptdarsteller, die eine jahrzehntelange Freundschaft fühlbar machen, ein wie immer vorbildlicher Einsatz von Spezialeffekten und die natürlich so typische, im ebenso typisch entspannten Tempo dargereichte Durchmischung von Genres: Oberflächlich gesehen Science-Fiction, aber mit Horror-, Comedy- und Mumblecore-Momenten versetzt und von einer irgendwie rührenden Bromance unterfüttert.

(Weiterhin sci-fi-relevant war der Zombiefilm „Blood Quantum“, den ich leider verpasst hab – zuverlässige Stimmen flüsterten mir allerdings, dass da nicht wirklich was an mir vorbeigerauscht ist …)

Großes Bild ganz oben: „Disapearence at Clifton Hill“

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