31. August 2018 1 Likes

Wir lieben Ratten!

„Willard“ & „Ben“: Ein Tierhorrorklassiker und seine merkwürdige Fortsetzung

Lesezeit: 4 min.

Der – mit einem Fuß häufig auch im Science-Fiction-Bereich stehende – Tierhorrorfilm hat seit einigen Jahren dank einer Schwemme an C-Produktionen aus der Asylum- oder Roger-Corman-Werkstatt nicht den besten Ruf. Da trifft es sich gut, dass das Label Anolis den in digitaler Form merkwürdigerweise bis jetzt noch gar nicht erhältlichen 70er-Jahre-Hit „Willard“ endlich verfügbar macht. Der Film von Daniel Mann („Kehr zurück, kleine Sheba“, „Telefon Butterfield 8“), eine Adaption des Romans „Ratman’s Notebooks“ von Stephen Gilbert, gehört zu einem der schönsten Exemplare dieser Gattung, gilt als Auslöser der Tierhorror-Welle und ruft eindrucksvoll ins Gedächtnis zurück, dass das Genre soviel mehr sein kann als schlecht animierte Haie und kreischende Blondinen.

Mit Willard Stiles möchte man nicht tauschen. Sein Chef Mr. Martin, der die Firma seines zu früh verstorbenen Vaters übernommen hatte, terrorisiert ihn, wo’s nur geht. Er hat zudem keine Freunde und haust mit seiner dominanten und stressigen Mama in einer heruntergekommenen Bruchbude. Doch eines Tages soll der Unglückliche im Garten ein Rudel Ratten beseitigen, was der junge Mann allerdings nicht übers Herz bringt. Er freundet sich statt dessen mit den Nagern, besonders mit der weißen Ratte Socrates, an, intensiviert diese Beziehung nach dem Tod der Mama und entdeckt, dass er seine kleinen pelzigen Freunde steuern kann, eine Fähigkeit, die eine unangenehme Seite in ihm hervorbringt, vor allem, als Willard erfährt, dass sein Chef ihm das Haus abluchsen will – und dann ist da noch die schwarze Ratte Ben …


Der beste Freund des Menschen – „Willard“

„Willard“ erzählt einmal mehr die klassische Underdog-Story vom Gepeinigten, der Rache nimmt, besticht dabei aber durch understatement: Der Film ist nicht nur Tierhorror, sondern mit einem Fuß ebenso klassisches Hollywood-Drama, schafft es aber beide Pole zu einem harmonischen Ganzen zu verschmelzen. Das liegt am beide Bereiche geschickt austarierenden Drehbuch: An vorderster Front wird nämlich eine emotional mitreißende Tragödie erzählt, in die auf leisen (Ratten-)Füßen der Horror reintippelt. Die Geschichte erinnert dabei dank der Konstellation Außenseiter-Sohn/Übermutter/alte Villa zuweilen etwas an Alfred Hitchocks Jahrhundertklassiker „Psycho“. Während man sich in Norman Bates Gedankenwelt allerdings ab einem gewissen Zeitpunkt (hoffentlich) nur noch schwer hineinversetzen kann, bleibt Willard trotz neu entdeckter Rattenliebe und gelegentlichem Hauch einer totalen Psychose allerdings jederzeit greifbar, was durch einen starken Gegenpool erreicht wird: Die wahren Ratten sind hier die Menschen. Egal, ob Willards besitzergreifende Mama (großartig nervig: Frankensteins Braut Elsa Lancaster), ihre neugierg-heuchlerische Freundin Charlotte (schön falsch: Jody Gilbert) oder sein hassenswerter Chef (in schmierig, großkotzig-egoistischer Arschloch-Hochform: Ernest Borgnine). Natürlich, im Endeffekt lauter Prototypen, allerdings verleiht Bruce Davison als Willard mit einer zurückgenommenen, sensiblen Darstellung dem Ganzen die notwendige Gravitas und lässt Manns unauffällig inszenierten, aber mit eindrucksvollen Tierszenen aufwartenden, Film zum packenden Portrait eines Außenseiters werden, das besonders nach heutigen Tierhorror-Maßstäben völlig unspektakulär, dafür aber glaubwürdig wirkt.

Genau das kann man leider von der – ebenfalls bei Anolis erschienenen – Fortsetzung „Ben“ ganz und gar nicht behaupten. Da „Willard“ überraschend viel Geld an den Kinokassen einsammelte, musste schnell eine Fortsetzung her und die pendelt zwischen erwartbar (mehr, viel mehr Viecher) und ganz schön merkwürdig. Inhaltlich dreht sich alles um die aus dem Vorgänger übrig gebliebene Ratte Ben, die vom vaterlosen Außenseiter Danny geborgen und in sein üppig ausgestattetes Zuhause gebracht wird. Doch die Ratte hat kein Herz für den (auch noch) Herzkranken und macht sich dran mit seiner Gang die Stadt zu terrorisieren …

Es ist sicherlich fein, dass der zweite Film, wie so unendlich oft bei Sequels, nicht einfach alles wiederholt, sondern direkt anknüpft. Die Entscheidung einen der vormaligen Antagonisten plötzlich zum Titelhelden zu machen, mutet aber dennoch etwas krude an, da die Fortsetzung damit auf eine gewisse Weise den Protagonisten des ersten Teils relativiert – es ging ja gar nicht um Willard, es ging um Ben!

Das wäre an sich nicht weiter schlimm, wenn man sich wenigstens dazu entschieden hätte, Bösewicht-Ratte Ben zur Hauptfigur in einem fiesen Exploiter mit saftigen Splattereinlagen zu machen, nur leider steuern die Macher – der von Michael Jackson intonierte süßliche Titelsong lässt es bereits früh ahnen – in die komplett gegensätzliche Richtung.


Der beste Freund auch kleiner Menschen – „Ben“

Es sollte auf maximal familienfreundliche Art der Erfolg der ersten Produktion ausgeschlachtet werden, weswegen sich die Sympathien schnell Richtung Nager verschieben, denn ein gesundheitlich zwar stark angeschlagenes, aber trotzdem ganz schön klugscheißerisches Kind, das zudem – in minutenlangen Sequenzen – entweder singt (!) oder Mundharmonika spielt (!!), ist nun wahrlich schlimmer als die größte Rattenplage.

Es ist genau dieser Aspekt, der „Ben“ das Genick bricht, der Film holpert unentschlossen zwischen beinhartem Disney-Kitschimitat und klassischen Tierhorror, wobei letzteres auch nicht mehr so gut funktioniert: Während man in Teil eins ausschließlich auf echte, dressierte Tiere setzte, kommen in dem Bemühen alles noch ein bisschen größer und spektakulär zu machen, hier zusätzlich noch extrem mäßige Effekte zum Einsatz.

Als Kuriosum geht „Ben“ trotzdem irgendwie okay – es gibt selten Filme, bei denen man einer fiesen Ratte alles nur erdenkliche Glück dieser Welt und einem vaterlosen, einsamen, herzkranken, kleinen Jungen den schnellstmöglichen Tod wünscht. Auch ’ne Leistung.

Die Blu-ray-Editionen von Anolis können sie wie immer sehen lassen: Das Bild von „Ben“ wirkt etwas dreckiger als das von „Willard“, ist aber trotzdem absolut akzeptabel, an Bonusmaterialien finden sich informative Booklets, relativ kurzweilige Audiokommentare mit den jeweiligen Hauptdarstellern, diverse Trailer, Radiospots, Alternativfassungen und Werbematerialien.

Willard (USA 1971) • Regie: Daniel Mann • Darsteller: Bruce Davison, Elsa Lanchester, Ernest Borgnine, Sondra Locke, Michael Dante, Jody Gilbert, Joan Shawlee, William Hansen

Ben (USA 1972) • Regie: Phil Karlson • Darsteller: Lee Montgomery, Joseph Campanella, Arthur O’ Connell, Rosemary Murphy, Meredith Baxter, Kaz Garas, Paul Carr, Richard Van Vleet

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