29. September 2015 2 Likes

Hallo Mars, wir kommen!

Plädoyer eines NASA-Astronauten für die ernsthafte Planung einer bemannten Marsmission

Lesezeit: 5 min.

Am 21. Juli 2015 jährten sich zum sechsundvierzigsten Mal die historischen ersten Schritte Neil Armstrongs auf dem Mond. Der Mond galt zu jener Zeit als der Heilige Gral der beiden einzigen raumfahrenden Nationen der Welt, der Sowjetunion und der USA. Der Versuch, Menschen auf den Mond zu bringen, war der Beginn dessen, was die Historiker als „Wettlauf ins All“ bezeichnen. Doch so sehr wir diesen großartigen Erfolg auch bewundern mögen, heute wetteifern die Nationen nicht mehr miteinander, und wir fassen auch nicht nur die Rückkehr zum Mond ins Auge. Heute richten wir den Blick auf ein größeres Ziel: den Mars.

#RettetMarkWatneyAndy Weirs Roman „Der Marsianer“ (im Shop) und dessen Verfilmung durch Ridley Scott faszinieren Tausende, wenn nicht Millionen von Menschen. Das Interesse am Mars ist jedoch so alt wie die Menschheitsgeschichte selbst. Schon im Alten Ägypten und in Babylon blickten die Astronomen zum Himmel und machten sich Notizen über die Eigenschaften der Planeten, und schon damals träumte der Mensch davon, durch den Himmel zu streifen oder ihn gar zu bevölkern.

Der nach dem römischen Kriegsgott Mars benannte Himmelskörper kann mit bloßem Auge mühelos von der Erde aus beobachtet werden. Der rötliche Schimmer, der zum Teil von dem auf der Mars-Oberfläche allgegenwärtigen Eisenoxid herrührt, ermöglicht es auch dem unerfahrenen Beobachter, den Planeten leicht zu identifizieren. Sein Leuchten wird nur vom Jupiter, der Venus, dem Mond und der Sonne übertroffen. Der Mars ist der Ort, an dem Träume beginnen.

Mars
Der Mars (Bild: NASA)

Unser Wissen, unsere Fertigkeiten und Fähigkeiten haben sich seit den alten Ägyptern weiterentwickelt: Dank ausgeklügelter Raumfahrzeuge können wir die Grenzen unserer bislang an die Erde gebundenen Wahrnehmung sprengen. Allenthalben nimmt die Faszination für das Unbekannte in unserem Sonnensystem – nein, im ganzen Universum – zu. Gab es einmal Leben auf dem Mars? Bergen seine Polkappen brauchbares Wasser? Können wir eines Tages auf der vulkanischen, gebirgigen und mit Kratern überzogenen Oberfläche des Planeten leben? Vom ersten erfolgreichen Fly-by-Manöver der Raumsonde Mariner 4 im Jahr 1965 bis zu den berühmten Marsrovern Curiosity und Opportunity suchen wir mit großem Eifer nach den Möglichkeiten, die uns der Planet bietet. Die Sache scheint völlig klar zu sein: Die Menschheit muss dorthin, und wir beginnen, die Visionen Wirklichkeit werden zu lassen.

Noch sind wir aber nicht so weit. Noch ist das Ziel in weiter Ferne. Wie Andy Weirs spannender und mitreißender Roman zeigt, steht uns ein wahrhaft atemberaubendes Abenteuer bevor. Endlose wissenschaftliche Möglichkeiten tun sich auf, technischer Fortschritt ist dringend nötig. Und doch gibt es Menschen auf der Erde, die schon jetzt das Ticket zum Mars buchen möchten. Unter dem Namen Mars One – finanziert durch private Mittel und unter dem Dach der gewinnorientierten Mars One Corporation angesiedelt – werden One-Way-Tickets zu diesem außergewöhnlichen Reiseziel angeboten. Auf der Website des Unternehmens kann man lesen: „Die Besiedlung des Mars ist der nächste riesige Schritt für die Menschheit. Der Mars ist der Startpunkt der Menschheit für die Reise ins Weltall.“ Da haben sie wohl recht. Angeblich haben sie sogar schon damit begonnen, die Astronauten für den Flug zu diesem trostlosen Bestimmungsort auszuwählen. Einem Flug ohne Wiederkehr. Ich habe mich nicht beworben. Als Mitglied des United States Astronauts Corps bestehe ich darauf, eine Rückfahrkarte zu bekommen.

Die NASA plant, ab 2030 Menschen zum Mars zu schicken. Ein Unterfangen dieser Größenordnung verspricht zwar einen großen Gewinn, doch es ist nur realisierbar, wenn genügend Geld zur Verfügung steht und die Technik schnell genug voranschreitet. Diese beiden Faktoren entscheiden darüber, ob eine bemannte Marsmission erfolgreich verlaufen oder scheitern wird. Ich persönlich glaube, der Nutzen für die Menschheit liegt nicht so sehr im Ziel, sondern vielmehr in der Reise dorthin. Der Mars ist ein wundervoller und aufregender Ort, aber die Erforschung und Entwicklung neuer Technologien, die man braucht, um dorthin zu gelangen, werden das wahre Vermächtnis dieses Projekts sein. Erst durch die Reise zum Mond konnten tragbare Bohrgeräte, Mobiltelefone, hitzebeständige Textilien und die Dialyse entwickelt werden. Nun erwartet uns wieder das Unbekannte, und wieder stehen wir vor der Herausforderung, das Unmögliche möglich zu machen. Dieses Mal werden wir es allerdings gemeinsam tun, als geeinte Welt. Es gibt keinen anderen Weg, keine Nation kann es sich leisten, die Reise zum Mars alleine anzutreten.

Mars-Mission Concept Art
Konzept einer bemannten Mars-Mission (1989)

Im Jahr 2015 wurden die Kosten für eine bemannte Marsmission, je nach Akteuren und Rahmenbedingungen, auf 6 bis 500 Milliarden US-Dollar geschätzt. Dabei ist die Gesundheit der Besatzung das größte Problem: Man denke nur an etwaige Strahlenschäden und den Verfall von Muskeln und Knochen, möglicherweise droht durch die lange Zeit in der Schwerelosigkeit sogar der Verlust der Sehkraft. Allein der Flug zum Mars wird schon neun Monate dauern. Und Gott behüte, wenn drei Monate nach dem Start die Toilette kaputtgeht. Aus persönlicher Erfahrung weiß ich, dass man diese vier Worte bei einem langen Raumflug niemals hören will: „Das Klo ist defekt.“

Auch psychologische Probleme der Astronauten sind nicht auszuschließen, schließlich sind sie von ihren Familien und Freunden isoliert. Hinzu kommen Schwierigkeiten innerhalb der Crew: Wenn Menschen aus unterschiedlichen Kulturkreisen gezwungen sind, weit mehr als zwei Jahre – und so lange wird eine bemannte Marsmission dauern – unter beengten Bedingungen zusammenzuleben, entstehen Konflikte, ganz egal, wie professionell die Besatzungsmitglieder miteinander umgehen.

Sascha Mamczak, Sebastian Pirling (Hrsg.): Der Weg zum MarsEine Kommunikation in Echtzeit mit der Erde ist den Astronauten während der Mission nicht möglich, da, je nach Position auf der Umlaufbahn, eine Verzögerung von acht bis zweiundzwanzig Minuten einzukalkulieren ist. Das bedeutet, dass sie nicht unmittelbar auf die medizinischen Einrichtungen und das Fachwissen der Erde zurückgreifen können. Wenn dann auch noch kritische Lebenserhaltungssysteme oder der Antrieb versagen, erkennen wir die Kulisse, die Andy Weir für Mark Watneys marsianisches Abenteuer erschaffen hat. Allerdings haben wir auch schon früher vor unüberwindbaren Hindernissen gestanden – und es dann doch geschafft. Heute erklimmen wird den Mount Everest, tauchen zum Meeresgrund und hinterlassen Fußabdrücke im Regolith der Mondoberfläche. Als gewöhnlicher Raumfahrer kann ich da nur sagen: Lasst uns nicht nur das Gewöhnliche tun, sondern das Außergewöhnliche anpacken.

Hallo Mars, wir kommen!

 

Clayton C. Anderson ist ehemaliger ISS-Astronaut und Autor von »The Ordinary Spaceman: From Boyhood Dreams to Astronaut«. Dieser Text erscheint als Vorwort in dem Sachbuch „Der Weg zum Mars“, ab 12.10.2015 hier im Shop erhältlich.

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