14. März 2015

Galaktische Intrigen, Mord und Unmengen von Tee

Das große Interview mit Ann Leckie über künstliche Intelligenz, Gender und Zukunftstechnologien

Lesezeit: 6 min.

Mit „Die Maschinen“ (im Shop) hat Ann Leckie den erfolgreichsten und meistdiskutierten Science-Fiction-Roman des Jahres geschrieben und avancierte zu den Top-Stars des Genres. Ihr Roman ist nicht nur ein spannendes Abenteuer zwischen den Sternen, sondern beinhaltet eine vielfältige Bandbreite an Themen, die die Menschen in Zukunft immer stärker beschäftigen werden. Für den Maschinen-März führte Elisabeth Bösl ein exklusives Interview mit Ann Leckie:

 

Ann Leckie: Die MaschinenWas für ein Gefühl ist es, mit jedem bedeutenden Science-Fiction-Award ausgezeichnet zu werden?

Es ist ein wirklich fantastisches Gefühl. Und etwas unwirklich. Ich hatte nie ernsthaft gedacht, überhaupt für einen einzigen Award nominiert zu werden, und dann das. 2014 war ein unglaubliches Jahr für mich.

Lassen Sie uns gleich in medias res gehen: Um ein genaueres Bild der Radchaai zu zeichnen, die zwischen den beiden Geschlechtern nicht unterscheiden, benutzen sie den ganzen Roman hindurch ausschließlich feminine Pronomina. Warum haben Sie sich für das Femininum entschieden, um diese Art Geschlechterbewusstsein zu erzeugen? Warum nicht für das Neutrum?

Ich habe mich gegen das Neutrum entschieden, weil „es“, zumindest im Englischen, nicht auf eine Person verweist. Eine Person als „es“ zu bezeichnen ist ziemlich beleidigend. Ich hatte zunächst überlegt, die dritte Person Plural zu verwenden, weil „they“ als nicht-geschlechtsspezifisches Pronomen im Englischen ganz gut funktioniert, aber auch damit war ich nicht ganz glücklich. Letztlich gefällt mir an „sie“, dass es gleichzeitig vertraut genug ist, dass man sich beim Lesen nicht daran stört, man aber trotzdem darüber nachdenken muss.

Hatten Sie aufgrund der explizit weiblichen Sichtweise Diskussionen mit ihren Lektoren und später mit Lesern? Gab es eventuell sogar chauvinistische Reaktionen auf den Roman, und wenn ja, wie gehen Sie mit dieser Form von Kritik um?

Ich hatte anfangs befürchtet, dass mein Lektor mich bitten würde, allen Charakteren ein eindeutiges Geschlecht zuzuweisen und die „richtigen“ Pronomina zu verwenden, aber am Ende war meine Sorge völlig unbegründet. Manche Leser hatten jedoch Probleme damit. Und das ist ja auch völlig in Ordnung – jeder hat seine eigenen Leseerfahrungen und bildet sich seine eigene Meinung. Ich werde niemandem sagen, dass er das Buch „falsch“ gelesen hat. Natürlich fand ich einige der Kommentare chauvinistisch, aber ich muss schließlich nicht darauf reagieren. Die haben das Recht auf ihre Meinung, und ich habe das Recht, zu schreiben was ich will. Ich habe mich jedoch sehr über die Leser gefreut, denen die Wahl der Pronomina gut gefallen hat.

Wie sehen Sie denn die Rolle der Frauen in der Science-Fiction im Allgemeinen? Sowohl, was die Frauenfiguren in den Geschichten betrifft, als auch was weibliche Science-Fiction-Autorinnen angeht?

Ann LeckieFrauen haben von Anfang an Science-Fiction geschrieben, und viele tun das noch heute. Genauso wie es viele Science-Fiction-Leserinnen gab und gibt. Und doch herrscht die allgemeine Meinung vor, dass Frauen gerade erst begonnen hätten, sich mit diesem Genre zu beschäftigen – was absolut nicht stimmt. Viele dieser Autorinnen haben einen bedeutenden Beitrag geleistet, und doch werden ihre Werke oft außen vor gelassen, wenn es darum geht die besten und einflussreichsten Science-Fiction-Romane und –Stories zu küren. Ich denke, das liegt zu einem großen Teil daran, dass die Helden in den Geschichten meistens Männer sind, während die Frauen nur eine Nebenrolle spielen. Und dieses Phänomen betrifft nicht nur die Science Fiction, sondern Romane und Filme aller Genres. Ich möchte damit die Leistung der männlichen Autoren keinesfalls schmälern, und natürlich bin ich mit diesen Geschichten über männliche Helden aufgewachsen und habe sie geliebt, ich möchte nur betonen, dass es wichtig ist, Geschichten mit Heldenfiguren verschiedenster Art zu haben.

In „Die Maschinen“ geht es aber nicht nur um Geschlechterrollen: Die Hauptfigur Breq ist eine Kombination aus menschlichem Körper mit einer künstlichen Schwarmintelligenz (das Schiff Gerechtigkeit der Torren) – was mich in gewisser Weise an die Borg aus „Star Trek“ erinnert hat -, deren untergeordnete Einheiten aber immer noch Individuen sind (im Gegensatz zu den Borg, die ihre Individualität zugunsten der Perfektion aufgeben). Wie funktionieren Ihre künstlichen Intelligenzen, und wie sind Sie auf diese eher ungewöhnliche Kombination von menschlichem Körper und künstlicher Schwarmintelligenz gekommen?

Ich weiß nicht mehr genau, wie ich darauf kam, aber es stimmt, es erinnert ein wenig an die Borg. Ich denke, es begann mit der Idee, dass sich eine Person an mehreren Orten gleichzeitig aufhalten könnte, dass eine Person mehr als nur einen Körper besitzen könnte. Die Schiffe und ihre Untereinheiten sind die eine Verkörperung dieses Gedankenspiels, Anaander Mianaai die andere. Je länger ich über diese Untereinheiten nachdachte, desto mehr faszinierte mich die ganze Identitätsfrage – wer ist eigentlich jeder einzelne von uns? Es ist erschreckend einfach, das eigene Identitätsbild zu zerstören, in dem wir unser Gehirn zerstören. Die „richtige“ Verletzung kann das Bild, dass wir von uns selbst haben für immer verändern, ja, sie kann sogar dazu führen, dass wir glauben, gar keine eigene Individualität mehr zu besitzen. Es ist wirklich schrecklich, darüber nachzudenken, aber vielleicht ist es gerade das, was mich so daran fasziniert.

Ich bin selbst nicht ganz sicher, wie künstliche Intelligenzen funktionieren! Clarke sagte einmal, dass jede ausreichend fortgeschrittene Technologie nicht mehr von Magie zu unterscheiden sei, und künstliche Intelligenzen fallen definitiv in diesen Bereich. Ich muss zugeben, dass sie im Buch so funktionieren, wie die Geschichte es erfordert.

Um eine Figur wie Breq zu erschaffen, haben Sie sich sicher viel mit dem Thema künstliche Intelligenzen und Biologie beschäftigt. Glauben Sie, dass diese Verschmelzung von Mensch und künstlicher Intelligenz in Zukunft wirklich möglich sein wird?

Ich habe keine Ahnung! Möglicherweise. Ich bin noch nicht davon überzeugt, dass wir nahe dran sind, die Art künstlicher Intelligenz zu bauen, die wir aus der Science-Fiction kennen. Wird es irgendwann möglich sein? Ich weiß es nicht mit Sicherheit. Ich vermute schon, aber ich denke, es wäre eine extrem komplexe Angelegenheit. Ich bin allerdings davon überzeugt, dass wir Menschen uns durch die Technologie bereits verändert haben – ich meine nicht nur Smartphones und das Internet, sondern Errungenschaften, die so alt sind, dass wir sie schon gar nicht mehr als solche wahrnehmen. Wie das Schreiben zum Beispiel. Und ich glaube, dass dieser Prozess niemals aufhören wird.

In Breqs Leben spielt Musik eine große Rolle und Sie selbst haben einen Universitätsabschluss in Musikwissenschaften. Die Idee eines „Schiffschores“ ist wirklich reizvoll. Wenn Breq zur Erde käme, welche Lieder sollte sie lernen und warum?

Oh, Breq liebt Choräle am allermeisten. Ich glaube, sie selbst hätte gerne einen Überblick über alle möglichen vokalen Stücke. Da kann ich gar nichts im Besonderen herausheben.

Es gibt Pläne, aus „Die Maschinen“ eine Fernsehserie zu machen. Können Sie uns ein bisschen mehr darüber erzählen? Was halten Sie davon? Und sind sie in das Projekt mit einbezogen?

Bis jetzt wurde der Roman nur optioniert, man hat noch nicht mit der Produktion begonnen. Die Filmrechte von Büchern werden oft optioniert und dann passiert nichts, die Option läuft einfach aus. Falls das Projekt jedoch realisiert wird, würde ich sehr gerne daran mitwirken. Das wäre wirklich aufregend! Ich stelle es mir großartig vor zu sehen, wie jemand meine Figuren auf dem Bildschirm zum Leben erweckt.

Die Maschinen“ ist der erste Teil einer Trilogie. Werden wir Breq wieder begegnen? Was erwartet die Leser im zweiten Band?

Ja, Breq taucht auch im zweiten Band wieder auf. Es wird politische Intrigen geben, Mordversuche und Unmengen von Tee.

Welche Science-Fiction-Romane und –Filme mögen Sie persönlich? Was hat Sie inspiriert, selbst Science-Fiction zu schreiben?

Maschinen-MärzWas mich genau dazu inspiriert hat, kann ich gar nicht sagen. Ich wollte schon immer schreiben und ich mochte schon immer Science-Fiction, es war also fast logisch, dass ich Science-Fiction schreiben würde. Würde ich versuchen, einen Liebesroman oder einen Krimi zu schreiben, würde es wahrscheinlich nicht lange dauern, bis die Aliens kämen und das Ganze in Science-Fiction verwandeln würden.

Wir danken Ihnen für das Gespräch.

 

Ann Leckie: Die Maschinen ∙ Roman ∙ Aus dem Amerikanischen von Bernhard Kempen ∙ Wilhelm Heyne Verlag, München 2015 ∙ 544 Seiten ∙ € 11,99 (im Shop)

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