28. Juni 2019 2 Likes

„Ich bediene mich an der Welt, die ich sehe.“

Im Gespräch mit SF-Autor Richard Morgan („Altered Carbon“, „Mars Override“)

Lesezeit: 5 min.

Der Engländer Richard Morgan (im Shop) schrieb nicht nur den mit dem Philip K. Dick Award ausgezeichneten Science-Fiction-Roman „Altered Carbon – Das Unsterblichkeitsprogramm“, der die gleichnamige Netflix-Serie inspirierte, sondern auch die epische Fantasy-Reihe „Das Zeitalter der Helden“, die ab Herbst in neuer Ausstattung und erstmals komplett auf Deutsch bei Heyne erscheint. Mit seinem neuen Roman „Mars Override“ (im Shop) kehrte Morgan nun zur Science-Fiction zurück und legte einen strammen Hardboiled-Krimi über einen besiedelten Mars der Zukunft vor, auf dem der übermenschlich verstärkte Söldner und so genannte Overrider Hakan Veil durch ein Meer aus Korruption, Schwierigkeiten und Gewalt waten muss. Im Interview spricht Richard Morgen über politische Einflüsse, die Marsträume reicher Playboys und die Essenz von Noir.

 

Hallo Richard. Du hast eine eher düstere Sicht der Zukunft, oder?

Nicht allzu düster und pessimistisch – ich gehe nur säuerlich von aktuellen Verhaltensnormen aus.

Was würdest du Elon Musk und Co. gerne mal zu ihren futuristischen und doch irgendwie altmodischen Träumen vom Mars sagen?

Ich denke nicht, dass prinzipiell etwas falsch ist an dem Versuch, einen menschlichen Fußabdruck auf dem Mars zu hinterlassen, oder deshalb aufgeregt zu sein. Und ich kann und möchte nicht von Musks technologischen Errungenschaften ablenken. Mich beunruhigt jedoch, dass wir uns von der Erwachsenen-Vision der menschlichen Expansion ins All durch Organisationen wie die NASA oder ESA hin zu einem Marvel Universe-Empfinden entwickelt haben, wo das alles in den Händen gigantisch reicher Playboys liegt. Denn Männer wie Musk haben, ungeachtet ihrer technischen Fähigkeiten, keine besonders reife Sicht davon, wie die menschliche Gesellschaft funktioniert. Das macht sie zu gefährlichen Anführern, wenn man sich auf sie verlassen soll, und lässt zugleich die Tür offen für schlauere, offen machthungrige Männer, die in der Lage sind, die großäugigen superreichen Enthusiasten mit ihrem Bullshit zu manipulieren. Um die Hölle auf dem Mars zu erschaffen, kombiniert man einfach gewaltigen kapitalistischen Reichtum mit erwachsener Unreife, wenn es um das Menschsein geht, und schaut dabei zu, wie die oligarchischen Haie zum Fressen kommen …

Der Wunsch der Frocker-Fraktion auf dem Mars nach Unabhängigkeit von der Erde, fragwürdige politische Machthaber – wie viel Brexit und Trump stecken im Subtext von „Mars Override“?

Ich würde gern glauben, dass die marsianische Politik in meinem Buch allgemeinere Strömungen im menschlichen Verhalten anspricht – Korruption, Oligarchie, blinden Tribalismus, den Zerfall demokratischer Überprüfungen und Gleichgewichte. Aber natürlich bediene ich mich an der Welt, die ich sehe, um diese Dinge zu veranschaulichen, und ja, ich hatte die Brexit-Befürworter und die Make-Amerika-Great-Again-Mützenträger vor Augen, als ich die Frockers kreierte. Boyd Mulholland, Gouverneur des Mars, beruht etwas auf Trump, vermute ich, aber um ehrlich zu sein, begann ich mit dem Schreiben von „Mars Override“ lange bevor Trump sich auch nur als Kandidat für die Republikaner erhob. Ich hatte eher George W. Bush im Kopf – im Grunde einen oligarchischen Strohmann, der Firmeninteressen vertritt und vorgibt, ein bodenständiger Mann des Volkes zu sein, um die idiotische Bürgerschaft in der Tasche zu haben. Gleichwohl denke ich, das unterwegs ein bisschen verbogen zu haben, um Mulholland gröber und korrupter zu machen, und das mag sehr gut eine Reaktion auf Trump gewesen sein.

Wie Kovac in „Altered Carbon“, ist auch Veil in „Mars Override“ ein Ex-Militär. Was magst du an Protagonisten mit diesem Hintergrund so?

In erster Linie erlauben sie einem, den viszeralen Gehalt eines Romans aufzudrehen – mehr Kampf, mehr gewalttätige Konfrontation, bessere zerstörerische Spielzeuge. Ich neige dazu, recht grimmige Hardboiled-Umgebungen in meinen Büchern zu nutzen, und da möchtest du als Autor jemanden haben, der kompetent genug ist, in diesem Umfeld zu überleben. Zivilisten haben für gewöhnlich nicht die nötigen Fähigkeiten und nicht die nötige Härte, um das zu schaffen. Was ist außerdem besser als ein Ex-Militär-Protagonist, um die hässliche Wahrheit zu erlangen, die hinter der Verehrung militärischen Heldentums liegt? Um die Korruption und das Leid offenzulegen, die in Wirklichkeit vorherrschen? Was ich schreibe, mag vernünftigerweise als Future Noir bezeichnet werden, und die Essenz von Noir ist die Desillusionierung angesichts der Lügen, die in Gesellschaft und Kultur erzählt werden, und das Bestreben, sie aufzudecken und eine ehrlichere, menschlichere Wahrheit zu erhalten. Leute wie Kovacs oder Veil haben das Schlimmste erlebt, was die menschliche Gesellschaft zu bieten hat, und (mehr oder weniger) intakt die andere Seite erreicht – das gibt ihnen eine einzigartige Perspektive, wenn es um Kritik geht.

Hat die Arbeit an der Netflix-Adaption von „Altered Carbon“ dein Schreiben beeinflusst oder verändert?

Nicht wirklich. Drehbücherschreiben ist eine andere Disziplin, und im Fall langer Fernsehserien ist es obendrein eine Gemeinschaftsarbeit. Zurück an meinem Schreibtisch als Romancier, ist es noch immer ein einsames Unterfangen und business as usual.

Vor „Mars Override“ hast du zuletzt drei Fantasy-Romane geschrieben. Verleger, Händler und Leser mögen es nicht immer, wenn ein Autor sowohl Fantasy als auch Science-Fiction beackert. Welche Erfahrung hast du damit gemacht?

Meine Verlage waren sogar ziemlich happy – Fantasy ist ein viel größerer Teich als SF, also dachten sie, meine Verkäufe würden wahrscheinlich anziehen! Tatsächlich gab es einen Anstieg, aber nur einen leichten, also habe ich offenkundig einige eingefleischte SF-Fans verloren, die jedoch durch neugierige Fantasy-Fans wieder kompensiert wurden. Dann ist da natürlich noch der Umstand, dass „Das Zeitalter der Helden“ zwei schwule Protagonisten hat, was anfangs einiges Aufsehen erregte (es ist erstaunlich, wenn man bedenkt, dass das erst zehn Jahre sind, über die wir hier reden, doch die Haltung hat sich in dieser Zeitspanne unglaublich gewandelt). Aber auch hier gilt: was ich an schockierten voreingenommenen Lesern verlor, hat die schwule Community mehr als wett gemacht, die das Buch wirklich im großen Stil angenommen hat. Um ehrlich zu sein, sollte man sich meiner Meinung nach nicht zu viele Gedanken über die Zielgruppe machen – wenn du versuchst, deine Leserschaft vor dem Schreiben zu hinterfragen, kannst du deinen Stift gleich abgeben und dir einen anderen Job suchen. Du musst dahin gehen, wohin der Drang zu schreiben dich führt. Und überhaupt kann man wohl sagen, dass ich meinen grundlegenden Modus Operandi nicht allzu sehr verändert habe, als ich auf Fantasy umgestiegen bin – der Ton ist derselbe, die thematischen Ziele sind ähnlich, die Charakterisierung folgt ähnlichen Tropen und Haltungen wie meine Science-Fiction. Lediglich die essentielle Ausstattung des Worldbuilding ist anders (und manch einer würde anmerken, dass ich nicht mal das groß verändert habe – „Das Zeitalter der Helden“ wurde von vielen als „Science Fantasy“ bezeichnet). Ich würde daher sagen, dass Leser meiner SF, die diese Romane nicht ebenfalls genießen können, eine Minderheit sind.

Kannst du uns etwas über das Genre deines nächsten Romans oder die zweite Staffel von „Altered Carbon“ auf Netflix verraten?

Nun, das könnte ich – aber dann müsste ich euch umbringen! (lacht).

Richard Morgan: Mars Override • Aus dem Englischen von Bernhard Kempen • Heyne, München 2019 • 733 Seiten • E-Book: 12,99 Euro (im Shop)

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