13. April 2014

Noch nicht ganz verloren

Ursula K. Le Guins „Verlorene Paradiese“ als deutsche Erstausgabe

Lesezeit: 3 min.

Die gute Nachricht gleich vorweg: Gerade sind zwei Bücher von Ursula K. Le Guin auf Deutsch erschienen, und es sind keine Sammelband-Neuauflagen des „Erdsee“-Zyklus!

Okay, Le Guins zeitlosem Fantasy-Evergreen wird dieser zynische Einstieg nicht gerecht. Aber es ist nun mal auffallend, wie sträflich die amerikanische Grande Dame der Science-Fiction auf dem deutschen Buchmarkt seit Jahren vernachlässigt wird – außer dem obligatorischen „Erdsee-Klotz“ fand man viel zu lange nichts von ihr in den Regalen der altehrwürdigen oder digitalen Buchhändler. Besonders die neuen Werke der unermüdlichen Vollblut-Schriftstellerin werden im hiesigen Leseraum von den Verlagen trotz Le Guins mannigfaltig erwiesener Güte und gepriesener Klasse praktisch komplett ignoriert. Lediglich die Edition Phantasia bemühte sich vor inzwischen auch schon wieder knapp zehn Jahren um ein paar Neuauflagen der wichtigsten Le Guin-Romane; und Piper brach Le Guins Jugendbuch-Fantasy-Trilogie nach dem ersten Band („Die Wilde Gabe“) einfach ab.

Jetzt gibt es endlich mal wieder eine deutsche Le Guin-Erstausgabe. Neben der Neuauflage von Le Guins Klassiker „Die linke Hand der Dunkelheit“ von 1969, ihrem preisgekröntem Roman über einen Planeten mit einer sexuell-ambivalenten Bevölkerung bzw. über das aufeinanderprallen von Kulturen und die resultierenden Kommunikationsprobleme (Heyne-SF-Jubiläumseditionim Shop), ist im Atlantis-Verlag nämlich gerade „Verlorene Paradiese“ erschienen. Dabei handelt es sich um die SF-Novelle „Paradises Lost“ aus dem Jahre 2002, die Le Guin eigens für ihre Storysammlung „The Birthday of the World: And Other Stories“ verfasst hat.

In „Verlorene Paradiese“ erzählt die 1929 in Berkeley geborene Großmeisterin der gehaltvollen Science-Fiction in gewohnt eleganter Prosa und mit traumhaften Charakterisierungen von einem Generationenraumschiff. 200 Jahre wird die Discovery am Ende zwischen den Sternen gereist sein, eine kleine Seifenblase in einem riesigen schwarzen Nichts, unterwegs von einer kaputten Heimat in eine neue, unbekannte Welt. Die erste Generation – die Generation Zero – säte die Hoffnung und schuf die Voraussetzungen, doch erst die sechste Generation soll den Planeten in der Ferne besiedeln. Le Guin konzentriert sich in ihrer Geschichte auf die Übergangs-Generationen dazwischen, die ihr Leben dem Weiterreichen des Staffelstabes widmen und ihre künstliche, gut organisierte, hermetische Schiffswelt niemals verlassen werden. Wenn die Discovery denn je ihr Ziel erreichen wird und der Weg, wie eine theologische Bewegung innerhalb der Sternenreisenden glaubt, nicht gar das eigentliche Ziel inmitten des gefährlichen Nichts des Universums ist…

Le Guin wollte schon immer über ein Generationenraumschiff schreiben. Aber erst als sie die Religion ins Spiel brachte, erschloss sich ihr das Thema richtig, wie sie im Vorwort zur Novelle verrät, die übrigens nicht im Rahmen des berühmten „Hainish“-Universums um „Die linke Hand der Dunkelheit“ festgezurrt ist und komplett für sich steht, obwohl auch der Sex und die Geschlechter wieder eine Rolle spielen. Ansonsten glänzt die komprimierte Erzählung dadurch, dass die Titanin der SF anhand eines Miniaturmodells philosophisch über die großen, ultimativen Themen meditiert: Den Menschen und das Leben. Darüber hinaus ist es ein tolles Erlebnis, wie sich einem während der Lektüre die Mechanismen und Strukturen der von der Alten Erde entfremdeten, von schieren Echos geleiteten und verunsicherten und verwirrten Schiffsgesellschaft, dem Leser fast beiläufig von selbst erschließen – große Erzählkunst auf engstem Raum.

Abgerundet wird die deutsche Ausgabe des SF-Kammerspiels, das in den USA sogar in Form einer Oper adaptiert wurde, durch ein Nachwort von Übersetzer und Le Guin-Kenner Horst Illmer, der „Verlorene Paradiese“ zwischen Milton, Laotse, Roethke und anderen positioniert und dabei als utopische Geschichte klassifiziert.

Der hiesige Buchmarkt indes glich ohne neue Veröffentlichungen aus der Feder von Ursula K. Le Guin lange Zeit einer finsteren, ungeheuerlichen Dystopie – „Verlorene Paradiese“ spendet da genau zum richtigen Zeitpunkt Licht und ein gewisses Maß an Hoffnung. Vielleicht ist die paradiesische Schaffenswelt von Mrs. Le Guin für den deutschsprachigen Leser bzw. die nächste Generation deutschsprachiger Science-Fiction-Freunde ja doch noch nicht ganz verloren.

Ursula K. Le Guin: Verlorene Paradiese • Atlantis, Stolberg 2014 • 148 Seiten • € 10,90

Ursula K. Le Guin: Die Linke Hand der Dunkelheit • Heyne, München 2014 • 397 Seiten • € 8,99

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