Der visuelle Dolmetscher
Ein Gespräch mit Effekt-Experte Volker Engel über Science-Fiction, Hollywood-Design und den neuen Blockbuster „Independence Day: Wiederkehr“
Volker Engel wurde 1965 in Bremerhaven geboren. Anfang der Neunzigerjahre schloss er sein Grafikdesign-Studium an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart ab und absolvierte mehrere Semester eines Animations-Studiums an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Bereits 1990 erschuf er die damals sensationellen Visual Effects für Regisseur Roland Emmerichs Film Moon 44, der in Emmerichs schwäbischer Heimat entstand. Seitdem arbeitete Engel mit Emmerich an Godzilla,Universal Soldier, Anonymus, 2012 – Das Ende der Welt und White House Down, aber auch an Filmen wie Hugo Cabret und Die Nibelungen. 1997 gewann Engel einen Oscar für Indepence Day in der Kategorie Best Visual Effects, zudem erhielt er im Verlauf seiner Karriere den Emmy, mehrere Saturn Awards und das Bundesverdienstkreuz. Ende Mai beendete der deutsche Effect-Experte, der seit 20 Jahren in Los Angeles lebt, seine Arbeit an Independence Day: Wiederkehr, die vom kreativen Supervising der Concept-Art bis zum letzten VFX-Shot 20 Monate dauerte. Im Interview spricht er über seine Beziehung zur Science-Fiction, ein Vierteljahrhundert Zusammenarbeit mit Roland Emmerich, und natürlich die Arbeit an beiden Teilen von Independence Day.
Frage: Hallo Volker. Bist du selbst ein Science-Fiction-Fan? Wenn ja, erzähl doch mal ein bisschen was über deine Lieblinge aus Buch, Film und Co.!
Antwort: Da fange ich gerne mit den Büchern um das „Raumschiff Monitor“ von Rolf Ulrici an. Mein um fünf Jahre älterer Bruder Carsten war schon immer SF-Fan und hatte alle sechs Bände. Das war mein Einstieg in die Science Fiction-Literatur. Ich war damals sieben Jahre alt.
Durch meinen Bruder lernte ich dann auch die Bücher von Arthur C. Clarke (im Shop) und später Stanisław Lem kennen. Mein ultimatives Lieblingswerk von Lem ist auch heute noch die Kurzgeschichtensammlung „Pilot Pirx” – zehn Geschichten mit einer sehr großen Genre-Bandbreite. Aber in meinem Bücherregal finden sich heute ebenso Romane von Cornelia Funke, Wolfgang Jeschke (im Shop), Kai Meyer und Preston/Child neben Ray Bradbury (im Shop), Isaac Asimov (im Shop), Philip K. Dick und Jules Verne. Ich liebe einfach gute Geschichten.
Meine frühen TV-Einflüsse waren Raumpatrouille Orion und Thunderbirds, später dann die neue Battlestar Galactica-Serie – sehr mutig, was Ron Moore da auf die Beine gestellt hat. In den USA war das ein Riesenerfolg. Mit dreizehn Jahren war ich natürlich genau im richtigen Alter, als Star Wars ins Kino kam – auch meine späteren Kino-Favoriten sind sicher keine große Überraschung für Kenner des Genres: Alien und Blade Runner. Ridley Scott hat mich durch die Kreation seiner kompromisslos-glaubhaften Welten überzeugt. Und er hatte ein Talent, sich die besten Leute ins Team zu holen. In jüngster Zeit gab es wenig SF im Kino, die mir gefallen hat, denn die Faszination für Superhelden hält sich bei mir in Grenzen. Als Ausnahmen der letzten Jahre fallen mir der völlig unterbewertete Edge of Tomorrow ein, und ich mochte Gravity und Der Marsianer. Aber die größten positiven Überraschungen waren für mich Moon von Duncan Jones, Monsters von Gareth Edwards und mein Lieblingsfilm des letzten Jahres, Ex Machina von Alex Garland.
Welcher Film markiert für dich den Beginn des modernen Effekt-Kinos, und welcher Streifen hatte für deine Begeisterung und deinen Werdegang die größte Relevanz?
1977 markierte Star Wars ohne Frage den Beginn des modernen Effekt-Kinos und hatte auch für mich die größte Relevanz, weil er zu einem Zeitpunkt in die Kinos kam, als ich gerade mit meinen ersten eigenen Gehversuchen im Bereich Filmtrick anfing – damals noch auf Super-8 und ohne Computer. Als ich zehn Jahre alt war, kam mein Bruder auf die aberwitzige Idee, mich zu einer Wiederaufführung von 2001 – Odyssee im Weltraum mitzunehmen. Auch wenn ich noch zu jung war, um die Geschichte nachvollziehen zu können, haben mich die Bilder nachhaltig beeindruckt. Heute bin ich stolz darauf, den Visual-Effects-Maestro Douglas Trumbull zu meinen persönlichen Bekannten zu zählen.
Was ist die wichtigste Lektion, die du in all den Jahren im Filmgeschäft gelernt hast und die dich noch heute begleitet?
Da gibt es einige. Um mal ein echtes Klischee zu bedienen: Die Amerikaner schießen oft gerne aus der Hüfte, das heißt, sie fangen einfach mit der Arbeit an, ohne sich wirklich vorzubereiten. Das hab’ ich vor 20 Jahren beim ersten Independence Day festgestellt. Man könnte auch sagen, sie reiten schon mal los, während die deutschen Team-Mitglieder noch die Landkarte studieren und den besten Weg suchen (lacht). Und Visual-Effects-Filme müssen einfach präzise vorbereitet werden, sonst wird es teuer. Ohne Storyboards und die Vorvisualisierung am Computer geht gar nichts. Ich habe dann aber auch schnell festgestellt, dass es gerade die amerikanische proaktive Vorgehensweise kombiniert mit eben jener präzisen Planung ist, die am Ende zu den besten Ergebnissen führt.
Seit 1990 und Moon 44 ist nicht nur viel Zeit vergangen, sondern hat sich auch viel für dich getan. Fühlt sich die Rückschau aus L.A., mit dem Oscar im Regal und kurz vor der Fortsetzung von Independence Day, nich fast ein bisschen surreal an?
Klar ist das surreal, wenn ich an das ehemalige Möbellager in Sindelfingen-Maichingen denke, in dem wir kleine Helikopter-Modelle an Angelschüren durch Modell-Felsschluchten fliegen ließen. Aber gerade in puncto Experimentieren war das eine unglaublich gute Lehrzeit.
Wann stand für dich damals überhaupt fest, dass du in die USA gehen musst, um deiner Leidenschaft und Profession nachzugehen? Ist dir das Auswandern schwergefallen?
Roland rief mich im Herbst ʼ94 an, nachdem wir uns nach Universal Soldier ein paar Jahre nicht gesehen hatten, und fragte mich, ob ich nicht Lust hätte, in die USA zu kommen, um an seinem nächsten Film mitzuarbeiten: Independence Day. Es gab gerade mal ein Drehbuch. Ich hatte zufällig zwei Wochen davor mein Kündigung bei der Filmakademie Baden Württemberg eingereicht. Im April 1996 war es dann soweit und ich bin mit zwei Koffern in die USA gereist. Tatsächlich wusste ich zu dem Zeitpunkt noch nicht, dass ich wirklich auswandern würde – es war erst mal nur ein Einzelprojekt in den USA. Aber bevor wir mit ID fertig waren, fragten mich Roland und Dean Devlin, ob ich nicht für Godzilla an Bord bleiben könnte. Ich habe mich mit dem Leben in Los Angeles sehr schnell angefreundet, vor allem auch mit dem Wetter (lacht). Ich hatte die Chance, viele meiner Vorbilder aus der Branche kennenzulernen, und mir fiel gleich auf, dass sie mich ganz selbstverständlich als Kollegen behandelten.
Wie hat sich die Zusammenarbeit mit Roland Emmerich in den letzten 25 Jahren entwickelt und verändert? Versteht ihr euch inzwischen wortlos wie ein altes Ehepaar?
Ja, das ist inzwischen unser achtes gemeinsames Projekt mit mir als Visual Effects Supervisor, und man spricht nach so langer Zeit eine gemeinsame Sprache – das heißt aber noch lange nicht, dass die sechzehn VFX-Firmen, mit denen wir zusammenarbeiten, auch diese Sprache sprechen (lacht). Aber deshalb ist ein Teil meines Jobs ja auch, eine Art visueller Dolmetscher zu sein.
Kann man die Zusammenarbeit an Independence Day und an dem Sequel miteinander vergleichen?
Die Zusammenarbeit beim ersten Independence Day war anders als heute. Das war auch Rolands erster großer VFX-Film, und aufgrund der Arbeitsweise mit den Modelltricks gab es schnelleres Feedback von ihm. Wir haben z.B. eine große Miniaturlandschaft vorbereitet und dann kam Roland in einer Drehpause kurz nach nebenan in unser Studio. Gemeinsam haben wir das Set-Up besprochen, einige Dinge verändert. Er ging dann zurück zu den Schauspielern, wir haben gedreht, und die Sache war im Kasten. Heute, im digitalen Zeitalter, kann der Regisseur einen Shot solange perfektionieren, bis er ganz zufrieden ist – oder uns die Zeit oder das Budget ausgeht. Man darf in diesem Zusammenhang auch nicht vergessen, dass der Original-Film 400 VFX-Einstellungen hatte und die Fortsetzung 1700 Einstellungen. Man verbringt dadurch pro Einstellung viel weniger Zeit zusammen.
Hattet ihr mit der alten Crew – Jeff Goldblum, Bill Pullman und Co. – auch ein bisschen „Klassentreffen“-Stimmung, und profitiert ein Filmprojekt von so einem Feeling?
Auf jeden Fall. Unsere „alte“ Schauspieler-Riege sind supernette Leute. Jeff Goldblum scheint immer gut gelaunt und von allem fasziniert zu sein, Bill Pullman ist immer ein echter Gentleman und Judd Hirsch ist mit seinen über 80 Jahren ein Energiebolzen. Aus mir unerfindlichen Gründen spricht Jeff gerne meinen Namen sehr laut aus – und er sagt immer Vor- und Nachnamen als ein Wort. Das V-O-L dabei sehr langgezogen. Also Voooolkerengel! Und dabei grinst er wie ein Honigkuchenpferd. Ich antworte dann natürlich mit: Jeeeeffgoldblum! So haben wir uns jeden Morgen beim Dreh begrüßt.
Du hast uns auch ein paar Bilder vom Set mitgebracht …
Das erste Bild zeigt mich am „Africa“-Set in Albuquerque, New Mexico – wo 95 Prozent des Films gedreht wurden – vor dem „Moon Tug“, das in Originalgröße gebaut wurde. Sobald es fliegt, benutzen wir natürlich die digitale Variante, inklusive digitaler Schauspieler. Das Vorher/Nachher-Bluescreen-Bild zeigt Jeff Goldblum und Bill Pullman – im Vordergrund – im Hangar von Area 51. Eine von vielen Kamera-Einstellungen, die unsere eigene Firma Uncharted Territory produziert hat.
Wie tricky ist es eigentlich, nach 20 Jahren ein technisch letztlich überlegenes Sequel zu einem Film wie Independence Day zu drehen? Muss man sich bremsen, damit die Möglichkeiten der neuen Technik nicht zu einem Bruch in der Ästhetik führt oder den ersten Teil sogar rückwirkend abwertet?
Nein, gar nicht. Es wird eine Geschichte erzählt, und man erzählt sie mit eben den filmischen Mitteln, die einem zum Zeitpunkt der Entstehung zur Verfügung stehen. Ein Regisseur wie Roland Emmerich hatte noch nie die Tendenz, plötzlich völlig übertriebene, ewig lange Kameraflüge durch digitale Kulissen zu machen, nur weil die Technologie dafür jetzt vorhanden ist – es sei denn, er kann nur so einen Teil der Geschichte erzählen, wie z. B. in der Titelsequenz des Films.
Wie siehst du den Trend zu 3D-Filmen, und was bedeutete diese Erweiterung der Dimension de facto für die Arbeit an Independence Day: Wiederkehr?
Ich bin kein Fan vom 3D-Format, und Roland auch nicht. Der Markt ist nach wie vor vorhanden, und die Studios verlangen als Finanziers eine 3D-Fassung des Films für eine umfassendere Auswertung. Der Film wurde in 2D gedreht und während der Postproduktion konvertiert. Wir haben den beiden Konvertierungsfirmen unsere VFX-Shots in ihre einzelnen Elemente unterteilt gegeben, damit sie dann die Tiefenwirkung erzeugen können. Ansonsten hat der 3D-Aspekt bei der Herstellung keinen Unterschied gemacht. Ich hatte die Möglichkeit, mir den Film hier in Los Angeles in einer IMAX-3D-Laser-Projektion anzusehen. Die Laser-Projektion sorgt in diesem Fall für die nötige Helligkeit, die man ansonsten durch die 3D-Brille wieder verliert. Das war wirklich beeindruckend, und zum Glück wurde auch völlig auf übertriebene 3D-Effekte verzichtet – dafür hat sicher auch Roland während der Abnahme dieser Fassung gesorgt.
Existiert in deinen Augen eine Gefahr für die Authentizität und Konsistenz von Filmen, wenn effekt-technisch quasi alles möglich bzw. nichts unmöglich ist?
Ich habe diese Entwicklung schon immer positiv betrachtet. Es bedeutet, dass in der Zukunft Geschichten erzählt werden können, die vorher niemand realisieren konnte. Das beste Beispiel ist Avatar, den Cameron schon mehr als zehn Jahre zuvor realisieren wollte, dann aber feststellte, dass die Technologie für das Erzählen dieser Geschichte einfach noch nicht da war. Auch Alex Garland hätte seinen genialen Film Ex-Machina einige Jahre zuvor so nicht erzählen können.
Worin siehst du den nächsten Sprung in Sachen VFX, der am Horizont wartet?
Ich sehe tatsächlich eher schrittweise Verbesserungen in verschiedenen Bereichen. Wir arbeiten z. B. seit kurzem bei den Dreharbeiten mit einem Real-time Compositing System. Das erlaubt dem Regisseur, in einem Bluescreen-Set die Schauspieler bereits in ihrer virtuellen Umgebung zu sehen. Die Kamera kann sich dabei völlig frei bewegen, das heißt, niemand muss mehr raten, wie das ganze später als fertige Bildkomposition aussehen wird. Das ist deshalb revolutionär, weil es dem Regisseur völlige kreative Freiheit beim Quadrieren seiner Einstellungen gibt.
Was steht nach dem neuerlichen Kampf gegen die Aliens als nächstes für dich auf der Liste?
Da steht nach 20 Monaten ununterbrochener Arbeit jetzt erst mal „3 Monate Auszeit“ (lacht). Danach freue ich mich darauf, endlich wieder Zeit zu haben, mich auf Projekte zu konzentrieren, die ich für unsere Firma Uncharted Territory zusammen mit meiner Frau Gesa und meinem Businesspartner Marc Weigert entwickle.
Volker Engel, vielen Dank für das Gespräch!
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