1. April 2014 1 Likes

Zukunft ohne Kunst

Dietmar Dath stellt sein großes SF-Epos „Feldeváye” vor

Lesezeit: 3 min.

Science-Fiction-Literatur ist Kunst, die davon erzählt, was zukünftig sein könnte. Was aber ist, wenn sie von einer Zukunft erzählt, in der die Kunst durch Techniken des Möglichen überwunden und damit etwas Vergangenes, gar Überflüssiges, weil Gelebtes zu sein scheint? Dietmar Daths neue, keine zwei Erscheinungsjahre von Pulsarnacht (im Shop) entfernte, 800 Seiten starke Großerzählung Feldeváye. Roman der Letzten Künste bildet auf diese Frage die Antwort.

Vor deren formalem und ideellem Überreichtum, der gelesen, d.h. am eigenen Leib und Geist erfahren werden muss, kommt jeder Versuch einer knappen Paraphrase beinahe obszön daher. Schließlich können auch die Romanfiguren die auf dem abgelegenen Planeten Feldeváye zurückgekehrten Kunsterlebnisse nicht auf das Mathematische, auf den Goldenen Schnitt, auf Oktavenharmonie, Rapid-Eye-Movement, Algorithmen, Stochastik oder Statistik rückrechnen. Auch weitestmöglich gedachter, imaginierter und imaginär realisierter technisch-wissenschaftlicher Fortschritt braucht die Kunst. Das Maximum an Individualität, das in Gesellschaften (und nur in Gesellschaften gibt es Individuen) zu erreichen möglich ist, ohne die gewohnten üblen Hierarchien einreißen zu lassen, hängt daran, wie weit Vorstellungskraft und ästhetische Reflexion ins Soziale eingebettet sind. Kunst erst macht das Soziale lebenswert und kann die Eutopie verwirklichter technischer und politischer Menschheitsträume vor der nie verschwindenden Drohung des Dystopischen schützen. Nur so ist das Maximum an Individualität erreichbar, für das ein anderes Wort lautet: Liebe. Davon also, von künftigen Orten der „Kunstwerke als Gelegenheiten neuer sozialer Beziehungen“ (S. 577), erzählt Feldeváye nicht thesenschwer-essayistisch, sondern in kosmisch-kunstvoller Opulenz.

Während das Großfeuilleton partout nicht über sein auf Klatsch-Tratsch-Niveau klebendes Erstaunen darüber hinwegkommt, dass Dietmar Dath ästhetischen, technischen und sozialen Fortschritt zusammendenkt, muss sich der Feuilletonist Dath auch noch, statt in Ruhe seine erstaunlichen, der Tristesse deutschsprachiger Gegenwartsliteratur hohnsprechenden Bücher schreiben zu können, in die uraltbacken geführte Debatte über die Tristesse deutschsprachiger Gegenwartsliteratur verwickeln lassen, statt ausschließlich Wichtigeres sagen zu können wie:

„Und zwar hat Margaret Atwood […] noch vor 10 Jahren sich mit Händen und Füßen dagegen verwahrt, dass das Science-Fiction sei, wenn sie eine Dystopie schreibt, wenn sie einen üblen Ort der Zukunft beschreibt, und hat gesagt: Das ist keine Science-Fiction. Da kommen keine sprechenden Tintenfische vor. Inzwischen hat sie eingesehen, dass das so ähnlich ist, wie wenn man sagen würde: Das ist kein politischer Roman. Da kommt ja die FDP nicht vor. Da kommt ja kein Staatssekretär vor. Da kommt ja das Ehegattensplitting nicht vor. Oder die Kommunalwahlen.

Das heißt – viele, viele sehr gute Leute fangen an zu verstehen, dass das eine Gattung ist, die einen Vorteil bietet, den Gattungen immer bieten, nämlich: Man hat plötzlich einen Maßstab für Gelingen und Misslingen und etwas, das man belasten kann. Der Mann, nach dem dieses Haus hier heißt, hat mal den schönen Satz gesagt: Arbeiten heißt für mich nicht nur, mich in einen Kanon einschreiben, der in irgendeiner Weise legitimiert ist. Ich möchte nicht nur an das gute Alte anknüpfen, sondern auch an das schlechte Neue. Brecht hat’s wie immer am besten gesagt.“

So Dietmar Dath bei der nicht nur als Lektüreeinstieg hörenswerten, in Gänze dokumentierten Vorstellung von Feldeváye im Berliner Brecht-Haus am 21.3.2014.

Dietmar Dath: Feldeváye. Roman der Letzten Künste · Suhrkamp Verlag, Berlin 2014 · 807 Seiten · € 20,-

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