18. Oktober 2025

Pflanzen-Utopien, Eso-Dystopien und Gotham-Noir

Phantastik-Comic-Neuheiten im Oktober

Lesezeit: 6 min.

In Patrick Lacans und Marion Besancons „Grün“ schlägt die Natur zurück, in Judith Kranz‘ Debüt „Soma“ ist sie bereits unbewohnbar, und in Tom Kings „Gotham City“ hilft auch keine Fledermaus.

 

Patrick Lacan/Marion Besancon: Grün

Ist das nun die Rache der Natur? Erst werden Kinder mit vereinzelten Blättern am Körper geboren, dann breitet sich auch im Rest der Bevölkerung unbehandelbarerer Pflanzenwuchs aus. Die Epidemie wird in wenigen Monaten zur Pandemie, und auch die Pflanzen selbst breiten sich rasend schnell aus. Das Ausmaß mutet apokalyptisch an, aber die Entwicklung ist eigentlich keineswegs bedrohlich: Weder sterben die Menschen am Pflanzenbefall noch leiden sie Schmerzen, im Gegenteil. Alle beschreiben sich als zufriedener denn je und suchen nach Wegen, sich mit der neuen Situation zu arrangieren. Es sind wieder mal die Menschen selbst, von denen Gefahr ausgeht: Schnell bilden sich Pro-Menschen-Gruppen, die zunächst Demos organisieren, im Internet Propaganda und Fake-Videos verbreiten und schließlich zu immer brutaleren Mitteln gegen Mensch und Natur greifen. Wer wird da nicht an Corona denken, an Rechtspopulismus und ökologischen Raubbau? Das französische Duo Patrick Lacan und Marion Besancon ist an den Mechanismen der Xenophobie und des Irrationalismus interessiert, schwelgt aber zugleich seitenweise in einer üppigen schwarzweißen Naturästhetik (die im utopischen Schlussteil auch Farbe annimmt), dass man aus dem Staunen nicht mehr rauskommt, selbst wenn sich letztendlich gar nicht so leicht sagen lässt, worauf dieser prachtvolle Wildwuchs eigentlich hinauswill.

Patrick Lacan/Marion Besancon: Grün • Avant-Verlag, Berlin 2025 • Hardcover • 264 Seiten • 35,00 Euro

 

Judith Kranz: Soma

Der Struktur nach ist „Soma“, das Debüt der Hamburger Comiczeichnerin Judith Kranz und Teil ihrer Bachelorarbeit an der HAW Hamburg, eine Dystopie: Das kleine Volk der Soma lebt unter der Erde. Draußen ist alles verseucht, Wasser lässt die seltsam anmutig knubbeligen Wesen vertrocknen, die Erde verbrennt sie, an der Luft verfallen sie zu Staub. Pflanzen liefern Nahrung und Material, aus dem sie Schutzanzüge und -helme in Steckdosenoptik herstellen. Die äußere Gefahr wird durch den Druck im Innern noch erhöht: Der sogenannte große Rat weist allen Arbeit zu und entscheidet, wer in einem regelmäßigen religiös aufgeladenen Ritual sein Leben für den Fortbestand der Gemeinschaft opfern muss. Widerstand wird sanktioniert, auch insgeheim: Als Lan in einem privaten Gespräch die Obrigkeit kritisiert, führt das zu einem abgekarteten Auswahlverfahren für die nächste Zeremonie. Also tritt Lan mit einem Freund die Flucht an und folgt den Spuren früherer Erkundungstrupps – eine Reise in eine faszinierend abweisende Natur, die in Kranz‘ wunderschön zierlichen Bleistiftzeichnungen, denen man die Schule Anke Feuchtenbergers anmerkt, zu einer atmosphärisch aufgeladenen Allegorie auf Freundschaft, Individualität und Resistenz reift.

Judith Kranz: Soma • Reprodukt, Berlin 2025 • 192 Seiten • Hardcover • 29,00 Euro

 

Tom King/Phil Hester: Gotham City. Das erste Jahr

Frank Millers und David Mazzucchellis „Batman: Year One“ (1987) erwies sich als grimmiger Klassiker, der im Fahrwasser des „Dark Knight“-Erfolgs die Batman-Figur mit Techniken der Kriminalerzählung einer langsam erodierenden Gesellschaft im sozialen Aufruhr aussetzt und die Origin Story der Fledermaus neu betrachtet. Das machte Schule, und über Jahrzehnte folgten Dutzende weiterer „Year One“-Ableger mit mal mehr, mal weniger namhaften DC-Figuren und qualitativ schwankendem Ergebnis. Tom Kings Versuch, der Entwicklung Gothams von der prosperierenden Stadt mit der, so will es die Story, weltweit niedrigsten Kriminalitätsrate zum allseits bekannten Moloch nachzuspüren, ist da schon ein anderer Schnack. King springt zurück ins Jahr 1961 und setzt den Privatdetektiv Slam Bradley auf einen Entführungsfall in der Wayne-Familie, den Großeltern Bruce Waynes, an, deren Tochter gekidnappt wurde, was – in einer ziemlich galligen mehrdeutigen Pointe – den ohnehin brutalen Rassismus in Gothams Gesellsschaftsstruktur, wo die Segregation noch spürbar ist, zur Pogrom-Stimmung anheizt. Die Entscheidung, Bradley als Hauptfigur und Erzähler auszuwählen, ist ohnehin von politischer Dimension. Seine Anfänge als lupenreiner, Chinesen hassender Rassist seit der ersten Ausgabe der „Detective Comics“ konterkariert King mit einer neuen Backstory. Hier wird er selbst von der Angst um seine nun schwarze Mutter getrieben und ist vom Polizisten zum Hard-Boiled-Privatschnüffler abgestiegen, weil er angesichts der Gewalt gegen Schwarze in den Behörden eines Tages seinen Ex-Kollegen die Scheiße aus dem Leib geprügelt hat. Gegen den Noir-typischen Nihilismus bringt King also auch ganz manifeste Gesellschaftskritik in Stellung; sein Slam Bradley hat nicht nur alles gesehen, sondern weiß auch, was daraus erwachsen wird.

Tom King/Phil Hester: Gotham City. Das erste Jahr • Panini, Stuttgart 2025 • 208 Seiten • Hardcover • 39,00 Euro

 

Rodney Barnes/Stevan Subic: Batman – Full Moon

Batman als Halloween-Snack: „Full Moon“ ist eine in vier Heften erzählte Werwolfgeschichte, die sowohl dem urbanen Lykanthropen moderneren Zuschnitts als auch den klassischen Motiven der Universal-Figur Curt Siodmaks Tribut zollt, weshalb sich die Schauplätze auch von Gotham City bis in die tiefen Wäldern Rumäniens erstrecken. Auf der einen Seite ein aus dem Labor von Wayne Pharmaceuticals ausgebrochener Werwolf, ein ehemaliger Soldat, der nachts die Stadt heimsucht, auf der anderen Seite Batman, der beim ersten Kampf gebissen wird und nun selbst zur Gefahr wird. Beide vereint die tragische Komponente, dass sie ihr ausbrechendes Es nicht kontrollieren können und alles daran setzen, diesen Fluch wieder loszuwerden, nachdem ihre Versuche der Selbstdomestizierung fehlgeschlagen sind. Ambivalenzen, Modifikationen, Metaphernspiele Fehlanzeige, „Full Moon“ möchte geradezu unschuldig im Mythos wühlen, mit spitzen Krallen und blutigen Reißzähnen im unheilvollen Vollmondschein. Das ist keine Schande und wird von Stefan Subic‘ düsterem Bilderstrom mit reichlich Atmosphäre angereichert.

Rodney Barnes/Stevan Subic: Batman – Full Moon • Panini, Stuttgart 2025 • 152 Seiten • Softcover • 20,00 Euro

 

Antonio Montana: H. P. Lovecraft: Die Katzen von Ulthar

Dies ist der dritte und letzte Band einer italienischen Comic-Anthologie-Reihe mit Adaptionen von Kurzgeschichten aus dem Frühwerk H. P. Lovecrafts. Waren die Vorgänger opulent aquarelliert oder variierten Stile des US-amerikanischen Mainstreams, ist dieser Abschluss am experimentierfreudigsten. Vier Geschichten – „Die Katzen von Ulthar“, „Der schreckliche alte Mann“, „Der Außenseiter“ und „Der Hund“ – hat Zeichner Antonio Montano umgesetzt und besinnt sich auf die Pulp-Wurzeln von Lovecrafts Prosa: kantige Formen, ein monochromes, übersichtliches Farbschema, eine hie und da vergilbte Anmutung im expressiven Zeichenrausch erinnern an die verspielteren Zeiten einstiger Horror-Illustrationskunst. Das ist, erst recht für Lovecraft, sehr reduktionistisch, da genügt auch schon die Andeutung eines Schattens, um den Schrecken anzukündigen, was insofern mit Lovecrafts frühen Story-Versuchen korrespondiert, als sich hier das Grauen noch nicht aus der Existenz kosmischer Wesen, sondern den dunklen Abgründen der Menschen speist und klassisch psychologisch grundiert ist.

Antonio Montana: H. P. Lovecraft: Die Katzen von Ulthar und weitere Geschichten • Splitter Verlag, Bielefeld 2025 • 80 Seiten • Hardcover • 19,80 Euro

 

Gaet’s/Clotilde Goubely: Dinodyssee Band 1

„Dinodyssee“ ist der Auftakt zu einem freundlichen Kindercomic, in dem ein junger Velociraptor, dessen Talent als Jäger zu wünschen übrig lässt, sich aufmacht, die Welt zu retten. Denn am Himmel sind große Feuerbälle zu sehen, was jedoch die weiteren Bewohner nicht allzu ernst nehmen. Darum gewinnt der ein paar Freunde und begibt sich auf den Weg zu dem weisen Anky, dem Einzigen, der vermutlich die Gefahr probat einzuschätzen versteht. Das führt zu einem komödiantischen Roadtrip, bei dem Mut und Verantwortung gefordert sind, der einerseits dank der niedlichen Figurenzeichnung erfreut und genau deswegen aber auch gelegentlich enttäuscht, wenn es in manchen Panels mit den Perspektiven, Bewegungsabläufen oder Bildhintergründen nicht so genau genommen wird – Mankos indes, die man im zweiten Band womöglich besser im Griff hat.

Gaet’s/Clotilde Goubely: Dinodyssee Band 1: Freunde für immer • Toonfish, Bielefeld 2025 • 56 Seiten • Hardcover • 15,95 Euro

 

Boris Koch: Das Schiff der verlorenen Kinder

Boris Kochs neuer Roman „Das Schiff der verlorenen Kinder“ ist einigen hiesigen Comicfans gewissermaßen bereits bekannt: Denn zuvor erschien das Werk, gezeichnet von Frauke Berger, als opulente vierbändige Comicserie beim Splitter Verlag und wurde im März dieses Jahres abgeschlossen. Das erzählerische und visuelle Kleinod, das sich zwischen Young Adult und Weird Fiction ein gemütliches Plätzchen gebettet hat, überzeugte auch die Jury des Krefelder Preises für Fantastische Literatur und wurde 2023 ausgezeichnet. Sowohl im Comic als auch Roman finden sich eines Nachts die beiden Brüder Leo und Felix statt in ihrem vertrauten Zuhause auf einem gigantischen, unheimlichen Schiff wieder, das von allerlei Monstern bevölkert wird. Hinter jeder Tür auf den verwinkelten Gängen könnte weiteres Ungemach drohen. Was es mit diesem Schiff – diesem Ort, an dem sich die Ängste der Kinder bündeln –, das sich anscheinend ohne Kapitän durch die „Rückseite der Wirklichkeit“ bewegt, auf sich hat, werden die beiden zusammen mit weiteren Kindern, auf die sie bei ihrer Suche stoßen, herausfinden. Dass nun auch ein Vergleich zwischen Roman und Comic möglich ist, macht diese Reise umso faszinierender.

Boris Koch: Das Schiff der verlorenen Kinder • Heyne, München 2025 • 544 Seiten • Erhältlich als Hardcover und eBook • Preis des Hardcovers: 24,00 Euro • im Shop

Kommentare

Zum Verfassen von Kommentaren bitte Anmelden oder Registrieren.
Sie benötigen einen Webbrowser mit aktiviertem JavaScript um alle Features dieser Seite nutzen zu können.