Retro-Phänomene, Ruhmsucht und Bilder der Apokalypse
Phantastik-Comic-Neuheiten im März
Captain Future fliegt wieder, Christophe Bec weckt Erinnerungen an die Hochzeit des „Métal Hurlant“-Magazins, und ein Außenseiter gibt den Artus der Gegenwart.
Sylvain Runberg, Alexis Tallone: Captain Future - Der ewige Herrscher
Der Retro-Zug macht Halt bei Captain Future: Nicht Edmond Hamiltons Storys aus dem in den 1940ern erschienenen gleichnamigen Pulp-Magazin, sondern natürlich der Anime-TV-Serie aus den späten 1970ern – hierzulande in den frühen Achtzigern in wilder Reihenfolge, gekürzt und mit eigenen Scores und neuem Theme vom ZDF versendet – verdankt man diese Wiederauferstehung als dickes frankobelgisches Album. Optisch ist man damit von der 80er-Comicheft-Schlonze des Bastei Verlags weit entfernt und übernimmt die TV-Serien-Ästhetik mit ein paar behutsamen originären Akzenten.
Inhaltlich setzt Szenarist Sylvain Runberg, der in den 2000er Jahren mit „Orbital“ immerhin eine der besten Euro-SF-Serien der Dekade geschrieben hat, auf Fan-Service, adaptiert den Roman „Der Sternenkaiser“ bzw. die ersten TV-Folgen, verändert hie und da die origin story und bleibt im üblichen Space-Opera-Sumpf. Multitalentiert, klasse aussehend und voll ungetrübter Technikbegeisterung fliegt der Captain mit seinem Team auf den Planeten Megara, um aufzuklären, was es mit der geheimnisvollen Seuche, die die Bewohner in rasende Monster verwandelt, auf sich hat. Nichts gegen zu sagen, wenn man damals vor dem Röhrenfernseher dem sense of wonder nachjagte und es eben nie aufhören soll.
Blamabel sind die Charakterveränderungen des einzigen weiblichen Crew-Mitglieds Joan Landor, die Runberg allem Anschein nach für eine zeitgemäße Modernisierung hält: Aus dem staunenden, Captain Future anhimmelnden love interest wurde nun eine „starke“ (gleichwohl man sie nie schwer heben sieht) Agentin, die nichts vom Medienstar Future hält und ständig an seinen Entscheidungen herummeckert. Da der immergute Captain aber stets recht behalten soll, reicht ihre Entwicklung weg von der aufblickenden Blondine gerade mal bis zur vorurteilszerfressenen Dauernörglerin, deren Fehleinschätzungen Futures heroische Unantastbarkeit nur bestätigen. Für diesen Fortschritt gäb’s von Trump ‚nen Klaps aufn Po.
Sylvain Runberg, Alexis Tallone: Captain Future. Der ewige Herrscher • Carlsen, Hamburg 2025 • 168 Seiten • Hardcover • € 28,00
Christophe Bec: Inexistenzen
Ein im Vergleich zu „Captain Future“ interessanteres Spiel mit Retro-Bausteinen liefert der Franzose Christophe Bec, der sich über eine schlechte Auftragslage als Autor nicht beschweren kann. Seine Publikationsliste bewegt sich im höheren zweistelligen Bereich, und die Option zur Verlängerung ist in seinen epischen Serien immer eingebaut (bis hin zur erzählerischen Megalomanie, etwa bei der 25-bändigen Eso-Invasionsstory „Prometheus“, die mal als bescheidener Sechsteiler anfing). Nur selten greift er selbst zum Zeichenstift, beispielsweise für die atmosphärische Lovecraft-Hommage „Heiligtum“. Aber wenn dies geschieht, bleibt das Plot-Konzentrat unangetastet, und so ist auch „Inexistenzen“ eine 150-seitige Graphic Novel ohne Fransen und Abzweigungen. Im Postapokalypse-Setting geschieht nicht allzuviel, ein paar Figuren durchforsten eine lebensfeindliche Welt aus Schnee und Eis, angetrieben von Gerüchten um einen letzten Zufluchtsort. Bec schwelgt meditativ in Atmosphäre, wechselt von Prosa- zu Comic-Sequenzen und zeigt ausgewalzt in großformatigen Bildern – drei Panoramaseiten sind sogar ausklappbar – den Verfall der Zivilisation. Und das erinnert in den besten Passagen durchaus an die Hochzeit des „Métal Hurlant“-Magazins (so auch der programmatische Titel eines Kapitels), in dem die jungen Wilden der französischen Comic-Elite unseren Blick auf die Science Fiction neu justierten und ihre verzweifelte Sicht auf die Welt in frei flottierende Bilder übertrugen. Weswegen auch der Schriftsteller, Schauspieler, Opern-Regisseur und Comic-Historiker Numa Sadoul im Vorwort konstatiert: „In unserer traurigen Epoche der geistigen Regression, der programmierten Verdummung der Gehirne, des Endes der Zivilisation, der klimatischen Umwälzungen, der Zerstörung der Natur und der anhaltenden Bedrohung durch die Gefahr einer allgemeinen nuklearen Auslöschung ist das Eintauchen in Christophe Becs ‚Inexistenzen‘ mit Sicherheit eine schöne Begleitung des finalen Flächenbrandes.“
Christophe Bec: Inexistenzen • Splitter Verlag, Bielefeld 2025 • 152 Seiten • Hardcover • € 39,80
Ville Ranta: Wie ich Frankreich erobert habe
Ville Ranta ist derzeit der vermutlich bekannteste Karikaturist Finnlands. Das füllt die Kasse. Als Comiczeichner ist er auch auf dem französischen Markt seit zwei Jahrzehnten sehr präsent, aber der große Durchbruch blieb ihm verwehrt. „Wie ich Frankreich erobert habe“ ist nun sein Resümee dieser Erfahrungen, eine derbe, teils überaus lustige Satire auf den französischen Comicbetrieb mit vielen autobiographischen Noten. Manche der Figuren sind recht leicht zu dechiffrieren, wenn man mit ihrem Werk vertraut ist, etwa „Donjon“-Schöpfer und Komik-Mastermind Lewis Trondheim (mit dem Ranta 2006 ein Album realisierte, das sich als Türöffner in Frankreich erweisen sollte) oder der Hergé-Experte Benoit Mouchart. Es ist eine Geschichte über Eitelkeiten, Narzissten und Dampfplauderer, über vermeintliche Marktmechanismen, Machtspiele, künstlerische Integrität und den Umgang mit ausbleibendem Erfolg. It’s funny ‚cause it’s true. Sich selbst schont Ranta dabei nicht im Geringsten und zeigt, wie er die Jagd auf den großen Erfolg auch rüde über die eigene Familie stellt und recht unvermittelt nach Frankreich aufbricht, um endlich als Künstler die verdammt noch mal überfällige Anerkennung zu erhalten, statt beim Windeln wechseln zu verkümmern.
Ville Ranta: Wie ich Frankreich erobert habe • Reprodukt, Berlin 2025 • 164 Seiten • Hardcover • € 20,00
Frederic Maupome, Wauter Mannaert: Quest Band 1: Die Dame vom See
Ein weiterer Beitrag zu Reprodukts Kinder- und Jugendcomic-Schiene: Frederic Maupome und Wauter Mannaert verlegen die Artus-Sage mit herrlicher Ironie in unsere Gegenwart, angereichert um Fish-out-of-Water- und dezente Paranoia-Images. Hauptfigur Pelli übernimmt die Fackel seines Großvaters und macht fortan Jagd auf „die Bestie“, wie es schon unzählige seiner Ahnen vor ihm taten. Erwischt hat sie indes noch niemand, und so erscheinen auch die Versuche des jungen bebrillten Außenseiters recht lust- und hilflos. Immerhin gelingt es ihm zu Beginn, an einem, so die Instruktion, „seltsam schönen See“, der sich als umgekippter, zugemüllter Tümpel entpuppt, eine Fee zu beschwören, um von ihr das sagenumwobene Schwert für die Jagd zu erhalten. Die haust schon lange in einem vergammelten Zelt samt Plastikstuhl davor. „Sollten Sie nicht im See wohnen und mit dem Schwert in der Hand heraussteigen?“ „Sehen Sie nicht in welchem Zustand der ist? Glauben Sie, man kann darin leben? Man sieht nicht weiter als 10 cm! Es gibt nicht mal mehr Fische, nichts! Also pfeif ich auf die Kulisse!“ Mit viel Überredungskunst kann sie sich Pelli anschließen, und ihre gemeinsame Quest – auf einem Motorroller statt zu Pferde und inklusive geheimdienstartigen brutalen Verfolgern, die all ihre magischen Spuren verwischen – ist auch ein steter reality check, wie wenig Anmut unsere ökologisch ausgedörrte, ökonomisch versaubeutelte Welt für ein veritables Fantasy-Setting noch bereithält.
Frederic Maupome, Wauter Mannaert: Quest Band 1: Die Dame vom See • Reprodukt, Berlin 2025 • 120 Seiten • Hardcover • € 20,00
Frauke Berger, Boris Koch: Das Schiff der verlorenen Kinder Band 4: Das Ende der Welt
Frauke Bergers und Boris Kochs Serie „Das Schiff der verlorenen Kinder“ erzählt von der Odyssee einer Gruppe Kinder, die eines Morgens statt in ihrem gewohnten, wenn auch ganz und gar nicht harmonischen Zuhause auf einem unheimlichen Schiff im Nirgendwo aufwachen, wo sie sich gegen ziemlich garstige Monster erwehren und herausfinden müssen, was sie an diesen bizarren Ort verschlagen hat – ein erzählerisches und visuelles Kleinod, das zwischen Young Adult und Weird Fiction einer ganz originären Ästhetik frönt, die sich den beeindruckend vielfältigen Bilderwelten Frauke Bergers verdankt, der ungekrönten Königin der hiesigen Comic-Fantastik. 2023 wurde das über 500 Seiten fassende Werk mit dem Krefelder Preis für Fantastische Literatur ausgezeichnet und ist nun mit der Veröffentlichung des vierten Bandes abgeschlossen.
Frauke Berger, Boris Koch: Das Schiff der verlorenen Kinder Band 4: Das Ende der Welt • Splitter Verlag, Bielefeld 2025 • 136 Seiten • Hardcover • € 22,00
Abb. ganz oben: „Captain Future“, Carlsen
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