Familie, Verfall und Viren
„Midnight Special“ und anderes Futuristisches auf der Berlinale
Man glaubt es kaum, aber einer der Filme, der im Vorfeld der diesjährigen Berlinale die größten Erwartungen weckte, war ein Science-Fiction Film. Gut, harte Science-Fiction im Sinne von futuristischen Welten, Raumschiffen oder ähnlichen offensichtlichen Genre-Versatzstücken hat Jeff Nichols „Midnight Special“ nicht zu bieten, sonst hätte er es wohl auch kaum in den Wettbewerb eines A-Festivals geschafft, meist ja strikt genrefreie Zone. Was Nichols in seinem vierten Film anstrebt ist eher psychologischer Natur und ist im Kern eigentlich eine Familiengeschichte.
In den ersten Minuten wirkt „Midnight Special“ noch viel größer: Von einer Kindesentführung ist da die Rede, vom sieben, acht Jahre alten Alton, der aus den Händen einer Sekte entführt wurde, die ihn als eine Art Messias verehren. In ein paar Tagen naht ein Ereignis, dessen Bedeutung lange unklar bleibt, das aber sowohl für die Sekte, als auch für die Eltern des Jungen von entscheidender Bedeutung ist. Denn als die stellen sich die Entführer heraus, allerdings sind Roy und Sarah keine gewöhnlichen Eltern, denn Alton ist ein Kind mit übernatürlichen Fähigkeiten: Lichtblitze schießen aus seinen Augen und verheißen dem, der sie erblickt, eine bessere Welt. Kein Wunder, dass sowohl die Sekte, als auch die Regierung dem Jungen auf den Fersen ist, der nur eins möchte: nach Hause.

Ins einer Betonung von Familienstrukturen, in deren Zentrum ein kleiner Junge steht, erinnert „Midnight Special“ deutlich an frühe Filme von Steven Spielberg, allerdings ohne deren Kraft zu erreichen. Etwas zu unbestimmt bleibt die Geschichte, zu viele Aspekte wirft Nichols in den Raum, vernachlässigt sie dann aber schnell: Von der Sekte ist irgendwann keine Rede mehr, die angedeutete Paranoia des Vaters läuft ins Leere, auch die offensichtliche christliche Allegorie bleibt allzu vage. Am Ende bleibt ein interessanter Ansatz und ein starkes Darstellerensemble aus Michael Shannon, Kirsten Dunst, Joel Edgerton und dem jungen Jaeden Lieberher als erstaunlich überzeugendes Wesen, das nicht von dieser Welt ist.
Während „Midnight Special“ schon ab Donnerstag im Kino startet, wird man auf andere Filme länger warten müssen. Unbedingt Kinoformat hat dabei Nikolaus Geyrhalters Forum-Beitrag „Homo Sapiens“, ein faszinierender Essayfilm, der in Europa, Amerika und Japan Gebäude zeigt, die von Meschen verlassen wurden und dem Verfall preisgegeben sind. Dass sich solche verlassenen Orte in den letzten Jahren zunehmender Beliebtheit erfreuen, in zahllosen Fotobänden zu ungeahnter Ästhetik stilisiert werden, als Sets von Videos oder Modefotografie herhalten ist wohl auch ein Zeichen für die Sorge vieler Menschen um den Planeten. In ihrem Verfall deuten solche Ruinen oft an, was auch dem Rest unserer Welt in mehr oder weniger ferner Zukunft bevorsteht, sei es durch Umweltkatastrophen oder wirtschaftliche und soziale Umwälzungen. Wie schnell sich die Natur dann Gebäude quasi zurückholt, wie schnell die Präsenz des Menschen vergessen ist, zeigt Geyrhalter in überaus eindrucksvollen Bildern.
Einen ähnlichen Ansatz wählt auch der Berliner Regisseur Clemens von Wedemeyer in seinem experimentellen Film „ESIOD 2015“, in dem ein verlassenes Gebäude, dass einer österreichischen Bank als Campus dienen sollte, Schauplatz ist. Kaum mehr als die Glasfassaden des Gebäudes und ein paar ungewöhnlich wirkende Kostüme sind notwendig, um eine futuristische Atmosphäre zu erzeugen, die die Folgen der Bankenkrise thematisiert, den zunehmenden Verlust der Privatsphäre, die Unfähigkeit der Menschen, die gleichen Fehler nicht noch einmal zu machen.

Schließlich muss noch Alex Gibney spektakuläre Dokumentation „Zero Days“ erwähnt werden, eine enorm faktenreiche Darstellung des Stuxnet-Computervirus und vor allem seiner Folgen. Ein wenig übertreibt er es zwar mit über die Leinwand fliegenden Zahlenreihen, der üblichen Lösung für die Visualisierung von Datenströmen, doch was seine Gesprächspartner zu berichten haben ist ebenso faszinierend wie erschreckend: Dass Stuxnet von amerikanischen und israelischen Geheimdiensten programmiert war, um das iranische Nuklearprogramm anzugreifen, ist inzwischen weitestgehend bekannt. Welche Konsequenzen sich aus der Verbreitung des Virus um die ganze Welt ergeben, wird von manchen Geheimdienstlern mit dem August 1945 verglichen: Dem Abwurf der Atombomben, die eine neue Ära der Kriegsführung einleiteten.
Nicht unbedingt eine vielversprechende Aussicht, nach der man sich gern in die Gefilde der exploitativen Science-Fiction flüchtet, wie sie gern auf dem Filmmarkt der Berlinale angeboten wird: Diesmal fiel besonders ein Film aus Serbien ins Auge, der mit dem Bild eines Astronauten auf dem Plakat kaschiert, dass er offenbar vor allem in Serbien spielt. Besonders amüsant an Dejan Zecevics „The Rift“ ist aber die Catchphrase, bei der man nicht so genau weiß, ob sie besonders absurd oder philosopisch ist: „Death is Dead“.
Großes Foto aus „Homo Sapiens“ © Nikolaus Geyrhalter Filmproduktion GmbH
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