16. August 2015 3 Likes

Bruce Sterling, der Zeitreisende aus dem Jahr 2015

Wie der Science-Fiction-Schriftsteller 1993 über die Gefahren des Internets dachte

Lesezeit: 3 min.

Im April 1993 beriet ein Unterausschusses des amerikanischen Kongresses über die Finanzierung des National Research and Education Networks (NREN), das eine schnellere Internetkommunikation zwischen Universitäten und Forschungsinstituten ermöglichen sollte. Einer der Sachverständigen, die dazu eine Aussage machen sollten, war der Science-Fiction-Schriftsteller Bruce Sterling (im Shop).

Aber Bruce Sterling dachte gar nicht daran, sich wie ein typischer Sachverständiger zu verhalten. Stattdessen berief er sich auf seinen Beruf und erklärte kurzerhand als Mr Bob Smith, NREN-Sysadmin aus dem Jahr 2015, die Zukunft des Internets und die damit verbundenen Gefahren:

[…] Es ist ein herausragendes Privileg, zu den Gesetzgebern zu sprechen, die mein Arbeitsumfeld geschaffen haben. Ohne NREN hätte ich, ein Arbeiter im Cyberspace des 21. Jahrhunderts, keinen Job, und meine Frau, mein kleiner Sohn und ich sind sehr dankbar dafür, dass Sie die Weitsicht besessen haben, den Information Superhighway zu etablieren.

Bob Smith gibt dann einige interessante Einblicke in das Leben im Jahr 2015, das durch das globale Informationsnetzwerk bestimmt wird: „Ich kann mir das heutige Leben nicht mehr ohne das Global Net vorstellen. Ohne das Netz leben zu wollen wäre so, als lebte man ohne Strom.“

Aber in der Zukunft ist natürlich nicht alles eitel Sonnenschein. Es tauchten, so Smith, durchaus Probleme auf, die von diesem Unterausschuss im Jahre 1993 nicht vorhergesehen werden konnten. Zum Beispiel eine anarchistische multinationale Studentenorganisation, die für eine gänzlich freie Gesellschaft eintritt. Radikale Studenten habe es, so Smith/Sterling, schon immer gegeben, aber dank der Informationstechnologie haben sie es jetzt leichter, Gleichgesinnte zu finden und sich abzustimmen. „Fortschrittliche KI-Übersetzungsprogramme verschlimmerten das nur noch, denn 2015 sind die weltweiten Anführer dieser Studentenbewegungen nicht nur extrem radikal, sondern auch noch ausgerechnet Franzosen!“

Neben radikalen französischen Studenten nutzen aber auch sehr viel bösartigere Kräfte das Globale Netz – und hier trifft Sterling richtig ins Schwarze, wenn seine Vorhersagen auch aus heutiger Sicht einen leicht angestaubten Ton haben:

Das zweite große Problem ist die nicht zugelassene Verschlüsselung, die sich als nicht aufzuhalten erwiesen hat. Heute sind 75% der NREN-Archive unlesbar. Länder, die versucht haben, das Netzwerk zu kontrollieren und zu überwachen, haben Marktanteile und Einnahmen verloren, weil die EDV einfach auf das offene Meer abwanderte. Die USA profitieren von diesem Phänomen sehr, weil Menschen aus aller Welt scharenweise unsere relativ freien Netzwerke in Anspruch nehmen. Unglücklicherweise sind viele dieser elektronischen Immigranten nicht einfach nur Dissidenten, die nach einem neuen Weg suchen, sich frei zu äußern, sondern organisierte Kriminelle. Zum Beispiel hat das FBI kürzlich ein riesiges Archiv verschlüsselter Daten aus dem Iran beschlagnahmt, das illegal in einem NREN-Knotenpunkt in North Dakota gespeichert war. Dank eines Informanten konnte das FBI die Daten entschlüsseln. Sie bestanden aus
-80% Bilddaten von attraktiven jungen Frauen ohne Schleier – und auch ohne Kleidung
-15% illegaler westlicher Popmusik- und Videodateien, die in Teheran nach wie vor illegal sind
-und 5% Textdokumente in Farsi, die detailliert beschreiben, wie man Autobomben baut und in städtischen Gebiten zündet.

Sieht so aus, als hätte Bruce Sterling einzig die Katzenbilder nicht vorhergesehen, deren prozentualer Anteil am Internet, wie wir es kennen, inzwischen den von Pornos zu übertreffen scheint.

Sterling/Smith berichten weiter von einer Technologie, die sich 1993 niemand in all ihren Konsequenzen hatte ausmalen können: Die kabellosen Geräte. Nachdem es 2015 möglich ist, seine Geschäfte komplett im Cyberspace abzuwickeln, inklusive finanzieller Transaktionen, hätten viele Menschen jedes physische Heim aufgegeben und lebten komplett im Netz, die Vagabunden des 21. Jahrhunderts. Das mag auf den ersten Blick etwas weit hergeholt wirken – aber auf den zweiten scheint das die logische Weiterentwicklung eines physisch einsamen Lebens in einem virtuellen sozialen Netzwerk zu sein. Diese Zukunftsvision ist 2015 zum Glück noch nicht eingetreten. Geben wir diesem Teil von Sterlings Aussage noch zehn Jahre.

Die komplette Aussage Sterlings kann hier nachgelesen werden: w2eff.org.

Bildquelle: theverge.com

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