5. Februar 2018 3 Likes

Es werde Licht!

„Shadow of the Colossus“ darf nochmal als brillantes Remake erstrahlen

Lesezeit: 6 min.

Was ist über diesen Titel nicht schon alles geschrieben worden. Mit Fumito Uedas ursprünglich bereits 2005 auf der PS2 erschienenem Action-Adventure Shadow of the Colossus verbindet sich wie bei kaum einem anderen Game ein Diskurs, von dem die ganze Branche bis heute gerne zehrt. Denn die Reise des nur von seinem treuen Pferd Agro begleiteten Wander in das karge Land des verbannten Dämons Dormin, um ein totes Mädchen mithilfe der Vernichtung von 16 einzigartigen Kolossen zurück ins Leben zu holen, gilt als der Inbegriff eines Meisterwerks, das sich mit zahlreichen Attributen der Kultur- und Kunstkritik schmücken darf. Da war und ist von einem konsequenten Konzept abseits üblicher Klischeestandards, subtilen Symbolstrukturen, einem an die Thematik wunderbar angepasstem Gameplay voller Interpretationsspielraum und sogar von einer Ästhetik des Erhabenen die Rede.

Mag man im Zuge mancher damaliger Argumente über diese vielleicht fast zu sehr um künstlerischen Gusto bemühte Rhetorik trotz ihres zutreffenden Kerns ein wenig den Kopf geschüttelt haben, bleibt eines allerdings unbestritten: Shadow of the Colossus sorgte gerade im Zusammenspiel mit seinem kaum weniger brillanten Vorgänger Ico und dem famosen Nachfolger The Last Guardian dafür, dass selbst das Feuilleton Games zumindest grundsätzlich auch als ein „kunstfähiges“ Medium akzeptierte und darin nicht mehr nur vorwiegend eine digitale Verdummungsmaschine globalen Ausmaßes erblickte. Außerdem konnte sich die etwas interessiertere Öffentlichkeit nun mithilfe des Game Designers Fumito Ueda am Bild des an (s)einem Gesamtwerk spinnenden „Autors“ laben, da Ueda für alle drei genannten Titel maßgeblich verantwortlich zeichnete. Kein Wunder, dass einem der Begriff Arthaus-Game so ohne verschämte Einschränkung durchaus locker über die Kritikerlippen gleiten konnte. Nicht unerheblich unterstützt und weiter am Leben gehalten wurde der Mythos um Uedas Werk unter anderem mit einer Remaster-Version von Shadow of the Colossus für PS3, die mit detaillierteren Texturen dem Original etwas mehr Grafikpracht entlockte, ohne den zuweilen charakteristisch-störrischen Charme des wenig komfortablen Gameplays mit mehr oder minder behutsamen Modernisierungen anzutasten. Des Meisters Werk blieb unangetastet. Wer würde schließlich im nun ja vergleichbaren Fall schon wagen, Coppola oder Scorsese umzuschneiden oder bei Thomas Mann ein paar Seiten zu kürzen?

Vor diesem Hintergrund erstaunte die Ankündigung seitens Sony allerdings dann doch, ihren Arthaus-Klassiker nicht nur nochmal für die PS4 zu remastern, sondern tatsächlich ein echtes Remake beim darauf spezialisierten Studio Bluepoint Games in Auftrag gegeben zu haben. Wanders Geschichte also komplett neu inszenieren? Vielleicht sogar mit neuen Features und weiteren Giganten? Also richtig Hand anlegen an das bisher Unantastbare? Weit gefehlt! Das nun in bester Ueda-Tradition natürlich wieder exklusiv für PS4 erschienene Ergebnis konzentriert sich penibel darauf, das Original zwar technisch komplett neu aufzusetzen, dabei jedoch bis in die Kameraeinstellungen der Cut-Scenes oder deren schwindend geringer Anzahl innerhalb der gut 6 bis 7 Spielstunden etwas zu verändern. Welchen Sinn hat so gesehen ein Remake wie dieses dann eigentlich, wenn es den ursprünglichen Inhalt doch weder neu interpretiert noch frische Akzente setzt oder mit bedeutsamen Neuboni aufwartet?

Die Antwort fällt erstaunlich simpel und gleichzeitig doch komplexer aus als es auf den ersten Blick scheint. Mag die Aufwertung der Grafik in Richtung zeitgemäßem HD-Look bei anderen Titeln wie bloße Kosmetik wirken, verleiht sie in diesem Fall all den Vorstellungen und Deutungen, die das Original damals hervorrief, eine wesentlich tiefere Dimension. Oder anders gesagt: Wo früher mehr subjektive Perspektive vorherrschte, die manchmal buchstäblich mehr sehen und damit interpretieren wollte, als manchmal grafisch vorhanden war, zaubert uns das Remake nun die entsprechende Grafikmaterie leibhaftig auf den Bildschirm. Die leblose Welt von Shadow ist nämlich nun im Gegensatz zu früher mit all den Details vitalisiert, die uns früher mangels Technikpower der Vorgängerkonsolen gefehlt haben. Sowohl die nach wie vor imposanten Kolosse als auch die gesamte Flora und Fauna wirken nun wesentlich plastischer, regelrecht organisch und damit glaubwürdiger. Letzteres meint vor allem, dass wir nun beim Durchstreifen der endlosen Weiten des von der Außenwelt abgeschotteten Teufelsgebiets den Zahn der Zeit, der an diesem mystischen Land seine Bissspuren allüberall hinterlassen hat, endlich auch tatsächlich sehen können. Das Remake fügt sozusagen markant hinzu, anstatt nur einfach die Pixelanzahl zu erhöhen.

Anders als im Original spürt man daher den Geist einer Vergangenheit einer archaischen Welt, die – aus welchen Gründen auch immer – unterging und nur noch das Böse mitsamt einer von davon diabolisch gespeisten Hoffnung auf magische Erlösung in der Überlieferung übrigließ. Der einsame Wander ist ja letztlich nur das Sinnbild einer unstillbaren Verzweiflung nach Hilfe und somit Agitator eines Wunsches nach Erlösung seiner Liebsten, dem er alles unterzuordnen gewillt ist. Das ist wie damals auch die erzählerisch größte Stärke des Games: Uns mittels des völlig reduzierten Ansatzes darauf zurückzuwerfen, mit einer Figur einen von Anfang an gefährlichen Teufelspakt einzugehen, ohne sich Gedanken über die Konsequenzen zu machen (können). Wenn wir mit Wander die Riesen nacheinander aufstöbern, erlegen, ihren finalen Fall zu höchst melancholischen Klängen bestaunen und uns mit dem unverwüstlich treuen Agro danach wieder auf die Suche nach dem nächsten Ungetüm begeben, ohne außerhalb dieser 16 Ziele irgendetwas anderes erwarten oder erhoffen zu können, erleben wir im Remake nun endlich die Fülle an Eindrücken, die uns diese Tragik wesentlich besser vorführt als es auf PS2 oder 3 möglich war.

Doch auch an der höchst unbequemen Steuerung gerade von Agro haben die Macher zumindest ein wenig gefeilt. Klar, auch dieses Gameplay-Element hatte letztlich einen Sinn im Gesamtkonzept, doch ist im Jahre 2018 schlicht vieles, was man früher in Games einfach akzeptieren musste (wie eben eine völlig unpräzise Steuerung) heute glücklicherweise nicht mehr alternativlos. So ist es sicher nicht unklug von den Machern, uns die Wahl zwischen dem Spielgefühl des Originals und einer leicht verbesserten Steuerung zu überlassen – dem Kern von Shadow erweist beides keinen Bärendienst.

Auch sonst gibt sich das Remake keine Blöße, reiht das schon damals Geliebte oder für überbewertet Gehaltene in emphatischer Monotonie aneinander und lässt selbst Kenner des Originals Jahre später darüber staunen, dass es zwischen Pro- und Epilog tatsächlich nur eine echte zusätzliche Story-Cut-Scene gab und gibt. Welch beeindruckender Minimalismus, wenn man gleichzeitig nun an vielleicht mehr Stellen als früher innerhalb der Spielwelt einfach stehenbleibt, um innezuhalten und über das Gezeigte und dessen Bedeutungshorizont zu kontemplieren. Was vermitteln die nun wesentlich klarer definierten Monumente und Lichtstimmungen? Was kann man darin lesen? Was wird gerade vom zeitlos famosen Orchestersoundtrack evoziert? Und über diese und einige weitere potenzielle Provokationen funktioniert das Remake ebenso für Spieler, die beide oder zumindest eine der bisherigen Versionen schon gespielt haben.

Fazit

Wer Shadow of the Colossus noch nicht kennt und (spätestens) nach diesen Zeilen auf den Geschmack nach einem auch heute noch ungewöhnlichen Game gekommen ist, sollte endlich zuschlagen. Allein schon die Tatsache, dass man es „nur“ mit 16 einzigartigen Geschöpfen mit jeweils eigener Taktik, aber ohne gerne mal nervig spielzeitstreckenden Firlefanz wie Sidequests, Fähigkeiten-Entwicklungen oder auch nur irgendeiner Form von Hektik zu tun hat, ist nach wie vor die Erfahrung dieses in mehrfacher Hinsicht hochklassigen Titels wert. Schon allein der Abspann gehört mit all seinen Facetten zum Tiefgründigsten, was Games bis heute hergegeben und an Emotionen jenseits plumper Jump-and-Shoot-Affekte adressieren. Und ein letzter, sehr persönlicher Punkt: Obwohl ich beim Spielen natürlich genau wusste, was mich kurz vor dem letzten Koloss erwartet, überkam mich bei einer ganz bestimmten Situation das gleiche Gefühl der Trauer wie damals – große (Remake-)Kunst!

Shadow of the Colossus • Bluepoint Games/Sony • Action-Adventure

Abb. © Bluepoint Games/Sony

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