23. April 2018 2 Likes

Das verlorene Paradies?

Der Zeitreise-Roman „Die beste meiner Welten“ von Elan Mastai

Lesezeit: 3 min.

Elan Mastai, der in Vancouver geboren wurde und mit seiner Familie heute in Toronto lebt, schrieb die Drehbücher zu Filmen wie „The F Word – Von wegen nur gute Freunde!“ mit Potter-Darsteller Daniel Radcliffe und Zoe Kazan, und für „Der Samariter – Tödliches Finale“ mit Samuel L. Jackson. 2017 erschien Mastais viel gelobtes, mit einem Vorschuss in Millionenhöhe vergoldetes Romandebüt „All our wrong todays“, das selbst Andy Weir (im Shop) zu Lobeshymnen verleitete. Seit Ende April liegt das Buch als „Die beste meiner Welten“ in der Übersetzung von Rainer Schmidt bei Goldmann auf Deutsch vor.

Mastais Zeitreise-Geschichte startet in einer Gegenwart, die im Vergleich mit unserer Welt das reinste Techno-Utopia ist. Denn in der Realität von Ich-Erzähler Tom Barren hat Lionel Goettreider 1965 eine Maschine erfunden, die aus der Erdrotation selbst eine unerschöpfliche Energiequelle macht. Wen wundert es da, dass Toms Alltag wie der vollautomatisierte, von Krieg und Elend und Kleinlichkeiten befreite Traum eines Science-Fiction-Autors aus den 50ern aussieht? Sogar Zeitreisen scheinen hier möglich. Toms genialer Vater will diesen zweiten evolutionären Meilenstein verantworten, wobei sein zielloser, talentloser Sohn eher unverdient zur Zweitbesetzung der Chrononauten gehört, die als erstes an einen genau festgelegten Punkt in der Vergangenheit springen sollen: Die Aktivierung der Goettreider-Maschine. Durch Toms notorische Unzulänglichkeit kommt jedoch alles anders. Tom reist in die Vergangenheit, greift in den Lauf der Dinge ein und verhindert die Geburt einer vollkommenen Welt. Nicht nur sein Leben und seine Familie haben sich in der neuen Realität komplett verändert. Als Tom in der alternativen Version seiner Traumfrau die große Liebe findet, wird es immer schwieriger für ihn, Richtig von Falsch zu unterscheiden. Doch natürlich kann er niemals vergessen, dass er zahlreiche Existenzen ausgelöscht und die Entwicklung der Welt hin zum Paradies verbockt hat, selbst wenn das Paradies für ihn stets die Hölle war…

Elan Mastais mainstreamtauglicher, aber nie schnulziger, nie unwissenschaftlicher und nie oberflächlicher SF-Roman punktet schon ganz am Anfang gehörig, wenn der Kanadier unaufgeregt eine utopische Zukunft voller Perfektion entfesselt. Dass sein Buch über den Eindruck, in der falschen Welt oder im falschen Leben zu stecken, nur noch besser wird, sobald Mastai das Paradies wieder eingerissen hat, liegt nicht zuletzt an Mastais Umgang mit seinem Protagonisten und Ich-Erzähler. Tom ist eine unbeholfene Hauptfigur. Eine solch ehrlicher, fehlerbehafteter Erzähler kann in den Händen eines einfühlsamen Autors, der schonungslos Gedanken, Gefühle und Schwächen offenlegt, ein Sympathieträger werden, und später eine Identifikationsfigur. Auch muss man es Mastai hoch anrechnen, dass er seine fesselnde Geschichte über Zeitreisen, Spiegelwelten, Identitäten und die Liebe, in der er den Tod der eigenen Mutter verarbeitet, nicht wie das Sprungbrett zu einem Drehbuch für eine Verfilmung behandelt (obwohl sich Paramount schon Ende 2015, als „All our wrong todays“ als einer der heißen Titel der Frankfurter Buchmesse gefeiert wurde, die Filmrechte sicherte). Im Gegenteil, Mastei nutzt ein paar nette, exklusive formale Kniffs des Romans, die nur in Textform funktionieren. Zudem hat sein Buch eine ausgesprochen hübsche Meta-Ebene, da der Roman und der gesamte Prozess des Romanschreibens Teil der Handlung sind, was Tom auch immer wieder thematisiert, wodurch die vierte Wand eingerissen wird.

Mastai erfindet die Zeitreise-Geschichte mit einem funktionierenden Schuss Mainstream und einer zeitlosen Portion Romantik in „Die beste meiner Welten“ nicht neu – aber er liefert das beste Subgenre-Werk seit Audrey Niffeneggers „Die Frau des Zeitreisenden“ von 2003.

Elan Mastei: Die beste meiner Welten • Goldmann, München 2018 • 470 Seiten • Hardcover: 20,00 Euro

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