9. Mai 2018 2 Likes

„Weibliche Astronauten? Eine lächerliche Idee!“

Die Netflix-Doku „Mercury 13“ erzählt von mutigen Frauen und verpassten Chancen im Wettlauf ums All

Lesezeit: 3 min.

Wie hätte die Welt ausgesehen, wenn nicht ein Mann, sondern eine Frau als erster Mensch auf dem Mond ihre Spuren hinterlassen hätte? Die Vorstellung klingt absurd? Wer Heather Walshs und David Singtons Doku „Mercury 13“ gesehen hat, wird sich wünschen, es sei so gewesen. Denn die NASA hätte gleich dreizehn fähige und den Männern sogar überlegene Frauen in den Orbit oder auf dem Mond schicken können. Die Propagandaschlacht zwischen den USA und der ehemaligen UdSSR hätte sich ganz anders abgespielt.

Die britischen Filmemacher zeigen bereits im Vorspann, mit welchen Vorurteilen Frauen in der Luft- und Raumfahrt zu kämpfen hatten und welche Herausforderungen sie trotz aller Widerstände meisterten. Eröffnet wird ihr Dokumentarfilm dann mit einer Alltagsszene. Drei ältere Damen treffen sich in einem Café und plaudern über das Hier und Jetzt und ihre Jugend. Es ist jedoch nicht irgend eine Gaststätte, sondern das Restaurant eines Flughafens. Die drei Seniorinnen schwelgen auch nicht in der „guten alten Zeit“ oder zeigen stolz Fotos ihrer Enkelkinder. Gene Nora Jessen, Sarah Ratley und Wally Funk sind gestandene Pilotinnen, reden über ihre Lieblingsflugzeugtypen und jene Ereignisse aus den frühen 1960er Jahren, die sie miteinander verbinden. Denn die drei haben noch eine weitere Gemeinsamkeit: Sie gehörten zur „Mercury 13“, einem privaten Raumfahrtprojekt, das nach geeigneten Frauen für einen Flug ins All suchte.

Spätestens seit Margot Lee Shetterleys Buch „Hidden Figures – Unerkannte Heldinnen“ geraten die fast vergessenen Frauen der Luft- und Raumfahrtgeschichte wieder in den Fokus der Erinnerung. Während sich Shetterley den afroamerikanischen Mathematikerinnen angenommen hat, ohne die die Berechnungen für das „Mercury“- und „Apollo“-Programm kaum möglich gewesen wären, fokussieren sich Walsh und Sington auf die Suche nach der ersten US-Astronautin. Dafür haben sie die noch lebenden Teilnehmerinnen und Angehörige der Verstorbenen „Mercury 13“ befragt, darunter die Kinder von Janey Hart, dem Ehemann von Bernice Steadman und Jackie Lovelace Johnson, der Tochter von Dr. William Lovelace, der maßgeblich an der Entwicklung der medizinischen Tests beteiligt war, die die Männer für das „Mercury“-Programm durchlaufen mussten.

Dr. Lovelace war die treibende Kraft hinter „Mercury 13“. Ihm gefiel die Idee, Frauen zu Astronautinnen auszubilden. Doch erst durch die finanzielle Unterstützung des Fliegerass‘ Jacqueline „Jackie“ Crochan und ihres Millionärsgatten war es ihm möglich, nach geeigneten Frauen fürs All zu suchen. 1960 lud er 25 Pilotinnen für die erste Testrunde ein. Am Ende waren es dreizehn, die für die finalen Tests ausgewählt wurden. Doch die NASA verhinderte diese, auch auf Druck der Politik. Selbst eine Anhörung vor dem Kongress konnte die Wiederaufnahme des Programms nicht erreichen. Ausgerechnet Crochans Aussage sollte zum Sargnagel für das ambitionierte Projekt werden. Dabei wurden Lovelaces Erkenntnisse vollkommen ignoriert, laut denen die Frauen ihren männlichen Kollegen vor allem psychisch bei Weitem überlegen waren und den Strapazen eines Ausflugs ins All eher gewachsen schienen. Ein Jahr später schickte die UdSSR ihre erste Kosmonautin in die Erdumlaufbahn: Walentina Tereschkowa, eine Amateurfallschirmspringerin. Den „Mercury 13“ blieb diese Ehre verwehrt.

Walsh und Sington lassen Archivaufnahmen, O-Töne und Zeitzeugen für sich sprechen. Es gibt keine Erzählstimme aus dem Off und nur wenige Szenen scheinen eigens für die Doku gedreht worden zu sein. Dadurch entwickelt der Zuschauer sehr schnell Sympathie für die Beteiligten. Es gelingt ihnen mühelos ein spannendes Stück Zeitgeschichte zu präsentieren. Chronologisch berichten sie von den Pionierinnen ihrer Zunft, von den WASP-Pilotinnen, die Militärflieger im Zweiten Weltkrieg überführten, von Jackie Crochans Geschwindigkeitsrekorden, vom Sputnik-Schock, von den unmenschlich wirkenden medizinischen Tests und John Glenns Flug ins All – und von Eileen Collins, die 1995 als erste Frau ein Space Shuttle fliegen durfte. Sie lassen dabei nie außer Acht gegen welche Vorurteile Funk, Jessen und all die anderen seit ihrer Kindheit kämpfen mussten und wie sie die damit einhergehenden Stereotypen überwinden konnten. Auch die Folgen der Kongress-Anhörung werden ausführlich thematisiert. Am Ende der knapp 80 minütigen Doku ist der Zuschauer nicht nur weiser, sondern auch überzeugt davon, dass diese dreizehn mutigen Frauen weitaus mehr Aufmerksamkeit verdient hätten. Ganz nebenbei haben Walsh und Sington mit „Mercury 13“ ein starkes Plädoyer für mehr Chancengleichheit und Gleichberechtigung gedreht. Ein wirklich lehrreiches Stück!

Mercury 13 • USA 2018 • Regie: Heather Walsh und David Sington • Verfügbar auf Netflix

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