Der Sonne entgegen
Auch der dritte Shooter zu Dmitry Glukhovskys „Metro“-Reihe avanciert trotz Ecken und Kanten zum echten Genre-Schwergewicht
Auf die Liebe! Wenn eine Rezension zu einem postapokalyptischen Ego-Shooter so anfängt, dürfte eigentlich schon klar sein, dass es sich hier wohl um einen ungewöhnlichen, vielleicht sogar ganz besonderen Vertreter seiner Zunft handeln muss. Und so ist es im Fall der dritten Adaption zum Roman-Kosmos von Dmitry Glukhovsky auch in gleich mehrfacher Hinsicht. Denn Metro: Exodus, das speziell von Story und Charakteren aus Metro 2035 (im Shop) inspiriert wurde und für PS4, Xbox One und PC erhältlich ist, ist auf seine Art sehr klassisch und manchmal geradezu sperrig.
Andererseits aber im Vergleich zu all den Konkurrenten wie Far Cry, Battlefield und Co. beim Kern seiner Erzählung und der Entfaltung seines Settings und deren Figuren zutiefst emotional und im besten Sinne beklemmend, sodass Exodus als reine Single-Player-Kampagne über seine gut 20 Stunden Spielzeit gerade Freunde dystopischer Shooter-Kost fabelhaft unterhält. Dabei sind Vorkenntnisse der Romane und der beiden Vorgänger Metro 2033 und Metro: Last Light zwar erwünscht, jedoch nicht zwingend nötig, um dem in mehrere Kapitel – und vor allem Jahreszeiten – unterteilten Plot folgen zu können.
Der schickt den bekannten Metro-Helden Artjom diesmal mit seiner Frau Anna, seinem Schwiegervater und einigen weiteren Mitstreitern aus den U-Bahntunneln des nach einem Atomkrieg komplett verstrahlten Moskau auf eine Reise durch die Weiten Russlands. Nachdem Artjom nämlich nach langen Bemühungen und viel Spott seitens seiner Kameraden endlich Funksprüche von außerhalb der Stadt empfängt und sich plötzlich die unverhoffte Möglichkeit ergibt, diesen mithilfe eines gekaperten Zuges nachzugehen, verlässt Artjom mit seinen Begleitern die Stadt.
Der Zug namens Aurora fungiert nach dem kurzen Epilog in den bereits aus den Vorgängern bekannten Tunneln und Straßen Moskaus als Basis, in dem man zwischen den Settingwechseln mit den anderen Charakteren spricht, seine Ausrüstung auffrischt oder eine der vielen kleinen Ereignisse aufschnappt, die sich gerade zwischenmenschlich in den Abteilen abspielen.
Das ist auch (dank guter Sprecher) mit die größte Stärke des Spiels. Jeder Charakter kann einem mit seinen eigenen Schicksalen ans Herz wachsen und überall warten Details darauf, von uns entdeckt zu werden. Wenn etwa in den gefährlichen Wirren einer Reise ohne Glücksversprechen mit bescheidensten Mitteln versucht wird, eine Hochzeit zu feiern (bei der auch der eingangs zitierte Trinkspruch auf die Liebe fällt), ein kleines Mädchen versucht, keine Angst zu haben oder Artjoms Frau Anna von ihrer Hoffnung auf eine weitere gemeinsame Zukunft spricht, entsteht eine ungeahnte Bindung zu dieser reisenden Schicksalsgemeinschaft.
In diesem Zusammenhang fällt negativ ins Gewicht, dass Artjom außerhalb seiner Monologe – etwa im wirklich klasse inszenierten Intro oder während der Kapitelübergänge – völlig stumm bleibt und selbst auf direkte Anreden nicht verbal reagiert. Dieses doch sehr veraltete Stilmittel des Shooter-Genres, womit angeblich die Identifikation des Spielers gesteigert werden soll, leuchtet gerade bei Exodus überhaupt nicht ein. Wie kann ein Ehemann etwa mit seinem Schwiegervater über das Wohlbefinden seiner Frau streiten und dabei keinen Mucks von sich geben? Liebe Macher, bitte hört endlich mit diesem Unfug auf!
Wenn wir schon bei den Schwächen sind. Auch die denkbar ungünstigen Ladezeiten zwischen den Kapiteln oder die leider sehr reduzierten bis kaum vorhandenen Weghinweise (sogar die Karte ist umständlich zu bedienen) stören den Spielverlauf. Auch die sehr träge Steuerung Artjoms – Stichwort verzögertes Laufen – oder die geringe Trefferstreuung beim Waffengebrauch, die einem oft das Gefühl vermittelt, Gegner gar nicht zu treffen, drücken den Gesamteindruck. Dazu gesellt sich eine bemerkenswert dümmliche Gegner-KI, die unsere Feinde gerne mal in einen dezenten Hühnerhaufen zu verwandeln scheint und leider hat man sich mit nur einem Endboss im gesamten Spiel auch in Sachen Highlight-Gefechte nicht wirklich mit Lorbeeren geschmückt. Allerdings war es das schon mit den letztlich überschaubaren und folglich auch verschmerzbaren Macken.
Ansonsten hat 4A Games nahezu alles richtig gemacht. Jedes Kapitel oder Zwischenspiel in der Aurora bietet schon aufgrund der wechselnden Jahreszeiten und der jeweils völlig unterschiedlichen Settings imposante Abwechslung. Wir sind in der Wüste oder einem gebirgigen Waldgebiet unterwegs, kämpfen uns gegen eine Horde Kannibalen durch eine alte Militäranlage, tauchen tief in die völlig verschneiten Straßenzüge einer verlassenen Stadt ein oder rudern mit Booten durch mutantenverseuchte Kanäle und von Fanatikern und Dieben überwachte Brückenanlagen.
Jedes Areal serviert uns ein etwas anders austariertes Gameplay. So wechseln sich lineare Level mit kleineren offenen Spielwelten ab, in denen es auch abseits der Storymissionen vor Nebenaufgaben und versteckten Ressourcen nur so wimmelt. Damit geht auch oft ein Tempowechsel einher, der jedem Kapitel einen anderen Rhythmus verleiht. Sucht man in den eher offen gehaltenen Arealen gemächlich nach Ressourcen oder Botschaften, drückt das Gameplay etwa im finalen Level schon mittels erhöhter atomarer Strahlung mächtig auf die Tube und lässt uns kaum Zeit zum Verschnaufen, da uns sonst die lebesnotwendigen Schutzmaskenfilter ausgehen.
Sogar einige Fahrzeuge dürfen wir im Verlauf des Abenteuers nutzen und auch die Balance aus (relativ unkompliziertem) Crafting, Stealth und offenem Feuergefecht funktioniert jederzeit tadellos, da uns das Spiel nur selten wirklich dazu zwingt, uns für eine bestimmte Vorgehensweise zu entscheiden. Stimmigerweise wirkt sich unser Handeln auf unsere Umwelt und sogar das Ending aus.
Schleichen wir uns von hinten an unsere zuvor abgelenkten Gegner an oder setzen wir ihnen mit Pumpgun, Brandsätzen und Sniper zu? Nehmen wir mit schwacher Taschenlampe im Anschlag die Beine in die Hand oder verlassen wir uns auf die uns manchmal begleitenden Sidekicks? Da Exodus außerdem mit fünf Schwierigkeitsgraden und fast jederzeit verfügbarer Schnellspeicherfunktion aufwartet, kommt kein Frust auf, während man oft genug unter Artjoms von Schmutz und Wassertropfen befleckter Maske schweratmend durch die grafisch beeindruckend modellierten und meist flüssig laufenden Gebiete hetzt. Kleinere Texturnachlader (zumindest auf PS4) verzeiht man da speziell mit Blick auf die brillante Ausleuchtung des Spiels gern.
Ob Tunnel voller angriffslustiger Spinnen, mutierte Krebstiere in Flüssen oder gegen Ende sogar wütende Gorillas, sorgen speziell in den klaustrophobischen, soundtechnisch sehr pointiert untermalten Gebieten für Grusel, wobei sich Exodus aber nicht auf Horror versteift, sondern mehr als die beiden Vorgänger auf atmosphärische Vielfalt baut. Wer sich auf dieses Metro einlässt und über die genannten Schwächen hinwegsieht, erhält einen Shooter, der es versteht, Stimmungen zu erzeugen und sie nicht einfach wieder wie so viele andere Spiele verpuffen zu lassen. Umso verblüffender, da das Spiel beileibe Nichts gänzlich neu erfindet und eben nicht so clean daherkommt wie viele Genrekollegen. So steht unter dem Strich ein Titel, der Glukhovskys Vision erneut absolut gerecht wird und sogar die kleinen politischen Nuancen der Vorlage klugerweise mehrfach anzitiert.
Fazit
Metro: Exodus fesselt mit grafischer Opulenz, mehr Abwechslung als bei den Vorgängern sowie einer ausgewogenen Balance seiner Spiel-Mechaniken und bringt es bei all dem auch noch fertig, viele kleine und große Dramen mit erzählerischer Wucht einzuflechten. Zwar drücken Mängel wie der stumme Protagonist, die dümmliche KI oder teils unverhältnismäßig epische Ladezeiten den Gesamteindruck; allerdings nicht so nachhaltig, um Exodus nicht jedem Fan rassiger Single-Player-Kampagnen und natürlich auch Freunden der Romanvorlage(n) wärmstens ans Herz zu legen.
METRO: Exodus • 4A Games/Deep Silver • Shooter • PC, PS4, Xbox One
Abbildung © 4A Games/Deep Silver
Kommentare