22. November 2021 3 Likes

Jetzt als Taschenbuch: Rob Harts dystopischer Roman „Der Store“

Amazon war gestern

Lesezeit: 3 min.

[Repost aus Anlass der Taschenbuchveröffentlichung (im Shop). Der Text erschien ursprünglich im September 2019 zur deutschen Erstveröffentlichung des Romans. Außerdem empfehlenswert: ein Interview mit Rob Hart]

***

Amazon, Google und Apple gehören sicher zu den gewaltigsten und einflussreichsten Großkonzernen unserer Zeit, die unser aller Leben prägen. In Rob Harts Roman „Der Store“ (im Shop), der soeben als Hardcover, E-Book und Hörbuch bei Heyne erschienen ist, hat der Mega-Onlinehändler Cloud Amazon jedoch aus dem Geschäft gedrängt, weil Cloud frühzeitig auf Drohnenschwärme zur Lieferung umstellte. Und geliefert wird inzwischen einfach alles in einer Welt, die durch Hitze und den gestiegenen Meeresspiegel verwandelt wurde, in der kaum noch jemand zum Einkaufen gehen will und wo der Einzelhandel als so gut wie ausgestorben gilt. Zum Glück gibt es Cloud, das einem jeden Artikel nach Hause bringt und das Dasein jedes Einzelnen um so viel besser macht. Mehr noch, Cloud beschäftigt 30 Millionen Menschen in Amerika, die sonst arbeitslos wären und die obendrein in den so genannten MotherClouds wohnen – riesigen Wohnanlagen für Mitarbeiter, die somit ganz nahe an ihrem Arbeitsplatz leben, was langes, lästiges Pendeln eliminiert und dem gebeutelten Klima gut tut. Allerdings werden die Angestellten von Cloud auch in der Freizeit permanent von den CloudBand-Smartwatches an ihren Handgelenken überwacht, die man für alles auf dem von Google inspirierten Cloud-Campus verwenden muss. Zudem bekommen sie ihr firmeninternes Sterne-Rating und ihre Leistungskurve ständig vor Augen geführt, was jeden auf die eine oder andere Weise beeinflusst.

Rob Hart, der zuvor u. a. eine eigene Krimiserie schrieb und mit Bestsellerautor James Patterson an einem Kurzroman zusammenarbeitete, bringt uns seinen Riesenkonzern, der in alle Bereiche des Lebens der nahen Zukunft vorgedrungen ist und sozial wie politisch immer weiter expandiert, aus drei Perspektiven näher: Der visionäre und steinreiche, gleichwohl unheilbar kranke Firmengründer Gibson Wells sinniert in Blogeinträgen über die Geschichte und die Philosophie von Cloud und bezieht zu Innovationen und Vorwürfen Stellung. Der von Cloud aus dem Geschäft gedrängte Erfinder Paxton heuert als Mitarbeiter der strengen Security in einer abgelegenen MotherCloud an, wo man trotz der allgegenwärtigen Überwachung ein Drogenproblem hat. Und die Industriespionin und Söldnerin Zinnia, die sich als Arbeitssuchende bei Cloud einschleust, landet im stressigen Warenlager zwischen Regalen und Förderbändern, während sie herausfinden will, wie es sein kann, dass die gigantische Anlage in der Einöde eine so gute Energiebilanz hat …


Rob Hart. Foto © Anna Ty Bergman

Der in New York lebende Hart spielt die Perspektiven von Paxton und Zinnia, die ab einem frühen Zeitpunkt des Buches interagieren, dramaturgisch gekonnt gegeneinander aus. Doch die Eindrücke und Erinnerungen von Gibson sind ebenfalls wichtig. Denn wie die Richtlinien von Cloud, klingt vieles von dem, was der milliardenschwere Firmenchef sagt, vernünftig und klug. Nach etwas, das der Welt und der Menschheit wirklich hilft – nach etwas, von dem man sich leicht einlullen lassen könnte und kann. Und hier triumphiert Harts „The Warehouse“ Alias „Der Store“ (Leseprobe) abseits seiner gut durchdachten, höchst unterhaltsamen dystopischen Geschichte zwischen Cory Doctorow (im Shop), Max Barry (im Shop) und Douglas Coupland so richtig. Harts süffiger Pageturner, der selbst Leser abseits der Science-Fiction flashen wird, ist nämlich viel mehr als eine gewitzte, satirische Kritik an Jeff Bezos, Amazon, Google und Konsorten. Viel mehr will Hart seine Leser wachrütteln und eindringlich ermahnen, jeden Fortschritt, jedes technologische Helferlein, jedes neue Gadget, jede Vergünstigung, jede Vernetzung, jedes Angebot und letztlich jedes System kritisch zu durchdenken und zu hinterfragen. Nach dem Motto: Sei kein Schaf, sondern sei scharf. Nächstes Jahr müsste es dafür eigentlich einen Prometheus Award geben (und wäre es nicht ironisch, würde das Buch ein Amazon-Bestseller werden?). Bis dahin kann Hart sicher erst mal gut mit der Veröffentlichung seines Romans in über 20 Ländern und der geplanten Verfilmung durch Ron Howard leben.

Ob man packende aktuelle Dystopien schätzt, allzu sorgenfrei eine Apple Watch trägt oder blindlings jeden Artikel des alltäglichen Lebens und Konsumierens bei Amazon ordert – Rob Harts „Der Store“ muss man in jedem Fall lesen, selbst wenn das Buch nicht per Drohne geliefert wird. Noch nicht.

Rob Hart: Der Store • Aus dem Englischen von Bernhard Kleinschmidt • Heyne, München 2019 • 591 Seiten • E-Book: 9,99 Euro (im Shop)

Kommentare

Zum Verfassen von Kommentaren bitte Anmelden oder Registrieren.
Sie benötigen einen Webbrowser mit aktiviertem JavaScript um alle Features dieser Seite nutzen zu können.