6. September 2019 2 Likes

„Die Leute sind lieber ahnungslos.“

Im Gespräch mit Rob Hart, Autor des Romans „Der Store“

Lesezeit: 5 min.

Der New Yorker Autor Rob Hart (im Shop) schrieb bereits mehrere Krimis sowie einen Kurzroman in Zusammenarbeit mit James Patterson, bevor er seine topaktuelle Dystopie Der Store(im Shop) eröffentlichte. Im Roman hat Gibson Wells’ allgegenwärtiger, allmächtiger Versandhandel Cloud dank seiner gewaltigen Drohnenflotte Amazon aus dem Geschäft gedrängt und liefert den Menschen so gut wie alles in einer Welt, die sich durch den Klimawandel und das Sterben des Einzelhandels bereits massiv verändert hat. Außerdem leben die 30 Millionen Beschäftigigen der Firma in so genannten MotherClouds, riesigen Wohnanlagen direkt neben den Versandzentren, in denen sie auf Schritt und Tritt durch ihre Smart-Watches überwacht werden, die ihnen auch ihre Leistung als Kurve oder Sterne-Rating anzeigen – was über die Fortsetzung der Beschäftigung entscheiden kann. In „Der Store“ lässt Rob Hart Elemente von Amazon, Google, Apple und anderen Firmengiganten verschmelzen. Zudem ergründen ein Security-Mitarbeiter und eine Industriespionin in einer MotherCloud die Geheimnisse des einflussreichen Unternehmens. So schafft Hart eine faszinierende dystopische Vision von Amazon und der nahen Zukunft, die den einen oder anderen sicherlich über die Gegenwart nachdenken lässt – und über das eigene Konsumverhalten oder die eigene Wachsamkeit.

Im Interview spricht Rob Hart, der am 18. September in München und am 19. September in Hamburg liest, über sein Kaufverhalten, empathische Lücken und das Problem der Bequemlichkeit.

 


Rob Hart. Foto © Anna Ty Bergman

Hallo Mr. Hart. Wann haben Sie zum letzten Mal etwas bei Amazon bestellt?

Vor ein paar Tagen habe ich zwei Philosophie-Lehrbücher bestellt, zur Recherche für das Buch, das ich als nächstes schreibe. Ich war gespannt, wie lange es dauern würde, bis ich diese Frage gestellt bekomme. Sie waren der Erste!

Hat die Arbeit an „Der Store“ Ihr Denken und Ihr Einkaufsverhalten verändert?

Das hat es – ich versuche, noch achtsamer zu sein, was die Art und Weise angeht, wie ich mit dem Handel interagiere. Ja, ich bestellte vor ein paar Tagen einige Bücher auf Amazon, aber ich habe meine Amazon-Einkäufe erheblich reduziert und arbeite daran, dass es noch weniger werden. Ich versuche, weniger mit dem Auto zu fahren, und bevor ich etwas kaufe, frage ich mich, ob ich es wirklich brauche – und oft tue ich das nicht. Meine Frau handhabt es genauso. Wir versuchen, unserer Tochter mit gutem Beispiel voranzugehen, während wir hinsichtlich unseres ökonomischen und ökologischen Fußabdrucks mehr Umsicht walten lassen.

Wie müssen wir uns Ihre Recherche für „Der Store“ vorstellen? Haben Sie ein paar Nachtschichten in einem Amazon-Versandzentrum runtergerissen?

Ich war nie in einem Amazon-Versandzentrum! Für den Roman habe ich viel gelesen. Vor allem die Nachrichten, aber auch Bücher über Wal-Mart. Im Ernst, das war ein Großteil meiner Recherche. Es existieren nicht viele Bücher über Amazon, Wal-Mart gibt es jedoch seit den 1960ern – man kann nachvollziehen, wie ein kleines, lokales Geschäft so groß wird, dass die Firma praktisch das gesamte Wirtschaftssystem umgeschrieben hat.

Wieso gewähren so viele Menschen den großen Firmen bereitwillig Einblick in ihre Leben und Gewohnheiten, und helfen den Unternehmen auch noch durch Smart-Watches und Apps?

Wir haben Privatsphäre für Bequemlichkeit aufgegeben. Das ist die einfache Erklärung dafür. Wir füllen unsere Heime mit Lautsprechern, die uns zumindest passiv permanent lauschen, aber wir können sie bitten, das Wetter anzusagen oder Musik zu spielen. Meine Uhr trackt jede meiner Bewegungen, aber sie stellt auch sicher, dass ich meine Schrittzahl erreiche. Es ist ein Handel, den man abwägen muss, und viele von uns haben entschieden, dass der Komfort es wert ist.

Im Roman klingt Cloud-Gründer Gibson Wells stets vernünftig und wohlmeinend. Es ist leicht, seinen Worten zu trauen. Auch viele der Angebote großer Konzerne wirken auf den ersten Blick super. Warum haben wir scheinbar die Fähigkeit verloren, den Haken zu erkennen?

Ich denke, dass hier eine empathische Lücke klafft. Es ist leicht, nicht darüber nachzudenken, woher unsere Waren und Güter kommen. Wir haben entschieden, dass unserer eigenes Wohlsein das Unwohlsein von jemand anderem wert ist. Wenn wir die Person, die das Smartphone herstellt, nicht sehen müssen, ist es einfach, unser Smartphone als spaßiges neues Spielzeug zu akzeptieren. Forscht man nur ein klein wenig nach, wird man herausfinden, wie harsch die Arbeitsbedingungen in den Ländern sind, in denen die Telefone hergestellt werden. Doch wenn wir das zugeben, heißt das, dass wir unsere Smartphones aufgeben müssen? Das ist es vermutlich, wovor die Leute Angst haben. Sie sind lieber ahnungslos und blind.

Im Buch haben die Menschen Angst davor, ihr Haus fürs Einkaufen zu verlassen. Ist die Beliebtheit von Online-Shopping schon jetzt ein Beleg für eine Gesellschaft der Furcht?

Noch haben die Menschen in meinen Augen keine Angst, einkaufen zu gehen. Massenschießereien ereignen sich in den Vereinigten Staaten jedoch immer öfter, und unsere Politiker haben wenig Interesse daran, dieses Problem anzusprechen. Ich kann eine Zukunft sehen, in der Menschen Angst haben werden, das Haus zu verlassen.


„The Store“ - Originalausgabe

In der Welt von Cloud sind Sterne-Ratings überall. Auch wir bewerten viel mit Sternen, ob Bücher, Filme, Läden oder Hotels. Was bedeutet dieses System für Sie als Konsument – und als Autor?

Ich bin mir des Sterne-Ranking-Systems sehr bewusst. Ich prüfe konstant die Rezensionen für meine Bücher! Und wann immer ich nach einem Restaurant oder Hotel oder Buch schaue, ist das Erste, was ich tue, einen Blick auf das Sterne-Rating zu werfen. Es ist leicht, das zu machen – es ist direkt verfügbar, und wir wissen in der Regel, was es bedeutet. Das Problem ist, das es meist nicht viel Raum für Nuancen in diesem System gibt, und dass es manipuliert werden kann. Es ist nicht perfekt – aber es ist das System, das wir haben.

Ist die Veröffentlichung eines Buches wie „Der Store“ ein Stück weit sogar der Versuch, Amazons digitale Einkaufswägen zu infiltrieren, um die Menschen quasi an der Front aus ihrer Taubheit aufzuwecken?

Ich hege die Hoffnung, dass Menschen dieses Buch lesen und ein wenig mehr darüber nachdenken, wie sie mit dem Handel interagieren – über die menschlichen Kosten ihrer Güter und Dienstleistungen. Offen gestanden, finde ich es sehr, sehr witzig, wie gut sich das Buch in den USA auf Amazon verkauft.

Was meinen Sie als Autor einer aktuellen Dystopie: Sind wir noch zu retten?

Die Leute wachen auf. Ich glaube nicht, dass dieser Roman vor drei Jahren genauso eingeschlagen hätte wie jetzt. Aber wir erkennen mehr und mehr, dass wir uns selbst umbringen, um reiche Menschen noch reicher zu machen, und dass viele unserer Waren und Dienstleistungen die Ausbeutung eines Arbeiters verlangen, oder die Beschädigung der Umwelt. Ich würde niemals sagen, dass ich eine Antwort parat habe, und ich möchte den Leuten nicht sagen, was sie tun sollen. Doch ein bisschen aufmerksamer zu sein, ist ein wirklich guter erster Schritt.

Auf jeden Fall. Vielen Dank für das Gespräch.

Rob Hart: Der Store • Aus dem Englischen von Bernhard Kleinschmidt • Heyne, München 2019 • 591 Seiten • E-Book: 9,99 Euro (im Shop)

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