Anders als der Snyder-Cut
Damon Lindelofs „Watchmen“-Remix ist bemerkenswert
„Watchmen“. Der heilige Gral der Graphic Novel. Seitdem 1986/87 Alan Moore und Dave Gibbons Meisterwerk erschien, wurde an eine Verfilmung gedacht, die ebenso gespannt erwartet wie als unmöglich erachtet wurde. Inzwischen wäre es angesichts der Entwicklung der Technologie zwar durchaus möglich, die Comic-Bilder angemessen auf die Leinwand oder den Bildschirm zu bringen, doch in den 30 Jahren seit der Ersterscheinung hat sich das Verhältnis zwischen Fans und Werk radikal verändert. Nur so ist zu erklären, dass sich Damon Lindelof, Showrunner der nun auch in Deutschland zu sehenden TV-Adaption, schon vor Ausstrahlung der ersten Folge in einem langen Instagram-Post an die Hardcore-Fans wandte, um seine Intentionen zu erklären, ja, zu verteidigen.
Ob es für die Kreativität hilfreich ist, dass den Wünschen einer sehr kleinen Gruppe von Fans, die sich einbilden, das jeweilige Werk besser zu kennen als fast jeder andere und die „wahren“ Intentionen zu verteidigen, so viel Aufmerksamkeit geschenkt wird, darüber muss man streiten. Im Fall von Lindelof und seiner „Watchmen“-Adaption muss man jedoch konstatieren: Gestört hat es nicht, denn was die ersten drei Folgen versprechen, ist eine der ambitioniertesten Serien der letzten Jahre und vor allem eine höchst originelle Verfilmung eines legendären Stoffes.
Wobei man von Verfilmung eigentlich nicht sprechen kann. Lindelof hat den Begriff Remix in den Raum gestellt, der ganz gut trifft, was er versucht: Keine unmittelbare oder gar Bild für Bild getreue Verfilmung, wie es Zach Snyder vor einigen Jahren tat, sondern eine Fortsetzung, die aber auch keine richtige, keine klassische Fortsetzung ist.
Gleich die Hauptfigur der ersten Folge, Angela Abar (Regina King), ist eine komplett Unbekannte im Watchmen-Kosmos. Sie lebt in Tulsa, im amerikanischen Bundesstaat Oklahoma, Hauptschauplatz der ersten Folgen. Die Zeit ist die Gegenwart, jedoch nicht unsere, sondern eine, in der seit 27 Jahren Robert Redford Präsident ist und die Zerstörung New Yorks durch einen riesigen Oktopus Geschichte. In dieser Welt agieren militante Gruppen, die Jagd auf Polizisten machen, denen als Reaktion erlaubt wurde, ihre Gesichter zu verhüllen, die also quasi nicht mehr von den vermummten Gestalten zu unterscheiden sind.
Auf den ersten Blick hat das kaum etwas mit „Watchmen“ zu tun, auf den zweiten aber umso mehr. Bald tauchen bekannte Figuren auf, der von Jeremy Irons gespielt Conrad Veidt aka Ozymandias etwa, der in einem abgelegenem Schloss lebt (oder Gefangen ist?) und von Clons bedient wird; der seit 30 Jahren auf dem Mars lebende Dr. Manhattan ist dauerndes Gesprächsthema, während Laurie Blake, besser bekannt als Laurie Jupiter bzw. Silk Spectre (Jean Smart), nun für das FBI Vigilanten jagt und ihren beiden verlorenen Lieben nachtrauert.
Um den Zustand Amerikas geht es auch in diesem „Watchmen“-Remix, was vor allem bedeutet: Um Rassismus. Der Schauplatz Tulsa ist nicht zufällig gewählt, denn hier fand 1921 ein Massaker an Schwarzen statt, das in der Geschichtsschreibung fast vergessen ist, in der Serie aber von größter Bedeutung erscheint. Was Lindelof dabei im Sinn hat, wie er die bislang nur angedeuteten Bezüge zu Dr. Manhattan und Ozymandias ausbauen will, wird sich zeigen.
Wie sehr es Lindelof auch darum geht, dem Geist der Vorlage gerecht zu werden ohne sie sklavisch zu kopieren, zeigt sich nicht nur in vielen kleinen visuellen Bezügen, sondern auch im Netz: Bei HBO findet sich ein nach jeder Folge erweitertes Archiv mit Dokumenten, das wertvolle Hinweise liefert. So wie Alan Moore am Ende jedes Heftes zwei, drei Seiten an Tagebüchern oder Zeitungsartikeln stellte, weitet also auch Lindelof den „Watchmen“-Kosmos über die eigentliche Geschichte aus. Gerade in einer TV-Welt, die sich inzwischen allzu oft mit reiner Nostalgie zufrieden gibt (Die dritte Staffel von „Stranger Things“ mag dafür als Beispiel dienen) und nicht riskiert, eigene Wege zu gehen, begeistert der Weg, den Lindelof hier einschlägt. Wohin er führt, ob er auch zu einem überzeugenden Ende führt, darauf darf man gespannt sein.
Watchmen • Showrunner: Damon Lindelof • Darsteller: Regina King, Jeremy Irons, Don Johnson, Jean Smart, Tim Blake Nelson, Louis Gossett Jr. • Ab jetzt bei Sky
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