7. November 2019

Teuflisch gut Saufen

Das augenzwinkernde Adventure „Afterparty“ beweist, dass massig Alkohol unter Umständen eben doch Spaß machen kann

Lesezeit: 5 min.

Wie schafft man es, ein oft als verstaubt geltendes Genre wie das Point & Click-Adventure mit einer eigenen USP auszustatten, ohne auf dessen ursprüngliche Stärken wie das Ausknobeln von Hirnverdreherrätseln zurückzugreifen? Diese herausfordernde Challenge hat neben Indie-Hitschmieden wie Playdead (Limbo) oder Daedalic (State of Mind) in jüngerer Vergangenheit vor allem das US-Studio Night School mit besonderer Verve angenommen. Ihr Debüt-Titel Oxenfree (hier unser damaliger Review) glänzte vor gut drei Jahren mit einer feinsinnigen Mystery-Plotline rund um ein paar nur scheinbar typische Ami-Teenager, die es auf eine Insel voller seltsamer Ereignisse und jeder Menge zwischenmenschlichem Trouble verschlug.

Die Besonderheit dabei: Rätsel suchte man in Oxenfree ebenso vergebens wie anderweitige Herausforderungen, die von der straff erzählten Story ablenken könnte. Doch das hatte der Titel schlichtweg nicht nötig, denn das charmante Artdesign und die genial pointierten Dialoge, die eben nicht im hohlen Klischeesprech handelsüblicher Film- oder Gamingstaffagen versumpften, rissen genug Käufer vom Hocker, um bis dato neben einem Mobil-Ableger zur Serie Mr. Robot (mindestens) einen weiteren Titel zu produzieren, der erneut genau mit diesen Stärken hausieren geht. Der hört auf den griffigen Namen Afterparty und ist seit kurzem zum Preis von jeweils ca. 16-20 Euro als Download für PS4, Xbox One, Switch und PC erhältlich.

Um bei einer Sache gleich auf des Pudels Kern zu kommen: So spaßig wie Afterparty hat schon lange kein Game mehr mit einer eigenwilligen Spielidee seine kleineren Schwächen kaschiert und sich so seinen Platz in unseren Indie-Herzen erobert. Schon der Auftakt zeigt sich von seiner besten Genre-Seite. Glauben wir uns unmittelbar nach dem Start zunächst als Gast an einer Trauerfeier vor Blackscreen-Hintergrund teilzunehmen, entpuppt sich das Ganze völlig abrupt als Eröffnungsrede einer College-Abschlussparty. Doch ehe wir uns im Smalltalk mit unseren mehr oder minder verhassten Mit-Feierbiestern fast schon wohlfühlen, sind wir auch schon wieder reingefallen: Die Szenerie erweist kurz darauf nämlich erneut als kompletter Fake. Diesmal allerdings sogar einiger fieser Dämonen, die sich einen Spaß daraus machen, zwei der Gäste vorzugaukeln, sie wären noch nicht tot. Noch nicht tot? Moment, was haben wir verpasst?

Wem diese ersten paar Minuten schon zu abgedreht und nach viel überschlagender Meta-Ebene klingen, sollte wahrscheinlich deinen Bogen um die insgesamt rund 6-stündige Kampagne von Afterparty machen. Der oder die verpasst dann aber eines der absoluten Highlights popkultureller Dialogkunst, der sich zumindest auf dieser Ebene nicht zu Unrecht in einer Liga mit Allzeit-Klassikern wie Monkey Island bewegt.

Das Geschehen erleben wir in Gestalt der beiden Freunde Milo und Lola, die somit nicht das College, sondern eben offenbar ihr Leben hinter sich lassen müssen, um mit einem Wisch plötzlich am Infoschalter der Hölle anzustehen. Blöderweise wissen die Beiden weder warum sie im ewigen Fegefeuer gelandet sind noch was sie mit sich und der ungewohnten Situation nun anfangen sollen. Zumindest letztere Sorge wird ihnen jedoch bald genommen. Denn in Satans Reich geht es zuweilen menschlicher zu als auf Erden, sodass Milo und Lola auf ihren Wegen zig dauertrinkende Tote bis hin zu beziehungsgestörten Teufelchen antreffen, deren Tonalität zwischen beißendem Sarkasmus und erfrischender Naivität kaum Wünsche offenlässt. Die perfekte Spielwiese also für allerhand Sozialinteraktion. 

Das wird gerade in den überall im Höllenreich verstreuten Bars offensichtlich, in denen unsere abwechselnd gesteuerten Helden die freie Auswahl an Flüssigem vorfinden. Der Clou dabei: Während wir in den normalen Dialogen stets aus zwei Antworten auswählen dürfen, um unseren Gesprächen eine entsprechende Richtung zu schubsen, erweitert sich unser Repertoire mittels auswählbarer Drinks und befördert sogar bestimmte Aktionen und Minigames. Wer sich also mit Milo etwas Mut antrinkt, um mal richtig Tacheles zu reden, agiert anders als Lola, die sich beispielsweise zu viel gegönnt hat und deshalb für richtig Leichtsinniges zu haben ist. Abstinenzlern entgeht hingegen eine ganze Menge an Witz, obwohl das Pädagogen-Engelchen auf der Schulter natürlich die Frage aufwerfen könnte, ob hier nicht die Verherrlichung der Droge Alkohol allzu sehr abgefeiert wird.

Allerdings ist Afterparty mit seinen kleineren und größeren Konsequenzen aus der Trinkerei viel zu klug gemacht, um in diese plumpe Falle zu tappen. Um die Sauferei auf die Spitze zu treiben, erfüllt sie sogar noch einen höheren (aka egoistischen) Zweck, da unsere ungleichen Protagonisten relativ früh im Spielverlauf erfahren, dass es einen Ausweg aus ihrem Dilemma gibt. Trinken sie den Leibhaftigen unter den Tisch, können sie – angeblich – zurück auf die Erde in ihr altes Leben. Wenn das mal nicht genug Motivation darstellt, um verschiedene Regionen der Hölle zu bereisen, mehr zu den Hintergründen des eigenen Ablebens herauszufinden und sich in der hohen Kunst des wohlaustarierten Besäufnisses zu schulen.

Die vorrangige Stärke von Afterparty, sich in den verzweigten Talks seiner humorigen Charaktere über (auch buchstäblich) Gott und die Welt auszuwalzen, markiert wie eingangs angedeutet auch dessen größte Schwäche. Denn mehr als Quatschen, Areale und Figuren Abklappern sowie äußerst simple Minigames wie das Tanzen zu festen Knöpfchenvorgaben, ist an der Gameplay-Front nicht vorgesehen. Wer also kein Faible für schnelle, gewitzte und leider bisher nur auf Englisch verfügbare Sprachkaskaden hat, blickt spielerisch komplett in die Röhre. Letzter Punkt verdient trotz Untertitel des sehr gehobenen Niveaus ein Extralob, denn dank der teilweise sogar bekannten Stimmen wie denen von Dave Fennoy (aus Telltales The Walking Dead) oder Ashley Burch (Life is Strange) strotzen die Wortgefechte vor lässigen Nuancen und beißender Ironie.

Technisch zeigt sich der Titel von einer soliden Seite. Wie schon bei Oxenfree setzen Night School auf einen detailarmen, eher expressiven 2,5-Comiclook, der schicke Settings mitbringt, aber gerade bei den Figuren schon etwas altbacken im Vergleich zur Konkurrenz wirkt. Lange Ladezeiten verkneift sich die Performance ebenso wie gravierende Bugs oder Bildeinbrüche und auch die ohnehin reduzierte Steuerung flutscht reibungslos. Wer sich also trotz aller inhaltlicher Kater- und Todesstimmung einem leicht bekömmlichen Adventure-Cocktail ohne spielerischen Anspruch und viel kurzweiligem Humor hingeben will, ist in dieser Höllenfahrt bestens aufgehoben - netter Soundtrack inklusive.

Fazit

Irrwitzige Dialoge, ursympathische Charaktere und jede Menge unverbrauchter Ideen sind die Zutaten dieses feinen Indie-Adventures. Wer braucht da schon echtes Gameplay?

Afterparty • Night School Studio • Adventure • PS4/Xbox One/Switch/PC

Abb. © Night School Studio

 

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