9. August 2020 2 Likes

„The Hater“ - von Cyber-Mobbing, Fake News und realer Gewalt

Ein polnischer Thriller ist viel zu nah am Puls der Zeit

Lesezeit: 3 min.

In weniger als drei Monaten wird in den USA gewählt und man muss kein Prophet sein, um zu ahnen, dass der Wahlkampf zwischen Donald Trump und Joe Biden schmutzig werden wird, dass er von Diskussionen über Einflussnahme von unbekannten Akteuren, von Vorwürfen über Online-Manipulation und Diffamierung geprägt sein wird. Allzu leicht ist es in unserer komplett vernetzten Welt, in der jede Meinung veröffentlicht werden kann und in irgendwelchen Ecken des Internets auch Gehör findet, Misstrauen zu schüren, Mitstreiter für finsterer Ziele zu finden.

Von all dem und mehr erzählt der polnische Thriller „The Hater“, der im Frühjahr beim New Yorker Tribeca Festival als bester internationaler Film ausgezeichnet wurde und nun in Folge der Corona-Pandemie schon bei Netflix erscheint. Er ist die lose Fortsetzung von „Suicide Room“, dem 2011 erschienen Debütfilm von Jan Komasa, der zeigte welche Folgen Online Mobbing haben kann. Damals wurde aus der Perspektive eines Opfers von Mobbing erzählt, von einem Jungen, der bei einem harmlosen Wahrheit oder Pflicht-Spiel einen anderen Jungen küsste, wovon bald ein Foto im Internet kursierte, das den Jungen zum Gespött der Schule machte und ihn schließlich in den Selbstmord trieb. Seine Mutter Beata (Agata Kulesza) spielt nun auch in „The Hater“ eine Rolle, als einzige offensichtliche Verbindung der beiden Filme. Sie betreibt eine Werbeagentur, in der Tomasz (Maciej Musialowski) anheuert, der aus einfachen Verhältnissen stammt und in der Stadt Jura studierte. Doch nach einer Plagiatsaffäre wird er von der Uni geschmissen und nutzt seine Fähigkeiten am Computer nun, um sich am System zu rächen.

Ziel seiner Attacken ist der aufstrebende Politiker Pawel Rudnicki (Maciej Stuhr), dessen Wahlchancen Beatas Agentur mit allen Mitteln torpedieren will. Ihn als Freund von Migranten zu brandmarken ist für Tomasz ein leichtes, bald lockt er Rudnicki gar in eine Honigfalle, macht die homosexuellen Neigungen des Politikers öffentlich, was im erzkonservativen Polen praktisch ein Todesstoß für jede politische Karriere ist.

Wie ein Einmaleins des Cyber-Mobbings wirkt „The Hater“ oft, wie ein Dirigent orchestriert Tomasz die Kampagnen, kreiert unzählige Accounts, die sich gegenseitig kommentieren und liken und damit die gewünschten Themen immer populärer machen. Von einem manischen Drang um Anerkennung scheint Tomasz getrieben, wenn er in abgedunkelten Räumen sitzt, nur vom Schein der Monitore beleuchtet, Menschen manipuliert und Leben zerstört.

So dezidiert polnisch der Kern des Films auch ist, vom Rechtsruck des Landes erzählt, aber auch von der Selbstgefälligkeit der Linken, bürgerlichen Schicht, die auf ungebildete Dorfkinder wie Tomasz herabblicken, so universell ist „The Hater“ dennoch. Soziopathen mit Internetanschluss wie Tomasz gibt es überall, Menschen, die sich missverstanden fühlen und glauben, dass die Gesellschaft ihnen das verweigert, was ihnen zusteht. In einem Film wie „Joker“ entstand daraus ein nach Außen manischer Charakter, der seine Gefolgschaft zu Gewalt und Protesten anstachelte. Was „The Hater“ zeigt ist jedoch noch viel bedrohlicher: Ein selbsternanntes Opfer, das sich in den anonymen Welten des Internets bewegt und dessen Rache an der Gesellschaft im verborgenen durchführt. Wie leicht Medien und damit die Menschen, die sie konsumieren, zu manipulieren sind, dass zeigt sich immer häufiger, bald wohl auch wieder im amerikanischen Wahlkampf. Und nächstes Jahr vielleicht auch im deutschen.

The Hater (Sala samobójców. Hejter; Polen 2020) • Regie: Jan Komas • Darsteller: Agata Kulesza, Maciej Musialowski, Maciej Stuhr • bei Netflix

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