„The Falcon and the Winter Soldier“ – Marvel als Pausenbrot

Zu den wenigen angenehmen Folgen der Corona-Pandemie zählte, dass es keinen wöchentlichen, okay, monatlichen, neuen Superheldenfilm zu sehen gab. Eine wohlverdiente Pause angesichts einer Kakophonie von Filmen, die mal weniger (Warner-DC) mal deutlich sinnvoller (Disney-Marvel) zusammenhingen. So ist es nun tatsächlich schon fast zwei Jahre her, dass mit „Avengers: Endgame“ und dem Nachzügler „Spider-Man: Far From Home“, die so genannte 3. Phase des Marvel Cinematic Universe endete.

Bevor im Juli mit „Black Widow“ die 4. Phase zumindest in den amerikanischen Kinos endgültig beginnt, weitet Disney die Kampfzone in perfekt ausgeklügelter Vermarktungsstrategie schon mal auf den hauseigenen Streaming-Kanal Disney+ aus. Der hat nicht nur, aber auch wegen der Corona-Pandemie in kaum einem Jahr des Bestehens schon die sagenhafte Anzahl von 100 Millionen Abonnenten erreicht, die natürlich nach Content lechzen. Und diesem gibt Marvel-Mastermind Keven Feige Futter, denn mehr als ein Dutzend Serien sind in unterschiedlichen Stadien der Entstehung, zusätzlich zu den zahllosen Filmen, die zumindest in diesem Jahr parallel zum Kinostart auch gleich bei Disney+ erscheinen werden.

Spannender als die Frage nach der Qualität der einzelnen Filme und Serien könnte da die Frage werden, wie man angesichts dieser enormen Menge an Figuren und Geschichten noch den Überblick behalten kann. Wird es dem Zuschauer da bald so gehen wie Gwyneth Paltrow, die bei einem TV-Aufrtitt lustigerweise nicht wusste, dass sie nicht nur in den „Avengers“ mitspielte, sondern auch in „Spider-Man: Homecoming“ zu sehen war? Wird man bald mehr Zeit damit verbringen müssen, Überblicksartikel zu lesen, die penibel erklären, was vor dieser Serie oder jenem Film passierte, welche Beziehung zwischen dieser und jener Figur besteht, wie sich diese Szene aus der einen Serie auf jene aus diesem anderen Film bezieht? Und wie soll das erst werden, wenn mit dem geplanten Multiversum möglicherweise unterschiedliche Inkarnationen von ein und derselben Figur parallel existieren?

Nun, bis es soweit ist mag man sich an „The Falcon and the Winter Soldier“ heranwagen, die nach „WandaVision“ zweite Marvel-TV-Serie, die unmittelbar an die Ereignisse von „Avengers: Endgame“ anschließt.“ Zwar bekam Falcon (Anthony Mackie) von Captain America dessen Schild überreicht, doch diese Ehre ist zu groß. In den staatlichen Museen soll der Schild ausgestellt werden, doch die Regierung hat andere Pläne: John Walker (Wyatt Russell) wird als neuer Captain America vorgestellt, denn die Welt braucht ein Symbol der Hoffnung. Derweil versucht der ehemalige Winter Soldier Sam (Sebastian Stan) seine Traumata zu verarbeiten und ein normales Leben zu führen, was allerdings leichter gesagt als getan ist. Die Bedrohung, die die beiden Antagonisten im Laufe der Serie zusammenführen wird, geht von einer mysteriösen Rebellengruppe namens Flag-Smasher aus, die sich für eine Welt ohne Grenzen einsetzen, im wörtlichen wie übertragenen Sinn. Was in einer von zunehmenden Flüchtlingsströmen und kapitalismuskritischen Tendenzen geprägten Welt durchaus ambivalente Reaktionen hervorrufen könnte, so wie die Frage, ob Superhelden denn nur für das Gute kämpfen und wer überhaupt definiert, was das ist, das Gute.

Auch wenn „The Falcon and the Winter Soldier“ nur sechs Folgen haben wird, steht allen, die den Ehrgeiz haben, Marvel komplett zu sehen, ein hartes Jahr bevor: Fünf Filme sind angekündigt, vier weitere TV-Serien und zwischendurch kommt hier oder da bestimmt auch noch das ein oder andere. Und da auch diese Serie sehr langsam beginnt und überaus vorsichtig die Figuren auf dem vermutlich dreidimensionalen Schachbrett der 4. Phase positioniert, herrscht im Marvel-Universum momentan noch so etwas wie die Ruhe vor dem Sturm.

The Falcon and the Winter Soldier • USA 2021 • Regie: Kari Skogland • Darsteller: Anthony Mackie, Wyatt Russell, Sebastian Stan, Erin Kellyman • sechs Folgen bei Disney+