15. Juni 2021

„Shin Megami Tensei III Nocturne HD Remaster“: Halb-Dämon zwischen den Fronten

Angespielt: Der postapokalyptische JRPG-Klassiker als Neuauflage

Lesezeit: 4 min.

Da es noch viele Spieleperlen gibt, die mittels Remaster oder gar Remake auch einer neueren Zielgruppe untergejubelt werden können, bricht die Welle an Neuveröffentlichungen in diesem Segment weiterhin nicht ab. Jüngster Beleg für diesen langanhaltenden Trend ist das etwas sperrig betitelte HD-Remaster zu Shin Megami Tensei III, das 2003 erstmals auf PS2 das virtuelle Licht erblickte und unter JRPG-Kennern einen exzellenten Ruf genießt. Das ist aber auch kein Wunder, schließlich ist der Titel, der nun Ende Mai für PS4, Switch und PC als Neuauflage erschien, eng verwoben mit der Persona-Reihe, die wir auf DieZukunft.de schon mehrfach (und verdientermaßen) abgefeiert haben – wie erst vor ein paar Monaten für Persona 5: Strikers.

Ehrlicherweise müsste man anfügen, dass Persona erst aus Shin Megami Tensei entstand und es auch deshalb einige inhaltliche Überschneidungen speziell beim Magie- und Monsterdesign zwischen den beiden, typisch japanischen Rollenspielepen gibt. Dennoch verwundert es ebenso wenig, dass sich die beiden Reihen dennoch in einigen Punkten fundamental voneinander unterscheiden, sodass die Trennung absolut Sinn ergab.

Der markanteste Unterschied besteht schon in der Grundausrichtung der Hauptfigur. Während Persona zu jeder Zeit viel Wert auf soziale Komponenten und Aktivitäten zwischen Schule und Freizeit legt, um die Bindung zwischen den Protagonisten und ihrer Umwelt zu stärken, bleiben wir in Shin Megami Tensei oft allein auf weiter Flur. Denn während der Held dort zu Beginn der Handlung mitsamt einiger Kameraden an einem vermeintlich ganz normalen Tag eine Lehrerin in einem Krankenhaus in Tokio besuchen will, geht doch tatsächlich so einfach die Welt unter und es sterben nahezu alle Menschen.

Als wäre das – trotz einiger Andeutungen im knappen Prolog – nicht schockierend genug, verwandeln wir uns mittels Parasit in einen mächtigen Halbdämon, auf dem von nun an das Schicksal nicht nur der zerstörten Ruinen Tokios und seiner von magischen Dämonen- und Götterfraktionen besetzten Weiten liegt. Innerhalb der mysteriös ambivalenten Ereignisse treffen wir jedoch auch auf Freunde oder verlorene Seelen und es schließen sich zahlreiche (Dämonen-)Mitglieder unserer eigenen Party an, sodass bei maximal drei aktiven Mitstreitern ein wichtiger Faktor für taktisch tiefgreifende RPG-Gefechte mit variablen (Magie-)Angriffen erfüllt ist.

Der Titel galt schon damals als inhaltlich düster und spielerisch eher harte Herausforderung (vor allem bei den Endbossen), in der aber dennoch oft genug gerade in den Dialogen ein zuweilen skurriler Humor der Macher hervorstach. So kommentieren Dämonen schon mal die „Sexyness“ anderer Figuren, obwohl das Grundgefühl ein eher trist apokalyptisches bleibt. Die semi-zufälligen Kämpfe in den verschiedenen Arealen laufen per se rundenbasiert ab und zeichnen sich aufgrund ihrer strategischen Tiefe bei der Suche nach den jeweiligen Schwachpunkten der knackigen Feinde durch einen enormen Härtegrad aus.

Wer sich auf diesen Anspruch nicht konsequent einlässt, erleidet oft Schiffbruch und findet sich an einem der gar nicht mal so häufigen Check- und Speicherpunkte wieder, obwohl die Macher uns immerhin verschiedene Schwierigkeitsgrade an die Hand geben. Dennoch wollen Fähigkeiten klug verteilt, Verhandlungen mit anzuwerbenden Dämonen clever geführt und die Zusammenstellung der Party dank zig Möglichkeiten strategisch abgewogen werden, um nicht allerspätestens an den tatsächlich heftigen Bossen zu scheitern.

Simples Hochleveln führt jedenfalls nicht zum Ziel. Was die Kampf-Mechanik angeht, zieht der Titel aber mit sein größtes Potenzial. Denn nur, wer sein auch mittels Fusionen erweiterbares „Dämonendeck“ wie bei Pokémon immer genau auf die Schwächen selbst normaler Gegner ausrichtet und mit gezielten Element- oder Statusattacken Schwächen nutz, profitiert von unmittelbaren Gefechtsvorteilen und erleidet im gegenteiligen Fall keinen oft genug verheerenden Rückstand.

Abseits der Kämpfe unterstreichen die schon farblich äußerst karge Gestaltung Tokios sowie die verwirrend langen, wenig detailreichen Dungeons die zur Story sehr passende Atmosphäre einer ins Chaos gestürzten Welt. Allerdings nutzt sich diese stellenweise etwas ab, wenn wir beispielsweise außerhalb der Oberwelt stundenlang in den immer gleich aussehenden Dungeons nach dem Endboss suchen und dort u.a. einige gar nicht mal so leichte Rätsel knacken müssen. Die hier besonders mangelnde inszenatorische Abwechslung genügt heutigen Maßstäben hinten und vorne nicht und dürfte Zocker ohne Nostalgiebrille trotz der eigentlich sehr guten Story und den besagten Kampfvorzügen abschrecken.

Technisch sieht man Shin Megami Tensei natürlich seine PS2-Vergangenheit trotz dezentem HD-Aufputsch jederzeit an und auch das 16:9-Format (außer in den Cutscenes) oder die höhere Bildauflösung können niemanden mehr hinter dem Ofen hervorholen. Gelungen fallen aber hingegen die Sprachoptionen aus, die teils neu hinzugefügt wurden. So lauschen wir nicht nur wahlweise einer englischen und japanischen Sprecherschar, sondern erhalten all das ordentlich ins Deutsche übersetzt, wenn auch nur als Untertitel. Unverständlich bleibt allerdings, warum das Remaster nicht alle seinerzeit verfügbaren DLCs erhält, sondern einige Zusatzinhalte wie beispielsweise der Auftritt von Capcoms Devil May Cry-Actionheld Dante via Onlineshop noch hinzugekauft werden müssen. Positiv zu erwähnen sei noch der meist sehr schnittige Soundtrack und der etwas verwunderliche Umstand, dass der Titel zum Start als Vollpreiskauf für ca. 50 Euro in die Läden kam. Bei aller Liebe zu diesem würdigen Genreklassiker: Für das Geld hätte es alle DLCs und etwas mehr technischen Feinschliff durchaus geben dürfen.

Nach gut 13 Stunden Spielzeit auf PS4 ziehen wir somit folgendes Zwischenfazit: Shin Megami Tensei III Nocturene HD Remaster dürfte all die Rollenspieler ansprechen, die es in Sachen Charaktere, Story und Spielmechanik gerne mal besonders komplex haben wollen und die sich nicht von langatmigen Dungeons und manchmal sogar frustrierenden Gefechten abschrecken lassen. Speziell als Persona-Fan sollte man bei aller Verbindung jedoch nicht zu viel Gemeinsamkeit erwarten, sich aber darauf verlassen, es hier mit einem – auf seine Art – ähnlich tiefgründigen Erlebnis zu tun zu haben.

Shin Megami Tensei III Nocturne HD Remaster • Atlus • JRPG • PS4/Switch/PC

Abb. © Sega

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