„The Ascent“: Gut, aber (länger) unfertig
Ein Cyberpunk-Shooter, der leider längst übliche Kontroversen befeuert
Es könnte eigentlich simpel sein: Da kündigt ein Entwickler ein neues Spiel an, arbeitet daran, ein Publisher kommt mit einem mehr oder weniger verbindlichen Releasetermin um die Ecke und dann steht das Endergebnis jahrlanger Mühen irgendwann endlich in digitaler oder physischer Ausführung in den Shops dieser Welt. Doch so einfach ist es – leider – schon lange nicht mehr. Während Nostalgiker sich noch erinnern dürften, dass es bis weit in die 2000er hinein gerade für Konsolenzocker noch eine Hauptbegründung gegen das Spielen am PC war, sich nicht mit technischen Updates oder anderweitigen Problemen lange plagen zu müssen und einfach loszocken zu können, sind diese Unterschiede längst verwischt. Ohne regelmäßige Updates geht auch bei Sony- oder Nintendoplattformen nichts mehr und welcher Konsolero kennt es nicht, sich ständig über zeitaufwendige Updates zu ärgern, deren Sinn man häufig trotz Patchnote-Lektüre kaum nachvollziehen kann.
Aber um nicht zu viel zu jammern: Dieser Umstand ist letztlich leicht zu verschmerzen. Denn mit Blick auf die eben ungleich höheren Anforderungen der Titel speziell auf technischer Ebene im Vergleich zu früher wären wir doch alle ziemlich irritiert, wenn sich Entwickler nicht dem kontinuierlichen Feintuning und Bugfixing widmen würden. Dennoch zeigt nicht erst ein massenmedial entsprechend groß kommentiertes Prestigeprojekt wie CD Projekt Reds Cyperpunk 2077, wo das eigentliche Problem der Branche bei der Produktion schon länger liegt.
Wir erinnern uns: Nach großen Versprechungen und gnadenloser Augenwischerei seitens der Macher, erwies sich Cyberpunk 2077 speziell auf PS4 und Xbox One als völlig verbuggte, teilweise unspielbare Beta-Version (wir berichteten), die selbst Monate nach Release (zumindest auf genannten Plattformen) kaum akzeptabel war. Die Empörung war entsprechend groß und kostete das renommierte Studio viel Ansehen, Geld und sicherlich auch Nerven. Schließlich flog Cyberpunk 2077 sogar aus Sonys eigenem PS-Store – mehr Shame geht eigentlich kaum.
Dabei darf jedoch nicht vergessen werden, dass Cyberpunk 2077 tatsächlich nur das prominenteste, jedoch bei Weitem nicht einzige Beispiel für diese Unart darstellt. Termin- und Kostendruck auf Seiten der Macher innerhalb eines oft schwierig planbaren Produktionsprozesses sorgen seit Jahren dafür, dass wir Konsumenten zum Vollpreis teils unfertige Spiele erwerben, die erst nach Monaten oder gar Jahren den Standard an Performance und Qualität erreichen, der uns bereits zu Release versprochen wurde. So gilt unter Gamern sogar schon die Regel, sich gerade Blockbuster tatsächlich erst nach einiger Zeit zu holen, um die Ärgerphase über nicht optimale Technik zu überspringen.
Andererseits gilt aber auch bei Games der Druck der Aktualität. Wie viele Spieler wollen schon wirklich warten, ohne Gefahr zu laufen, nicht mitreden zu können oder gar dank Spoiler um den Komplettgenuss des möglicherweise sehnlichst erwarteten Titels gebracht zu werden. Bislang zeigt sich die Branche zwar nach jedem Aufschrei öffentlichkeitswirksam einsichtig, doch es fehlt längst der Glaube an den Druck, den es wohl wirklich bräuchte, um die Entwickler in Gänze zu einem Umdenken zu bewegen. Denn letztlich verkaufen sich Cyberpunk 2077 und Co. trotz aller Kritik viel zu gut und der zum Mittester degradierte Verbraucher spielt viel zu häufig das Spiel mit, ohne mit seiner (Nicht-)Kaufentscheidung eine Politik der komplett fertigen und damit weitgehend unverbuggten Titel zu erzwingen. Zukünftiges Lamentieren auf diesem Gebiet scheint daher weiter vorprogrammiert.
Das ganze Dilemma spiegelt sich aktuell auch in der Debatte um The Ascent wider, dem vielleicht besten, aber eben umstrittenen Twin-Stick-Shooter dieses Jahres (u.a. nachzulesen auf Reddit). In The Ascent, das Ende Juli, zu einem für ein solch ambitioniertes Projekt erstaunlich niedrigen Preis von ca. 30 Euro, digital für Xbox Series X, Xbox One und PC erschien, schickt uns das kleine Entwicklerstudio Neon Giant als schlagkräftige Söldner in eine ziemlich abgefahrene, grafisch schlicht atemberaubend umgesetzte Cyberpunk-Dystopie. Grundlage dafür bildet ein futuristischer Megakomplex, dessen Bereiche man in den rund 25-30 Spielstunden erkundet. Wie für ein solches Setting fast schon üblich, hat ein Konzern die Macht über den Komplex inne und es herrscht zwischen den unterschiedlichen (auch außerirdischen) Völkern ein strenges Gefälle zwischen arm und reich.
In den weitläufigen Arealen geht es stets actionlastig zur Sache. Ganz im typischen Twin-Stick-Shooter-Stil steuert man mit einem Pad die Richtung der eigenen Figur, während mit dem anderen Pad gezielt geballert wird. Jederzeit fest gesetzte, nicht frei justierbare Kamerapositionen, einige Rollenspielelemente bei der Entwicklung der Ausrüstung oder Skills sowie das recht fordernde, teils auch taktische Geballer prägen The Ascent ähnlich wie das abwechslungsreiche, grafisch wirklich beeindruckende Design des turmartigen Komplexes mitsamt seiner vier Etagen.
Die Story hat leider selbst nach rund 8 Stunden Spielzeit (auf PC) nicht viel zu bieten und unser stummer, selbst gebastelter Charakter zeugt nicht gerade von Tiefe. Im Kern übernehmen wir Aufträge, um Schulden abzubauen und dem Verschwinden der Konzernleitung auf die Schliche zu kommen. Leider verpassen es die Macher dabei, uns aktiver in ihre Spielwelt eintauchen zu lassen. Dialoge fallen eher zweckmäßig aus und auch spannende NPCs oder Interaktionen abseits der sich sehr flüssig und intensiv spielenden Action sind rar bis nicht vorhanden. So steht ein Erlebnis, das durchaus mitreißt und angenehmerweise mehr auf Atmosphäre und Spielbarkeit setzt anstatt auf die doch oft eher ermüdende Endlosjagd nach Gegenständen und Loot.
Hier könnte unser ausführlicher Eindruck zu The Ascent eigentlich sein positives Ende finden, würde der Titel nicht eben unter dem leiden, was wir eingangs problematisiert hatten. Neon Giant hat es sichtlich vermasselt, The Ascent technisch so auf den Markt zu bringen, dass es nicht sowohl bei Kritikerkollegen wie auch vielen Zockern allein auf dieser Ebene stark aneckt. Zwar sind bereits einige Patches erfolgt und das Studio scheint um weitere Politur bemüht, jedoch ist es in diesem Fall erneut ärgerlich, wie sich zig Bugs durch Übersetzung, Menüs, KI oder eben Präsentation ziehen.
Doch wie bereits mehrere Medien vermelden, verkaufte sich The Ascent schon in der Startwoche blendend und die Kontroverse brachte dem Spiel offenbar deutlich mehr Aufmerksamkeit, als es ohne die aufgeheizte Berichterstattung gegeben hätte. So bleibt nur zu hoffen, dass Entwickler nicht tatsächlich dazu übergehen, Unfertigkeit sogar noch als Marketingtrick bewusst einzukalkulieren. Schon jetzt wird über einen möglichen Nachfolger spekuliert, der sich elementarer Mängel wie eben der Story, den zu schwach ausgeprägten RPG-Elementen und einem zum Start besser balancierten Koop annimmt. Hätte The Ascent etwas mehr Reifezeit erhalten, wäre ein wirklich herausragender Genretitel herausgekommen. So bleibt, mal wieder, ein sehr fader Postlaunch-Beigeschmack, der wohl leider zum festen Bestandteil der Gamingkultur geworden ist.
The Ascent • Neon Giant • Twin-Stick-Shooter/Action-RPG • Xbox Series X/Xbox One/PC
Abb. © Curve Digital
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