16. September 2021 1 Likes

„Life Is Strange: True Colors“: Where Is My Mind?

Große Gefühle in einzelnen Episoden

Lesezeit: 4 min.

Mit „Life Is Strange“ lieferten das französische Studio Dontnod Entertainment einen modernen Klassiker in Episodenform ab. Das in fünf nach und nach erscheinenden Episoden erschienene Adventure erzählte die entscheidungsfreudige und herzzerreißende Geschichte der jungen Maxine Caulfield, die durch einen Wink des Schicksals Superkräfte in Form des Zeit-Zurück-Drehens erhielt und so kommende Katastrophen abhalten wollte und auch noch einen Mord aufklärte. Jede Episode wurde untermalt von weitreichenden Entscheidungen, die nicht nur eines der multiplen Enden beeinflussen sollte, sondern auch den Weg bis dahin. Aus „Life Is Strange“ wurde in der Zwischenzeit ein Medienphänomen mit einer herausragenden Comicreihe, zwei weiteren Games, Spinoffs und einem angekündigten Remaster. Und mit „Life Is Strange: True Colors“ steht nicht nur der offizielle dritte Teil im Handel, sondern auch gleich der erste Titel, der nicht von Dontnod, sondern von Deck Nine entwickelt wurde,  die ihre Kräfte bereits an „Life Is Strange: Before The Storm“ bewiesen.


„Alex sieht die Emotionen der Figuren und kann mit diesen interagieren.“

„True Colors“ lässt uns in die Rolle der jungen Alex Chen schlüpfen, die nach Jahren bei verschiedenen Ziehfamilien und Weisenheimen wieder zu ihrem Bruder Gabe zieht. Alex‘ bereits schwere Kindheit wurde durch ihre entwickelte Fähigkeit allerdings noch einen ganzen Happen deftiger, denn sie kann nicht nur Emotionen in Form von Auren ihrer Mitmenschen spüren, sondern wird von ihnen regelrecht übermannt und von Gedanken überspült. Nachdem sie es sich mit ihrem Bruder heimisch im idyllischen Kleinstädtchen Haven macht, wird die Bergbaustadt allerdings schon von einer Katastrophe heimgesucht, und es obliegt Alex, dem treibenden Mysterium auf den Grund zu gehen.

Was „Life Is Strange“ damals schon meisterte – wie andere Genre-Vorbilder, etwa die TV-Serie „Buffy“ – ist es, irdische Probleme und menschliche Dilemmata in übernatürlichen Phänomenen zu verstecken. Während Alex möglicherweise einer großen Verschwörung im kleinen Städtchen auf der Spur ist, muss sie nicht nur mithilfe ihrer sonderbaren Kräfte den Bewohnern Havens helfen, sondern auch mit ihrer eigenen Eigenbrödlerei fertig werden, die durch ihre schwere Kindheit nur weiter befeuert wurde. So stellt sich Alex im Verlauf der fünf Episoden – die diesmal übrigens alle sofort auf einer Disk vorzufinden sind, ohne Wochen und Monate Pause dazwischen – nicht nur dem Gefühlschaos anderer Mitmenschen, sondern natürlich auch ihrem eigenen. Und wächst damit über sich hinaus – oder auch nicht, je nach Ergebnis der unzähligen Entscheidungen, die es in „True Colors“ zu treffen gibt.


„Ein LARP innerhalb eines Adventures… Nicht nur das Leben ist seltsam!“

Spielerisch bietet es einen interessanten Nährboden, bei dem jede kleine Entscheidung sich wie etwas potentiell weitreichendes anfühlt – und sich in den späteren Episoden auch niederschlägt. Und neben den serientypischen zu lösenden Problemen gibt es auch einige Sidequests, die nicht nur erheiternd sind, sondern über den Verlauf des Finales entscheiden können. Zu den definitiven Highlights von „True Colors“ gehört vermutlich Episode 3, die uns und die Bewohner Havens in ein unterhaltsames LARP (Live Action Role Playing) verfrachten und die Stadt in eine mittelalterliche Welt verwandeln, samt simpler RPG-Elemente, Kampfsystem und auffindbaren Schätzen. Das LARP bricht nicht nur augenzwinkernd mit der üblichen „Life Is Strange“-Formel, sondern bringt natürlich dennoch wichtige Entscheidungen für die folgenden Episoden mit sich.

Der sonstige Verlauf sowie die simplen Rätsel und Interaktionen zwischen den Figuren laufen im gewohnten Schema ab, wobei sich gerade Serienveteranen nichts allzu Neues erhoffen sollten. Dialoge sind gut geschrieben, und viele der Figuren wachsen einem schnell ans Herz, während die neue Grafikengine (Unreal Engine 4) viele Panoramen in wundervollem Licht erstrahlen lassen und die Idylle Havens zum Vorschein bringt. Aber wie auch das vorbildliche Twin Peaks wartet Haven mit Geheimnissen und einer dunklen Vergangenheit auf, die es zu enthüllen gibt. So zeigen sich auch grafisch die Schattenseiten, wenn besonders zu Beginn einige der Gesichtsanimationen hölzern und platt wirken – was besonders schmerzvoll ist, wenn die Figuren tiefgreifende Emotionen preisgeben. Erstaunlicherweise bessert sich dieser Umstand im Verlauf der Episoden allerdings und die Gesichtsanimationen sind den großen Gefühlen, die sie darzustellen versuchen, gewachsen. So ziehen auch mit den späteren Episoden die Spannung und der emotionale Einfluß deutlich an, während aber nach persönlicher Einschätzung die Höhen des fantastischen Erstlings nicht erreicht werden.


„Jede auch noch so kleine Entscheidung kann große Folgen haben.“

„True Colors“ fühlt sich deutlich runder, geschliffener und wie aus einem Guss an, als es „Life Is Strange 1“ und „2“ tun, und bietet vielleicht insgesamt ein besseres Gesamtpaket an. Und dennoch wirkt, gerade im Finale, eine der Plotwirrungen etwas zu sehr an den Haaren herbeigezogen, auch wenn sich folgerichtig darauf gestützt wird, und das große Ganze der emotionalen Themen und Motiven hinter der Handlung um die Einwohner Havens wie Liebe, Verwandschaft und Aufopferung erweitert. Trotz allem ist gerade das Finale ein aufrüttelndes, gut inszeniertes Ende für die vollständig alleinstehende Geschichte um Alex und Gabe Chen, die aber natürlich dennoch einige Eastereggs und Verzweigungen für „Life Is Strange“-Kenner in petto hat. Und Neulinge der Reihe können und sollten völlig bedenkenlos zu „Life Is Strange: True Colors“ greifen und sich auf den spannungsgeladenen, emotionalen Trip begeben.

„Life Is Strange: True Colors“ ist seit dem 10. September 2021 für PC, Xbox One, Series S/X, Nintendo Switch und PS4/5 erhältlich.

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