18. September 2021 3 Likes

„Anna“ – Herr der Fliegen auf Sizilien

Eine poetisch-grausame Dystopie aus Italien

Lesezeit: 3 min.

Nein, diese Serie ist keine Reaktion auf die Corona-Pandemie, das betont Autor und Regisseur Niccolò Ammaniti („Ich habe keine Angst“, „Ein Wunder“) schon vor dem ersten Bild seiner Serie „Anna“. Bereits 2015 hat er sich die Geschichte eines Virus ausgedacht, der weite Teile der Menschheit krank macht und bald eines qualvollen Todes Sterben lässt. Die einzigen, die das Virus verschont, sind Kinder, doch auch die sind dem Tode geweiht: Mit 14, 15 Jahren werden auch sie sich unweigerlich infizieren – und sterben.

Man würde nun erwarten, dass Ammaniti einen Ausweg aus der Bredouille andeutet, dass es irgendwo einen Ort gibt, an dem das Altern pausiert oder eine Forschungsstätte, an der ein Gegenmittel erprobt wird, doch diesen Weg geht er nicht. Ein Zwitterwesen gibt es zwar, das zwischen den Geschlechtern steht und schon erwachsen ist, doch mehr nicht. Der Tod schwebt also stets mit, in den sechs Folgen, in denen das Schicksal der Hauptfigur Anna geschildert wird.

14 Jahre alt ist sie, hat einen achtjährigen Bruder, ist also gleichzeitig Kind und Erwachsene, muss für sich selbst und ihren Bruder sorgen. Vor ihrem eigenen Tod hatte ihre Mutter ihr ein nützliches Buch mit vielen Ratschlägen geschrieben, in dem sie jedoch auch vermerkte, dass die Regeln, die damals noch galten, vermutlich bald durch neue ersetzt werden.

Und so ist es geschehen. Als neue Könige der Welt, als Herren über ihr Schicksal reagieren die Kinder ganz unterschiedlich auf die Situation. Manche feiern endlose Feste, so als wären sie die letzten, dekadenten Römer, die dem unweigerlichen Untergang entgegenfeiern, andere üben sich in Machtspielen, gegen die die Ereignisse auf der Insel, die William Golding in seinem Klassiker „Herr der Fliegen“ beschreibt, wie, ja, Kinderspiele wirken.

Das ganze erzählt Niccolò Ammaniti in einer Mischung aus Realismus und Poesie, die sich nicht zuletzt in den zahlreichen, langen Rückblenden Bahn bricht. Hier beschreibt er die letzten Tage vor der Katastrophe, als die Menschheit langsam begreift, was da gerade geschieht, als Eltern sich trennten, weil der eine infiziert, der andere noch gesund ist und man gegen jede Wahrscheinlichkeit hofft, dass es doch nicht so schlimm wird.

Ob es jemals wieder so werden wird, wie es einst, in ruhigeren Zeiten war, lässt Ammaniti lange offen, lässt seine Figuren unbestimmt durch eine postapokalyptische Welt wandern, nicht auf der Straße der Hoffnung, sondern einfach so, einen Tag nach dem anderen lebend. Vor allem diese Erzählweise macht die Qualität von „Anna“ aus, der ungewohnte Verzicht auf ein klares Ziel, das den Figuren am Anfang aufgegeben und am Ende eingelöst wird.

Ganz ziellos und unbestimmt endet die Serie dann jedoch nicht, vielleicht hat Ammaniti am Ende der Mut verlassen, vielleicht wollte er seine jungen Helden dann doch nicht in völliger Hoffnungslosigkeit aus der Serie entlassen. Man mag das als Ausflucht betrachten, doch im Ton passt es letztendlich doch zu einer Serie, die trotz aller Katastrophen immer betont, dass Mitmenschlichkeit und Humanität die einzige Lösung ist.

„Anna“ ist derzeit in der Originalfassung mit deutschen Untertiteln in der Mediathek von Arte zu sehen. Eine synchronisierte Version kommt ab 4. November.

Anna • Italien, Frankreich, USA 2021 • Creator: Niccolò Ammaniti • Darsteller: Giulia Dragotto, Alessandro Pecorella, Clara Tramontano, Giovanni Mavilla, Roberta Mattei, Elena Lietti

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