28. August 2018 1 Likes

Leben mit Ende

Niccolò Ammanitis „Anna“ erzählt vom Überlebenskampf der Kinder

Lesezeit: 3 min.

Anno 2020. Vor vier Jahren hat eine Viruspandemie alle Erwachsenen getötet. Die „Rote Seuche“ genannte Krankheit verschonte nur deren Kinder. Doch ihnen ist das Erwachsenendasein vergönnt: der Virus ist bereits in ihren Körpern und bricht aus, sobald sie in die Pubertät kommen. Die Menschheit stirbt unweigerlich aus. Auch auf Sizilien. Nach einer verheerenden Feuersbrunst wandert die dreizehnjährige Anna durch die postapokalyptische Einöde, um für ihren kleinen Bruder Astor und sich das Lebensnotwendige zu suchen. Als Astor von einer Gruppe Kinder verschleppt wird, setzt Anna alles daran, ihn zu retten.

Wer Anfang der 2000er Teenager war, dem mag die Prämisse von „Anna“ unglaublich bekannt vorkommen. Damals zeigte der noch junge KiKa eine neuseeländische TV-Serie namens „The Tribe – Eine Welt ohne Erwachsene“. Auch hier tötete ein Virus alle Erwachsenen und ließ nur Kinder und Jugendliche am Leben. Erst als auch sie zu Opfern der Krankheit werden, wollen sie ein Gegenmittel finden. Zugegeben, am Ende war „The Tribe“ eine gut gemachte Seifenoper vor postapokalyptischem Hintergrund, die sich gezielt an ein pubertierendes Publikum wandte.

Niccolò Ammanitis „Anna“ spielt in einer anderen Liga. Er hat mit seinem Roman die italienische Antwort auf Cormac McCarthys „Die Straße“ geschrieben. Wo McCarthy angesichts des namenlosen Grauens wortkarg bleibt, zeichnet Ammaniti bildgewaltige, geradezu poetische Bilder von der bizarren Schönheit einer Landschaft, die sich vom Untergang langsam erholt – und auch dann noch existieren wird, wenn kein Mensch mehr da ist. Nicht umsonst zählt der 1966 geborene Römer Ammaniti zu den besten Autoren Italiens: als damals jüngster Preisträger hat er 2001 für sein Entführungsdrama „Ich habe keine Angst“ den renommierten „Premio Viareggio“-Preis erhalten. Schon in seinem Weltbestseller setzte er auf Kinder als zentrale Protagonisten seiner Erzählung.

Natürlich drängen sich noch weitere Vergleiche auf, zum Beispiel mit William Goldings „Herr der Fliegen“ oder J. M. Barries „Peter Pan“. Nicht nur Barries „verlorene Jungs“ bekommen in „Anna“ eine gänzlich neue Bedeutung. Wenn das Leben in Disneys „Peter Pan“-Version der Traum eines jeden Kindes ist, dann ist „Anna“ der wahr gewordene Albtraum. In einer Welt ohne Regeln versucht Anna ihren kleinen Bruder so gut es geht vor der Außenwelt zu beschützen. Ihr Zuhause, das Gut Maulbeerbaum, wird zum kleinen Paradies, zu Astors ganz privatem „Nimmerland“, das der Neunjährige nicht verlassen darf. In seiner Vorstellung bevölkern Monster die Erde, gegen die sich seine Schwester immer wieder beweisen muss. Erst als er das Haus verlässt, lernt er die wahren Ungeheuer seiner Zeit kennen. Zum Glück ist Anna nicht allein bei ihrer Rettungsmission: der gleichaltrige Pietro und der Schäferhund Coccolone sind an ihrer Seite. Zusammen machen sie sich auf die Suche nach den Kindern, die Astor entführt haben und zur „Kleinen Riesin“ gehören. Diese soll die angeblich letzte noch lebende Erwachsene sein und ein Heilmittel haben. Ob die Geschichte stimmt und es Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft gibt?

„Anna“ ist ein wunderbarer, herausragender Roman über das Erwachsenwerden in schwierigen Zeiten. Mit poetischen Bildern berichtet er von den engen Banden zwischen Geschwistern und der ersten aufkommenden Liebe. Dabei geizt er nicht mit den hässlichen Seiten der Postapokalypse, denen sich die Kinder stellen müssen. Niccolò Ammaniti hat mit „Anna“ einen neuen Klassiker des Genres hervorgebracht, an dem sich andere Autoren messen lassen müssen. Ein Meisterwerk!

Niccolò Ammaniti: Anna • Aus dem Italienischen von Luis Ruby • Eisele Verlag, München 2018 • 336 Seiten • 20,00€

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