17. Oktober 2021

Jetzt fürs Heimkino: „Chaos Walking“

Und noch eine dystopische Jugendgeschichte

Lesezeit: 3 min.

Das Patrick Ness’ Roman „The Knife of Never Letting Go“ verfilmt wurde kann nicht überraschen: Nicht erst, aber speziell seit dem gigantischen Erfolg der „Harry Potter“ und „Hunger Games“-Verfilmungen sucht Hollywood nach Romanen für junge Leser, die verfilmt werden können, ja, noch mehr: Die als Filmreihe taugen. Längst werden so genannte Young Adult-Romane mit Blick auf Verfilmungsmöglichkeiten geschrieben, mindestens eine Trilogie sollte es schon sein, denn dann rollt der Rubel so richtig.

Insofern passt Ness’ „Chaos Walking“-Trilogie natürlich perfekt in das Konzept Hollywoods, zumindest auf den ersten Blick. Denn der Clou der Welt, die Ness imaginiert ist ebenso originell wie schwer zu verfilmen: In der dystopischen Welt des Planeten mit dem schlichten Namen Neue Welt, sind Gedanken sichtbar. Zumindest in der kleinen Gemeinschaft, in der die Hauptfigur Todd (in der Adaption gespielt vom zwar viel zu alten, aber doch gut besetzten Tom Holland) mit seinen beiden Vätern lebt. Denn Frauen gibt es hier nicht, angeblich sind sie einst ausgestorben, doch auch dies ist eine Lüge, die der Bürgermeister David Prentiss (Mads Mikkelsen) seinen Untertanen einbläut, um seine Herrschaft zu sichern. Wie in so vielen Geschichten dieser Art steht Todd kurz vor der Initiation ins Erwachsenleben, ist noch naiv und unschuldig und dadurch moralisch rein. Was genau ihm blüht erfährt er aus dem Tagebuch seiner Mutter, das ihm auf die Flucht mitgegeben wird, eine Flucht, auf der er bald auf Viola (Daisy Ridley) trifft. Die Begegnung mit einem Mitglied des anderen Geschlechts bewirkt in dem Teenager nun in doppelter Hinsicht einen enormen Hormonschub, was gerade durch Hollands Dauerzustand des leicht überforderter, immer etwas zu hektischen Teenies für einige hübsche Szenen sorgt.

Gerade weil hier das Konzept der sichtbaren Gedanken, die nur The Noise genannt werden, für besonders lustige Missverständnisse sorgt. Als Nebel sind die sichtbaren Gedanken visualisiert, der um die Figuren schwirrt, meist klein und zurückhaltend, aber bei emotionaleren Gedanken auch mal aufbrausend oder gar in Form von wilden Tieren. Doch hier beginnt die Krux der Umsetzung, denn konsequent geht Liman nicht mit diesem Konzept um.

Denn eigentlich, so erfährt man bald, hat fast jedes männliche Wesen dauerhaft Gedanken, die sichtbar und vor allem hörbar um ihn schweben, was konsequenterweise zu einer dauerhaften Kakophonie führen müsste, gerade wenn zwei, drei oder gar ein dutzend Männer im Bild sind. Doch das wäre auf Dauer für den Zuschauer natürlich nicht zu ertragen und so regiert die Willkür: Mal sieht und hört man die Gedanken, mal nicht, je nachdem ob es für den Plot wichtig ist oder nicht.

Während auf dem Papier ein Romanautor jederzeit entscheiden kann, was dem Leser mitgeteilt wird, zeigt ein Film stets eine viel größere Realität, wirkt in viel stärkerem Maße objektiv. Bestimmte literarische Stilmittel sind daher kaum oder nur besonders schwer filmisch umzusetzen, vor allem das Konzept eines unzuverlässigen Erzählers, eine subjektive Perspektive oder eben visualisierte und fortwährend sprechende Gedanken.

Mit zunehmendem Verlauf verzichtet Liman dann auch fast vollständig auf die Visualisierung der Gedanken, was dazu führt dass „Chaos Walking“ zu einem ganz normalen dystopischen Film wird, der nicht mehr ist als eine Variation bekannter Themen. Mit dem Duo Holland und Ridley hat er zwar ein grundsympathisches Zentrum, das manche Schwäche vergessen lässt, auf Dauer reicht das jedoch nicht. Vielleicht hätten die Produzenten doch gut daran getan, die frühe Drehbuch-Version von Charlie Kaufman (die im Netz kursiert) als Vorlage zu verwenden, denn für so einen seltsamen Ansatz wie dauerhaft hörbare Gedanken ist Doug Liman dann wohl doch ein zu konventioneller Regisseur.

Chaos Walking • USA 2021 • Regie: Doug Liman, Darsteller: Tom Holland, Daisy Ridley, Mads Mikkelsen • als DVD, Blu-ray, VOD und aktuell auch bei Sky

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