1. Dezember 2021 2 Likes

„Sable“: Coming-of-Age auf Wüstenplanet

Ein entspannt spirituelles Adventure in einer faszinierenden Welt

Lesezeit: 4 min.

Es ist leider immer das alte Lied: Im Dauerbohei um all die Blockbuster eines Spielejahres gehen viele spannende Indies, die eigentlich mehr Aufmerksamkeit verdient haben, leider viel zu oft unter. Zu dieser Kategorie zählt auch Sable, das schon allein deshalb beeindruckt, da es von einem nur zwei Mann starken Entwicklerstudio aus London produziert wurde – und trotzdem richtig toll aussieht. Wer die ersten Trailer gesehen und auch nur ein kleines Faible für ruhige Titel mit wenig Vorgaben und viel Atmosphäre hat, dem musste Sable einfach im Gedächtnis bleiben.

Nun ist das Adventure seit Ende September digital für Xbox Series X und PC zum Preis von ca. 30 Euro zu haben und leider zeigte sich dabei dann wiederum doch der Nachteil eines kleinen Entwicklerteams. Denn zum Release offenbarte Sable leider eine technische Unreife, die in den ersten Reviews naturgemäß negativ zu Buche schlug. Da war etwa von dauerhaft verschwundenen Objekten, häufigen Einbrüchen der Bildrate und nervige Steuerungsprobleme die Rede, sodass auch wir bei aller Vorfreude den Test erstmal verschoben, um Shedworks Zeit zu geben, ihr so verheißungsvolles Debüt ein wenig aufzubessern. Nach nun mehreren Wochen scheinen immerhin einige Probleme behoben. Während unserer gut 14-15 Stunden Spielzeit (auf PC) nervte nur noch so mancher Bildeinbruch. Das geht ja noch.

Doch worum geht es bei Sable eigentlich? In der Rolle der gleichnamigen Heldin treten wir eine Reise mit rituellem Charakter an. Als Teil der Kultur des Wüstenlandes Midden, begibt sich jeder Jugendliche auf einen Pfad, dessen Ende gleichzeitig den Eintritt ins Erwachsenenalter bedeutet. Dazu muss eine Maske als zentrales Symbol der Reife und der Zugehörigkeit zur Gesellschaft Middens gefunden werden. Da die Gesellschaft in zahlreiche Gruppen (beispielsweise nach Berufen) aufgeteilt ist, besitzt jede von ihnen ihre eigene Symbolmaske.

Die Bedeutung dieses rituellen Weges und der damit verbundenen Fähigkeiten erschließt sich uns recht schnell, wenn wir etwa mit Sable in einer Stadt auf ein kleines Mädchen treffen, das uns bittet, für sie eine Blume von einem Berg zu pflücken. Da die Reisende über Gleitfähigkeiten verfügt, ist dieser Auftrag kein Problem und bringt uns neben dem Dank des Mädchens dessen eigene Sehnsucht nahe, selbst bald erwachsen zu werden und über diese Kraft zu verfügen. Der Kreislauf des Erwachsenwerdens als ewige Konstante und irgendwie Sehnsucht des Lebens.

Was an Sable nun vor allem spielerisch überzeugt, ist das freie, geradezu entspannte Entdecken seiner Welt und Figuren. Wir bereisen die Weiten des Wüstenlandes, sprechen mit vielen unterschiedlichen Charakteren über deren Gefühle, Werte und Nöte und erhalten so ein breites Spektrum an Eindrücken und Deutungen, wie sie Videospiele in dieser Tiefe leider viel zu selten anbieten. Speziell in Ruinen, Höhlen oder Schiffswracks lernen wir Neues über Middens alte Kultur, ohne dass uns das Spieldesign an die Leine nimmt. Wir haben stets das Gefühl, selbst zu entscheiden, wohin uns unser Weg innerhalb der von Anfang an offenen Welt führt und was für Schlüsse wir aus unseren Begegnungen ziehen.

Somit ergibt sich ein höchst unterschiedliches Spielgefühl, denn wer alle fünf Gebiete Middens ausgiebig bereist, kommt sogar auf mehr Stunden Spielzeit als besagte 15, während andere Sables Reise schon in deutlich weniger abschließen können. Dabei kann unsere Heldin nicht nur gleiten, sondern ebenso Berge erklimmen (solange die Ausdauer reicht) oder einfach nur die meditative Ruhe genießen. Es ist schwer, dieses Spielgefühl zu beschreiben, wenn man es nicht selbst erlebt. So gibt es zwar Aufgaben (ohne Questmarker) zu erledigen und die Erkundung ist nicht frei von Hindernissen. Aber ein klassisches Abarbeiten von typischen Missionen findet nur bei einigen leider uninspirierten Abhol- und Sammelmissionen statt. Wobei jedoch auch hier positiv ins Gewicht fällt, dass die Macher auf aufdringliche Hilfen verzichten und uns selbst eine Lösung finden lassen – die dazu nie frustrierend schwer ausfällt. Auch Tode oder Lebensschaden muss man bei Sable nicht befürchten, Feinde oder Kämpfe sowieso nicht.

Neben der sehr freien Spielgestaltung, die sich erzählerisch übrigens in exzellent geschriebenen Textblöcken präsentiert (leider nur auf Englisch), überzeugt auch der sehr gefällige Cel-Shading-Stil. Jede Region besticht mit einer klaren visuellen Identität. Ob Gebäude, Sanddünen oder Gebirgszüge, man weiß nach einiger Zeit genau, was die jeweilige Region auszeichnet und das Design bietet dazu passend viel Raum für Interpretation. Gerade im Wechsel der Tageszeiten lässt sich bei hellen Pastelltönen zwischen grün, grau und blau viel Schönheit entdecken und auch der äußerst dezent eingesetzte Soundtrack passt sich diesem Niveau an. Oft hören wir nur das Summen des Gleiters oder den Wind, während sich, ganz sachte, Gitarren- oder Klavierspiel in unsere Abstecher zu bestimmten Punkten mischen. In jeder Situation begleitet uns stets das Gefühl, in einer Welt voller Mysterien unterwegs zu sein, die uns auch akustisch ihre Geheimnisse nicht überdramatisiert vor die Füße klatschen muss, um zu fesseln.

So schwer es fallen mag, Sable zu beschreiben, ohne schon (zu) viel zu verraten, so leicht fließt uns ein positives Fazit aus der Feder. Die Geschichte dieses Adventures ist herrlich anspielungsreich, tiefsinnig und bewegend. Kombiniert mit seinem im besten Sinne unaufgeregten, aber eben nicht faden Gameplay entfaltet der Titel einen Sog, wie er selbst im weiten Feld atmosphärischer Indies in dieser Qualität selten ist. Zwar hat dieser Wüstenplanet, um eine naheliegende Assoziation zumindest zum Schluss noch aufzugreifen, wenig bis nichts mit Dune zu tun – das hat Sable aber aufgrund seiner Feinheiten auch gar nicht nötig.

Fazit

Ein einfach fantastisches, weil erzählerisch tiefsinniges und spielerisch stimmiges Adventure, dem nur seine Technik einige Steine in den Weg legt.

Sable • Shedworks • Adventure • Xbox Series X/PC

Abb. © Raw Fury

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