5. Februar 2022

„Adventureman“ - Pulp trifft Moderne

Der neue Comic von Matt Fraction sowie Terry und Rachel Dodson

Lesezeit: 4 min.

Autor Matt Fraction schenkte uns viele starke Comics mit Iron Man, Thor, den Fantastic Four, Iron Fist, Supermans Kumpel Jimmy Olsen und den X-Men, außerdem definierte er in den von ihm geschriebenen „Hawkeye“-Storys über Clint Barton und Kate Bishop die Grundlage der wohlwollend aufgenommenen Streaming-Serie auf Disney+. Eine Zeitlang zählte der Amerikaner sogar zu den zentralen Marvel-Architekten, wirkte er am Crossover „Avengers vs. X-Men“ mit und inszenierte er federführend das Event „Fear Itself“. Für sein Superheldencomic-Schaffen, aber auch für seine und Chip Zdarskys unabhängige SF-Serie „Sex Criminals“ erhielt er z. B. mehrere Eisner Awards. Weitere Eigenschöpfungen Fractions sind „Casanova“, „Satellite Sam“, „Ody-C“ und „November“. Gerade wurde überdies verkündet, dass Fraction, der mit Autorin und Captain Marvel-Neuerin Kelly Sue DeConnick verheiratet ist, für Apple TV+ eine „Godzilla“-Serie entwickelt. Und als wäre das alles noch nicht genug, startete auf Deutsch bei Splitter gerade Fractions neue eigenständige Comic-Serie „Adventureman“, die von den Fanlieblingen Terry und Rachel Dodson gezeichnet wurde.

Im Auftaktband „Das Ende und alles danach“ treffen wir Claire. Sie führt die Buchhandlung ihrer Mutter, kümmert sich um ihren cleveren Teenager-Sohn Tommy und hat eine große, verrückte und bunte Familie. Eines Tages betritt eine merkwürdige Frau Claires Laden und lässt dort ein ganz besonderes Buch über Adventureman und dessen tollkühne Pulp-Abenteurer-Truppe Adventure Inc. zurück. Adventuremans Crew bestand u. a. aus einem Zauberer, einer Geisterkriegerin, einem starken Kämpfer, dem Zeitlosen, einer Wissenschaftshexe und einem weiblichen Fliegerass. Sie waren das größte, berühmteste Heldenteam der Pulp-Ära, allerdings verschwanden sie vor über einem Dreivierteljahrhundert nach einem dramatischen Gefecht gegen Baron Bizarre und die Allianz des Bösen, als die Apocalypsydra-Uhr zur Anzeige menschlichen Leids fast auf Mitternacht stand, sowohl aus den Geschichten als auch aus der Realität. Aufgrund des an sie herangetragenen Buches wird Claire im Hier und Jetzt nicht bloß in die lange offene Saga der berühmte Heldinnen und Helden gezogen: Diese wird auch mit und durch Claire in der Gegenwart fortgesetzt. Denn die Story des Kampfes von Gut gegen Böse verlangt nach einer Fortführung. Claire spürt den Geheimnissen und dem Schicksal von Adventureman und Co. in der Stadt nach und wächst förmlich über sich hinaus, während die alten Pulp-Legenden sie einholen und mitten in der Moderne und Claires Alltag zu neuem Leben erwachen …

Matt Fraction spielt im ersten Band schön mit den Tropen, Errungenschaften, Freuden und selbst Makeln des Pulp-Genres, ohne die einflussreiche Unterhaltungskultur einer anderen Epoche für ihre Fehler zu verdammen – stattdessen modernisiert er gewissermaßen nebenbei die chauvinistischen und rassistischen Elemente von anno dazumal einfach. Generell erinnert sein Konzept des Wechselspiels zwischen Pulp und Moderne, Fiktion und Wirklichkeit schon sehr an Alan Moore. Gerade die Meta-Mechanik von „Adventureman“ lässt einen an Moores ab 1999 im eigenen America’s Best Comics-Imprint entstandene Werke „Tom Strong“ und „Promethea“ denken. Wenig überraschend: Autoren wie Matt Fraction, Tom King oder Kieron Gillen sind genau die von Moore beeinflussten Fanboys von einst, die nun selbst an der Spitze ihrer kreativen Generation stehen – Bewunderer des Briten, die zu seinen Erben wurden (übrigens schleppte Fraction die Idee zu „Adventureman“ solange mit sich herum, dass Claire in seinen Notizen bereits als taube Heldin Gestalt angenommen hatte, bevor der Amerikaner sich 2012 Hawkeye zuwandte und Marvels Bogenschützen wieder ein Hörgerät verpasste). Der 1975 geborene Fraction will zwischendurch dann auch etwas viel, sodass es hin und wieder in den Szenen klemmt, obwohl das zeitgemäße, vielfältige Update für den Pulp absolut sinnig ist und den durch Doc Savage, den Shadow, Mandrake und The Spider zementierten Adventure-Archetypen gut steht. Dennoch, Mr. Fractions Pulp-Modernisierung kann manchmal ein bisschen anstrengend werden.

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Einen großen Vorteil haben Fraction, Claire und Adventure Inc. natürlich immer: Die Dodsons. Zeichner und Kolorist Terry Dodson sowie seine tuschende Frau Rachel sind seit den frühen 1990ern aktiv und zählen zu den Stars der Szene. Kurvenreiche Schönheiten sind seit jeher ihr Markenzeichen, ohne dass das den starken Frauenfiguren in den von ihnen illustrierten Bildergeschichten je geschadet hätte. In ihrem Panel-Portfolio finden sich u. a. „Spider-Man/Black Cat“ von Kevin Smith, „Marvel Knights: Spider-Man“ von Mark Millar, „Wonder Woman“, die erste emanzipierende Soloserie für Clown-Prinzessin Harley Quinn nach dem Jahrtausendwechsel und eine Comic-Miniserie über Star Wars-Prinzessin Leia. Für den europäischen Albenmarkt entstanden indessen „Träume“ von Denis-Pierre Filippi und „Red Skin“ von Xavier Dorison. Mit Matt Fraction arbeiteten die Dodsons vor Jahren bereits an den Serien „X-Men“ und „Defenders“ für das Haus der Ideen zusammen. Ihre dynamischen, unverkennbaren Zeichnungen und vollmundigen, detailverliebten Seiten kommen nicht nur mit aller Pulp-Action, sondern auch mit allen Meta-Ideen klar, die Fractions Script vorgibt. Satte 150 Seiten strahlendes Dodson-Artwork am Stück machen schon großen Spaß und haben einen super Flow, das kann man einfach nicht anders sagen.

„Adventureman“ zeigt früh, dass es mehr sein will als eine weitere Hommage an die Pulp-Ära, was für diesen Creator-Owned-Comic von Matt Fraction und den Dodsons zugleich Fluch wie Segen ist. Das fantastische Artwork sorgt jedoch dafür, dass man sich gern auf den ersten Band und alles einlässt, was kam und danach noch folgen mag.

Abb.: © Milkfed Criminal Masterminds, Inc. and Terry Dodson/dt. Ausgabe Splitter Verlag

Matt Fraction, Terry Dodson, Rachel Dodson: Adventureman Bd. 1: Das Ende und alles danach • Splitter, Bielefeld 2022 • 168 Seiten • Hardcover: 25 Euro

 

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